Kapitel 12: Fieberwahn

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Der leichte Wind trägt den Geruch des Meeres mit sich und der Sand auf dem ich liege ist angenehm kühl. Wohlig seufze ich. Es war eine gute Entscheidung, sich an den Strand zu legen. So kühlt sich wenigstens mein sonst heißer Körper ab und meine Schmerzen werden gelindert.

Seit meiner Begegnung im Wald ist eine Woche vergangen, die ich jedoch nicht in der Schule verbracht habe. Meine Kopfschmerzen sind nicht besser geworden, eher schlimmer und seit ein paar Tagen quälen mich nun auch noch Gliederschmerzen und Fieber. Selbst die Medikamente, die mir der Arzt verschrieben hat, helfen nicht.

Ich habe es aufgegeben, nach einer logischen Erklärung für alles Geschehene zu suchen, da ich nicht mehr genug Kraft dafür habe und hoffe nun darauf, dass sich alles wie von selbst fügt.

Langsam, aber sicher falle ich in einen erschöpften Fieberschlaf.



Quiekend und freudig kreischend laufe ich auf meinen Dad, einen großgewachsenen Mann mit kurzen schwarzen Haaren, zu. Als ich ihn anspringe, umfasst er mich fest und wirbelt mich herum.

„Na, meine Kleine", lacht er währenddessen und lässt mich kurz darauf wieder herunter.
„Ich bin nicht klein, ich bin schon fast fünf!"

Bockig verschränke ich die Arme vor der Brust und ziehe eine Schnute.

„Natürlich, natürlich", abwehrend hebt er die Hände und lässt erneut sein warmes Lachen erklingen.
„Mein Wölfchen wird schon bald fünf", seufzt er wehmütig und wuschelt mir durch die Haare.

„Wieso nennst du mich eigentlich immer Wölfchen, Daddy?", frage ich und luge mit großen Augen unter seiner Hand hervor.
„Weil Wölfe groß, stark und mutig sind und sie ein Teil von dir wie von mir sind. Sie werden dich immer beschützen."
„Das ist mir zu kompletisiert", murre ich. „Du meinst zu kompliziert?", feixend und mit Schalk in den Augen blickt er zu mir herunter.

„Klugpupser, Klugpupser, Daddy ist ein Klugpupser!" singe ich und schmeiße mich erneut in seine Arme. Lachend hebt er mich so hoch, dass ich auf einer Höhe mit seinem Gesicht bin.

„Und du bist einfach nur frech", prustet er und gibt mir einen sanften Kuss auf die Stirn. Zufrieden kuschle ich mich in seine sehr warmen Arme und lächle.



Ich schrecke kerzengerade hoch.

Schwindel überkommt mich, aber ich kann nur an eins denken: Mein Dad nannte mich immer Wölfchen! Ich hatte es total vergessen. Es kann doch kein Zufall sein, dass der seltsame Mann mich genauso nannte wie mein Dad früher, oder? Kannten sie sich etwa?

Erneut lasse ich meinen Körper in den Sand fallen. Verzweifelt versuche ich mich auf diese neue Erkenntnis zu konzentrieren, aber meine Kopfschmerzen und das Fieber machen es mir unmöglich.

Plötzlich erscheint über mir das strenge Gesicht meiner Mom.

„Darf ich fragen, was du hier draußen machst, Fräulein? Eine Kranke gehört ins Bett!"

Noch bevor ich widersprechen kann, zieht sie mich hoch und schiebt mich in Richtung Haus, während sie mich stützt. Wir reden nicht mehr über den Streit von vor kurzem, stattdessen streicht sie seit ich krank bin wie eine überbesorgte Glucke um mich herum.

In meinem Zimmer lasse ich mich müde ins Bett fallen.

„Ich bringe dir nachher etwas Hühnersuppe." Damit verschwindet sie wieder aus meinem Zimmer.

Bevor ich mich dagegen wehren kann, fallen meine Augen erneut zu und die Müdigkeit überwältigt mich wie eine Dampfwalze. Mein letzter Gedanke, bevor ich in einen traumlosen Schlaf sinke, ist: Ich hasse Fieber.




Das Rumpeln meiner Mom, während sie einen Teller Hühnersuppe neben mir abstellt, weckt mich. Die Müdigkeit ist verschwunden und macht neuer Kraft Platz.

„Sag mal, Mom...kannte Dad jemanden mit roten Augen?", stelle ich die erste Frage, die mir in den Sinn kommt.
Erschrocken sieht sie mich an und legt ihre Stirn in Falten.

„Ich dachte, wir hätten ausgemacht, nicht über ihn zu reden", erwidert sie streng.
„DU hast gesagt, dass wir nicht über ihn reden. Dem habe ich nie zugestimmt, also sag nicht, wir hätten es zusammen entschieden!", grolle ich und Wut überrollt mich wie eine stahlendrote Welle.
„Dyla!", ruft sie mich streng zur Ordnung und ihre Augen funkeln warnend.
„Nichts da, Dyla!", ich springe auf. „Tu nicht so, als wäre ich hier die Böse! Ich will nur was über meinen Dad erfahren! DAS IST VERDAMMT NOCHMAL MEIN RECHT!"

Meine Stimme wird zum Ende hin immer lauter, bis ich fast brülle, und rasender Zorn wütet durch meine Adern wie glühende Lavaströme. Nur am Rande nehme ich wahr, wie mein ganzer Körper zittert und bebt.

„Dylara Faith Nightingale, beruhige dich, SOFORT!", ruft meine Mom entsetzt, als sie meine Veränderung mit Schrecken erkennt. Aber es ist zu spät.

„GAR NICHTS MACHE ICH!", brülle ich und im nächsten Moment ist das Einzige, was ich noch wahrnehme, ein ohrenbetäubendes Reißen.



Als das reißende Geräusch verklingt, nehme ich langsam wieder meine ganze Umgebung wahr. Ich stehe mitten in meinem Zimmer, aber irgendetwas ist komisch. Mein Bücherregal ist nach vorne umgefallen und am Boden erkenne ich riesige Kratzspuren.

Mein Blickfeld weitet sich. Plötzlich höre ich ein Stöhnen und wende den Kopf. Unter mir liegt meine Mom auf dem Rücken, eine kleine Blutspur läuft über ihr Gesicht.

Doch das ist es nicht, was mein Herz erstarren lässt.

Es sind ihre Augen. Sie blicken direkt in meine, doch in ihnen liegt ein Ausdruck, den sie noch nie wegen mir gezeigt hat.

Angst.

Sie spiegeln mich selbst wieder und was ich erkenne, lässt mich zurücktaumeln. Ein Monster. Ich bin ein Monster.
Ich wende meinen Blick nach unten und erkenne mit Schrecken Pfoten statt Füße.

Zutiefst erschüttert jaule ich auf. Ich bin ein Monster und meine eigene Mom ist wegen mir verletzt. Sie hat Angst vor MIR!

Weg, ich muss weg.

Panisch springe ich an Mom vorbei, die sich gerade aufrappelt und stolpere die Treppe herunter.

Ich rase durch die Haustür, die zum Lüften geöffnet ist, über den Strand und weiter durch den Wald. Meine Umgebung verschwimmt vor meinen Augen so schnell bin ich.

Ich stoppe nicht, als der Wald von Feldern abgelöst wird und auch nicht, als ich erneut durch einen mir nun fremden Wald renne.

Unermüdlich tragen mich meine Beine vorwärts, egal wohin.

Ich laufe, bis meine Gedanken verschwimmen und sich in der unendlichen Weite verlieren.

Free Wolf - A Twilight FanFiction #TheIndividuals2019 #HolidayAwardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt