4.1 ♌︎ Candice

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»Nein!«, ist das Erste, was aus meinen Mund strömt. »Nein, das ist nicht möglich!«

»Ich kann verstehen, wenn das etwas viel für dich ist, aber du musst mir glauben, das ist die Wahrheit.« Er schluckt. In diesem Augenblick zieht ein gleißend heller Blitz über den gesamten Himmel und taucht die Nacht für den Bruchteil einer Sekunde in kaltes weißes Licht.

»Ich muss zu meinem Dad«, platzt es aus mir und im nächsten Moment laufe ich am triefend nassen Daniel vorbei, hinaus in die stürmende Nacht.

»Candice!«, schreit mir Kate hinterher.

Ich bin noch in Kates Hausschuhen und in der Schlabberkleidung, aber das ist mir im Moment reichlich egal, ich muss unbedingt zu meinem Vater. Ich ziehe mir die Kapuze von Brandons Hoodie über den Kopf, was aber leider wenig nützt weil sie schon durchnässt ist, als ich am großen Tor der Kingsman angekommen bin.

In meinem Rücken vernehme ich in diesem Moment zwei tanzenden Lichtkegel und ein Motorengeräusch, das sich gegenüber dem Rauschen des Regens durchsetzt. Kies knirscht unter den Reifen von Kates schwarzen Sportwagen.

»Ich fahr dich nach Hause!«, brüllt sie, bemüht, das Geräusch des Regens und das des Motors zu übertönen.

Weil ich schon wieder nass wie ein Pudel bin und das Wetter offenbar nicht vorhat eine Pause einzulegen, laufe ich schnell um Kates Wagen herum und springe auf den Sitz der Beifahrerseite.

Im Inneren des Wagens ist es still und warm.

»Keine Sorge, meine Mutter kümmert sich um ihn«, sagt Kate tonlos, als sie auf die Straße biegt und an Josephines Haus vorbeifährt.

»Was wenn er wirklich mein Vater ist?«, einfährt es mir beinahe panisch.

Wir sehen uns überhaupt nicht ähnlich. Wir sind sowas von verschieden. Er hat schwarzes Haar, ich blondes. Naja, ich habe braunes Haar. Verdammte Scheiße, ich habe braunes Haar! Und ich hab türkise Augen, die eine perfekte Mischung aus den blauen Augen von Daniel und den olivgrünen Augen meiner Mutter sind.

»Candice, der Mann ist nicht ganz sauber, du solltest jetzt keine voreiligen Schritte machen!« Kate konzentriert sich auf die klitschnasse Straße und blickt angestrengt durch die Windschutzscheibe dessen Scheibenwischer bei der Masse an Regen kaum nachkommen.

»Aber, was wenn es doch stimmt und mein Vater gar nie mein echter Vater war?« Ich muss mich am Griff der Tür festhalten, um nicht durchzudrehen. Mein Herz klopft wie verrückt gegen meine Brust.

»Hier, nimm mal mein Handy und schreibe Mary, dass wir den Filmabend auf morgen verschieben«, kommt es zusammenhangslos von Kate.

Ich fass es nicht, dass Kate jetzt noch immer an Mary denkt. Aber ich bin still und mache es einfach, weil ich keine Lust auf Streit habe.

»Warum?«, frage ich in die Stille. Warum dachte ich noch vor vier Jahren, dass ich eine perfekte Familie habe? Aber wie es sich herausgestellt hat, war all das bloß das ein Konstrukt aus Lügengeschichten und Schmerz. Und ich hab es nicht einmal geahnt. Wie blind kann man nur sein?

»Was meinst du mit Warum?«, fragt Kate.

»Nicht wichtig«, entgegne ich abwinkend, »nicht so wichtig, Kate.«

Kate fragt nicht noch einmal nach. Aber es wundert mich kein bisschen, das hat sie nie getan.

Nach etwa einer Minute betätigt Kate den linken Blinker und parkt ihren Wagen in unsere Einfahrt. Kaum steht das Auto, platze ich raus in den strömenden Regen und laufe auf die Stufen zu, die zur Haustür führen.

Tausende schwere kalte Tropfen prassen auf mich nieder und durchweichen meine ohnehin schon nasse Kleidung völlig. Beinahe wäre ich auf den rutschigen Holzstufen ausgerutscht, aber im letzen Moment fange ich mich auf.

Greyforks | Staffel 2 || SerieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt