Die gute alte Zeit

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(Amilia)

„Amy." Jemand rüttelte sanft an meiner Schulter. Knurrend schlug ich die Hand weg und drehte mich auf die Seite. Dabei umklammerte ich ein Kissen mit beiden Armen. Wer wagte es mich so früh zu wecken und mich zwingen zu wollen aus diesen wunderschönen, weichen Bett aufzustehen? Ich würde ihn ja mit beiden Händen erwürgen, wenn ich nicht zu müde dazu wäre. Wieder wurde an meiner Schulter gerüttelt und nochmals schlug ich nach der Hand. „Kusch", murmelte ich als wäre die Person nur eine lästige Fliege. Ein tiefes Lachen erklang und die Hand strich mir mein Haar aus dem Gesicht. „Zwing mich nicht zurück ins Bett zu kommen, Amy. Das wirst du ganz bestimmt nicht mögen", hörte ich Logan sagen und machte eine abwinkende Handbewegung. Egal was er vorhatte es würde mich bestimmt nicht daran hindern weiter zu schlafen. Noch bevor ich wieder in einen tiefen Schlaf sinken konnte spürte ich ein Gewicht auf mir und im nächsten Moment steckte ein nasser Finger in meinen Ohr. Ein Schrei verließ meine Kehle und ich riss die Augen auf. Logan saß auf mir, die Hände auf seinen Oberschenkeln abgelegt und ein breites Grinsen zierte sein Gesicht. Seine Augen strahlten vor Schalk und er schien sich bewusst zu sein was er eben getan hat. „Hast du mir grade deinen angeleckten Finger ins Ohr gesteckt", zischte ich, was ihm noch mehr zum Grinsen brachte. „Vielleicht", konterte er und beugte sich vor. 

Er legte die Arme rechts und links von meinen Kopf ab und sein Gesicht kam meinen gefährlich nah. Ich spürte seinen Atem auf meinen Gesicht der nach Zahnpasta roch. Es war nicht unangenehm oder so, ganz und gar nicht. Oh Gott, was hatte er überhaupt vor? Wieso lag er quasi auf mir und grinste mich so verschwörerisch an? Etwas nervös legte ich meine Hände auf seine Brust und spürte durch den dünnen Stoff des T-Shirts die Wärme die von ihm ausging. Ich betrachtete sein Gesicht, welches zugegebener Maßen auf seine maskuline Weise sehr ansprechend war. Die hohen Wangenknochen, die eisblauen Augen welche von dichten Wimpern umrahmt wurden und die vollen Lippen. Alles kam mir auf eine merkwürdige Weise bekannt vor. War ich ihm in der Vergangenheit schon mal so nah gewesen? Mir fiel auf, dass Logan mich mit der gleichen Faszination anschaute wie ich ihm, nur dass ein weiterer, mir unbekannter Ausdruck diese begleitete. Er blinzelte ein paar Mal und sprang förmlich aus dem Bett. „Du solltest jetzt wirklich aufstehen", meinte er und seine Stimme klang ungewohnt rau. Noch bevor ich ihm in die Augen schauen konnte um vielleicht einen Fetzen von seiner Laune zu erhaschen drehte er sich um und zog sich seinen Mantel an. „Ich geh etwas zu essen holen. Ich bin in einer halben Stunde wieder da." 

Ich setzte mich auf und zog die Knie an die Brust. „Du solltest nicht alleine in der Stadt herum irren", widersprach ich und schaute mich bereits nach meiner Kleidung um damit ich ihn begleiten konnte. Auch wenn er sich die Haare gefärbt hatte würde man ihn erkennen, wenn man nur etwas genauer hin schaute. Das Outback war nicht sicher für den Prinzen dieses Landes und das wusste er genau. „Du musst dir keine Sorgen machen", versuchte er mich zu beschwichtigen und drehte sich zu mir um. Seine Augen waren ausdruckslos und mir wurde plötzlich klar, dass er ziemlich gut darin sein musste seine Gefühle zu verstecken. Sich zu verstellen. Er hatte jahrelang versteckt gelebt oder nicht? „Aber..." „Amy..." Logan war mir mit drei großen Schritten wieder nah und ich spürte seine warmen Lippen auf meinen. Es war nur ein kurzer Kuss, nur eine kleine Berührung unserer Lippen und trotzdem spürte ich wie Hitze durch meinen Körper schoss. „Ich pass auf mich auf", hörte ich ihn versprechen und spürte wie er mir einen weiteren Kuss gab. Dieses Mal aufs Haar. Noch bevor ich etwas sagen konnte hatte er bereits das Zimmer verlassen.

(Logan)

Warum hatte ich sie nur geküsst? Diese Frage stellte ich mir immer und immer wieder als ich durch die Straßen zog und in den wenigen Geschäften etwas Essbares kaufte. Ich hätte sie nicht küssen sollen. Sie erinnerte sich nicht an mich. Sie wusste zwar, dass ich sie liebte, aber es beruhte nicht auf Gegenseitigkeit. Für sie war ich ein Fremder. Ich blieb in einer kleinen Gasse stehen und lehnte mich gegen die alte Backsteinmauer eines Hauses. Der letzte Abend hatte sich seit langen mal wieder gut angefühlt. Ich hatte es vermisst mit ihr zu reden, einmal Achtsamkeit aufzugeben und ihr einfach zu sagen was ich dachte. Ich war nicht stark und ich wusste ich konnte Amy nicht zu hundert Prozent beschützen, aber ich würde alles dafür tun, dass sie an meiner Seite blieb. Sie war der einzige Grund warum ich in den letzten Monaten noch bei verstand geblieben war. Warum ich jeden Schritt den ich gemacht hatte drei Mal überdacht hatte und warum ich den Rat bis jetzt noch nicht abgesetzt hatte. Ich musste sie zuerst in Sicherheit wissen und nichts war besser als ihr jetziger falscher Name, die gefärbten Haare und das veränderte Verhalten. Niemand würde sie erkennen, wenn sie außerhalb von Neu Denver blieb. Sie müsste nur solange dort bleiben bis es sicher war. Bis der Rat keine Gefahr mehr war. Seufzend legte ich den Kopf in den Nacken und schaute in den schneegrauen Himmel. Trotzdem wünschte ich mir sie würde sich an mich erinnern. Wenigstens an unsere letzten Momente zusammen bevor alles dem Bach runter ging.

Erinnerungen aus ScherbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt