Mit Jaxx an meiner Seite verlasse ich die Halle und trete hinaus in die pralle Sonne. Ich kneife meine Augen zusammen und lehne mich an ihn. „Was tut man nicht alles für Ordnung", murmle ich. Er lacht leise. Langsam fährt seine Hand meinen Rücken hinunter und stoppt abrupt. Er dreht mich so, dass er meinen Rücken sehen kann. „Alles okay, Emilia?" Dass er mich so nennt, macht mich stutzig, seit über einem Monat redet er mich nur noch mit Victory oder Emmy an. „Jap." Ich zögere. „Was ist?" Ich drehe den Kopf zu ihm um. „Das klingt jetzt verrückt, aber dir steckt ein Messer im Rücken."
Das Piepsen eines Herzmonitors weckt mich. Da ich inzwischen weiß, wie sehr das Licht blendet, lasse ich meine Augen geschlossen. Doch irgendetwas stimmt nicht, als ich den Kopf heben will, um mich aufzusetzen. Irritiert reiße ich die Augen und den Mund auf und habe fast sofort ein Kissen zwischen den Zähnen. Könnte ich meine Hand bewegen, würde ich mir jetzt die flache Hand gegen die Stirn hauen. Ich hatte ja ein Messer im Rücken. Langsam drehe ich mich auf die andere Seite, als Jaxx hereingestürmt kommt. „Sag mal, spinnst du?" Ich verziehe den Mund bei dieser freundlichen Begrüßung. „Du kannst dich doch nicht auf deine Wunde legen!" Vorsichtig dreht er mich auf den Bauch zurück und fasst mich dabei vorsichtiger an als ein rohes Ei. „Tut doch gar nicht weh", nuschle ich jetzt wieder in mein Kissen. Er hält sich die Hand vor die Augen und verzieht das Gesicht. „Anscheinend ist es doch so schlimm", sagt er mehr zu sich selbst. „Hä?" Doch anstatt einer Antwort verlässt er den Raum. Habe ich irgendetwas Falsches gesagt? Aus einem Bedürfnis heraus schreie ich in mein Kissen. Es tut gut, Luft abzulassen. Doch weiter komme ich nicht, denn Jaxx betritt den Raum wieder und schleift Doc hinter sich her. „Sie fühlt nicht einmal das!" Jaxx sieht aufgebracht aus. Ich habe immer noch keine Ahnung, worüber er sich eigentlich aufregt. „Was zum Henker ist denn los?", frage ich jetzt ungeduldig. Bestätigend schaut Jaxx Doc an und der mich. „Victory, ich möchte einen kleinen Test mit dir machen. Schließ die Augen und sag mir, wo es weh tut." Ich tue wie geheißen. Doc macht keine Geräusche, weshalb ich nicht weiß, ob er überhaupt noch im Raum ist. „Entspann dich und konzentriere dich auf den Schmerz. Wo ist er?" Ach ja, Schmerz. Ich komme mir ein bisschen dämlich vor, als er so mit mir spricht, aber ich horche in mein Inneres und suche eine Quelle dieses Gefühls. Da war was! „Linke Wade, direkt unter der Kniekehle", sage ich. „Weiter so." Doc klingt ganz ruhig. Ich horche wieder. Ein stechender Schmerz durchfährt meinen Nacken. „Atlas!" „Okay, das reicht!" Jaxx klingt panisch. Doc seufzt und besprüht ein paar Stellen meiner Haut mit Desinfektionsspray. Der beißende Geruch brennt in meiner Nase. „Victory?" Jaxx beugt sich plötzlich neben mich. „Kannst du aufstehen?" „Natürlich." Ich drehe mich auf den Bauch und schwinge die Beine aus dem Bett. Doc reicht mir einen Bademantel, der weniger als ein Hauch von Nichts ist. Und genau so wenig wärmt er mich. „Komm mit." Jaxx nimmt mich an der Hand und führt mich auf einen gläsernen Gang hinaus. „Wo bin ich hier?" Staunend betrachte ich, wie sich das Licht in den Scheiben bricht und Regenbögen auf den Fußboden wirft. „Das ist dein privater Krankenflügel in der Baze." Wir erreichen eine Zwischentür, die von der anderen Seite keinen Griff hat, sondern nur mit einem Fingerabdrucksensor ausgestattet ist. Doc öffnet sie weit und wir gehen hindurch. Sofort wird die vorher kalte Luft warm. Gleich darauf stehen wir wieder vor einer geschlossenen Tür.
Jaxx öffnet sie mir und lässt mich als Erste den kalten, weißen Raum betreten. An der Wand hängen Leuchtmonitore und Röntgenbilder liegen verstreut auf einem großen Tisch in der Mitte herum. Das einzige Stück, das die Gegenwart von Aliens verschreit ist eine Kaffeetasse, die einen kleinen Schmutzrand auf der Tischplatte hinterlassen hat. „Setz dich." Doc deutet auf einen Stuhl, der vor einem Monitor steht. Ich tue wie mir geheißen und nehme Platz. Fachmännisch baut sich Jaxx neben der Leuchtplatte auf. „Hier kann man deine Wirbelsäule sehen, als das Messer noch in deinem Rücken gesteckt hat. Sie wird nicht berührt, aber die Klinge befindet sich gefährlich nahe am Knochen. Du kannst von Glück reden, dass Jaxx das bemerkt hat, sonst..." Er spricht den Satz nicht zu Ende, doch mir ist klar, was er meint. Hätte ich es nicht bemerkt, hätte das Messer mich gelähmt. Für den Rest meines Lebens, sofern ich dann noch eins gehabt hätte. Und allmählich verstehe ich, weshalb Jaxx so aufgebracht war. Ich habe nämlich nichts gespürt. „Dieses Foto habe ich eben von deinem Rücken gemacht." Er hält mir ein Stück Papier vor die Nase. Darauf kann man meinen Rücken sehen und erschreckender Weise auch ein paar Nadeln, die in der Haut stecken. Ziemlich tief. „Du hast von diesen sieben Stichen nur zwei bemerkt, die an den schmerzhaftesten Stellen. Wir befürchten, dass deine Schmerzunempfindlichkeit auf Dauer zu einem Problem werden könnte. Wenn du nicht einmal bemerkst, dass dir ein Messer im Rücken steckt, was machst du dann, wenn du sich anderweitig verletzt?" Das ist eine gute Frage. „Weshalb ist das so?" Innerlich sträube ich mich dagegen, das zu erfahren, aber ich habe keine andere Wahl. Wenn ich eine gute Königin sein will, muss ich strapazierfähiger sein als alle anderen zusammen. Jaxx holt tief Luft. „Du erinnerst dich doch bestimmt noch an die Zeit, als du zum Psychologen gegangen bist und der ein kaltes Herz diagnostiziert hat. Ich fürchte, dass du emotional nicht dazu im Stande bist, zu fühlen, zu weinen oder Ähnliches, hat auch dein Schmerzempfinden beeinträchtigt. Du blendest das Gefühl einfach aus und bemerkst Verletzungen nur, wenn du dich darauf konzentrierst." Die Antwort trifft mich wie einen Schlag. Wenn ich keinen Schmerz fühle, wird auch der Rest nicht besser. Ich werde immer kälter und kann nichts dagegen tun.
DU LIEST GERADE
Victory
ActionWas tut man, wenn man entführt wird? Wehrt man sich oder spielt man mit? #1 in Entführung (05.09.2018)