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Die Eingangshalle sieht der in Malibu nicht einmal ähnlich. Die Wände sind dunkel vertäfelt, das einzige Licht spenden antik aussehende Lampen, die an der Wand hängen. Eine große geschwungene Treppe, die mit Teppichen ausgelegt ist, beginnt mitten im Raum. „Wir sind zu Malibu natürlich kein Vergleich. Aber wir bestehen trotzdem auf einen gewissen Standard." Fothy streicht über einen Holzbalken und lächelt mich an. „Aber genug geredet, meine Liebe. Wir müssen in unser Kontrollzentrum." Er nimmt wieder meine Hand und führt mich zu der Treppe. Unter meinen Füßen fühlt sich der schwere Teppich komisch an. Doch der Anblick des hiesigen Kontrollzentrums lässt mich das sofort vergessen. In dieser totalen Idylle scheint ein einziger Raum aus dem Konzept zu schlagen. Das Zentrum ist hell erleuchtet und die Wände sind strahlend weiß. Überall stehen wie in Malibu Bildschirme herum. Und eine ganze Legion von schwarz gekleideten Menschen wuselt herum. „Fast wie Zuhause." Jaxx stellt sich neben mich. „Damit wir uns überall schnell zurechtfinden." Wir gehen zu einer Gruppe von Schreibtischen, die leer im Raum stehen. „Wir haben ein bisschen Platz gemacht, damit ihr euch ausbreiten könnt." Bez und Bernie stellen die Koffer, die sie bis dahin in der Hand hatten, ab, und öffnen sie. Zur Abwechslung kommen mal ein paar Kabel und Bildschirme zum Vorschein. „Ich zeige euch jetzt eure Zimmer." Fothy dreht sich auf dem Absatz um und geht wieder auf den dunklen Gang hinaus. Ein leicht komischer Geruch umweht uns. „Ach ja, Jaxx, ich hätte gerne einen neuen Koch. Riechst du das? Das sind angebrannte Salbeiblätter und verkohlte Toastbrote." Er sieht leicht angesäuert aus. Aber es riecht auch wirklich streng. Vielleicht kann ich mich ein bisschen beliebt machen. „Ich werde mich darum kümmern. Welches Land soll es denn sein?" „Italien!" Fothy grinst mich wie ein kleines Kind an, das gerade seinen ersten Basketball bekommen hat. Ich nicke. „Wird erledigt." Jaxx grinst hinter vorgehaltener Hand. Fothy hüpft fast weiter. Wir biegen um eine Ecke und halten vor einer massiven Doppeltür. „Da wären wir. Die Victory-Suite. Ich habe Anweisung gegeben, sie zu säubern und neu auszustatten. Dein Vater war nämlich nie hier. Die Möbel waren ein wenig altbacken." Wie ein Zauberer öffnet er mit einer Handbewegung die Türen, die geräuschlos aufschwingen. Und wieder ein Stilbruch. Haben die mich studiert? Die Suite ist lichtdurchflutet und strahlend weiß. Die Möbel sehen aus, als hätten sie noch nie einen Menschen auch nur gesehen. Der Boden bildet einen starken Kontrast zum Rest, er ist glänzend schwarz. „Gibt es so was in jedem Standpunkt?" Jaxx nickt. „Jap. Aber die meisten hat dein Vater noch nie besucht." Mir klappt das Kinn runter. „Oh Mann." Bez geht grinsend an mir vorbei und wirft sich auf das Sofa. Jaxx führt mich in das größte Zimmer. „Diese Wohnung ist für dich und dein Team, das heißt, die anderen wohnen auch hier. Aber du bekommst das beste Zimmer. Das steht dir immer und überall zu." Ich überlege einen Moment. „Wie viel Geld habe ich eigentlich?" „Unendlich. Wenn du was haben willst, ist jeder Verbrecher dazu verpflichtet, es dir zu geben. Außerdem hast du natürlich auch ein Barvermögen. Das dürften inzwischen so bei 80 Milliarden stehen. Die Vorräte sind auf verschiedene Stadtpunkte aufgeteilt." Meine Hände beginnen zu zittern. „Wirklich? Ist das nicht ein großer Fehler, wenn eine einzelne Person Macht über die ganze Welt hat?" Jaxx schüttelt den Kopf. „Nein. Der Mensch ist ein Herdentier. Und jede Herde hat einen Anführer. Wir treffen uns in naher Zukunft noch mit ein paar Staatschefs. Sie wissen alle von dir, gleichzeitig aber auch nicht. Keiner hat euch je gesehen." Er wechselt automatisch in die Mehrzahl. „Sie können sowieso nichts gegen uns unternehmen. Und sie wissen, dass wir eine Vielzahl Verbrecher an der kurzen Leine halten. Stell dir mal vor, sie würden einfach so morden. Weil sie nichts Besseres zu tun haben." Hatten wir das nicht schon einmal? Ich zucke mit den Schultern. Wenn sie das so wollen, bekommen sie es halt. Jaxx stellt die Tasche, die er in der Hand hatte, auf eine Kommode. „Kommst du mit? Wir müssen noch deine anderen Klamotten aus dem Auto holen." Ich seufze und folge ihm zurück auf den Flur. Als wir in die Sonne treten, wird der Transporter gerade entladen. Eine Kette hat sich gebildet und die Koffer voller Waffen werden immer weitergereicht, bis sie in einer Tür verschwinden. Wir gehen zu Jaxx Auto und öffnen die Heckklappe. „So groß ist das Mistding?" Geschockt schaue ich Jaxx an. „Was denkst denn du? Sie macht doch keine halben Sachen." Wir fassen jeder an einer Seite an und wuchten den riesigen Schrankkoffer aus dem Kofferraum. „Was ist da noch mal drin?" Ich schaue Jaxx zweifelnd an. „Okay, das ist komisch. Soweit ich weiß, wiegen Klamotten keine hundert Kilo." Bez kommt angelaufen und hilft uns. Zu dritt kämpfen wir und in die Eingangshalle und tragen den Koffer die Treppe hoch. Kaum sind wir oben angelangt, setzten wir ihn einen Augenblick ab um zu verschnaufen. Dabei komme ich an einen kleinen Knopf, der mir bis dahin noch überhaupt nicht aufgefallen ist. Im selben Moment fahren am unteren Ende Räder aus der Kofferschale und das gesamte Gebilde wächst schlagartig um zehn Zentimeter. Jaxx schlägt sich gegen sie Stirn. „Das darf doch nicht wahr sein, dass das Teil Rollen hat!" Ich muss unweigerlich grinsen. Irgendwie war klar, dass so etwas passiert. Jaxx beginnt, das Teil in die Suite zu schieben, doch leider geht die Tür auf und eine Kleiderstange fährt sich automatisch aus. „Mist!" Gemeinsam versuchen wir, das Teil wieder zurück zu fahren, doch es bewegt sich keinen Millimeter mehr. Langsam geht mir das Teil wirklich auf die Nerven. „Wir lassen es einfach hier stehen. Ich hab keine Lust mehr." Also gehen wir ohne Kleider in die Suite. Zielstrebig steuere ich das Badezimmer an und schließe die Tür hinter mir. Erleichtert ziehe ich die Klamotten aus und stelle mich unter die Dusche. Das heiße Wasser prasselt mir auf die Schultern. Nachher werde ich mich mit dem Chef des FBI treffen. Seit wir gestern angekommen sind habe ich nichts mehr gegessen und mein Magen knurrt inzwischen dem entsprechend laut. Ich trete aus der Dusche und wickle mich in ein großes Handtuch. Im Schlafzimmer steht Jaxx vor dem Spiegel und betrachtet sein neues Outfit. „Ich muss schon sagen, das hat Stil." Ich nehme ihn von hinten in die Arme und lege mein Kinn auf seine Schulter. „Wann geht es genau los?" Er seufzt. „Thekla hat ein Stylisten-Team geschickt, die dich in ein paar Minuten mitnehmen." Ich verdrehe die Augen. „Muss das sein?" Er nickt. „Ja. Wenn du Eindruck machen willst, kannst du nicht in deinen üblichen Klamotten da aufkreuzen." „Was soll das denn bitte bedeuten?" Ich schaue ihn an. „Man kann ja alles bestreiten, aber früher warst du besser angezogen. Aber keine Angst, ich liebe dich trotzdem." Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Besser angezogen kann er haben. In diesem Moment klopft es an der Tür. Ich seufze und schlurfe lustlos in Richtung Ausgang. Vor der Tür stehen drei Männer, allesamt in schwarzen Hemden und Hosen. Sie haben identische Frisuren und tragen alle dieselbe Sonnenbrille. Sieht ein wenig nach Men in Black aus. Aber egal. „Miss Victory, wir haben die Erlaubnis, Sie mitzunehmen." Ich hebe geschlagen die Hände. „Ist ja gut. Aber bloß nicht siezen!" Die drei nicken synchron und nehmen mich in ihre Mitte. Gemeinsam gehen wir los. Nach ein paar Ecken und sonstigen Hindernissen erreichen wir einen Raum, der an die Garderobe eines Filmstars erinnert. Der große Spiegel ist von Glühbirnen eingerahmt, davor steht ein gemütlich aussehender Sessel. „Dürfte ich bitten?" Einer der drei drückt mich sanft in den Sessel und nimmt das Handtuch vom Kopf. „Ah, sehr gut. Hast du eine Kur in die Haare gemacht?" „Jap. Alles erledigt." Um genau zu sein hat Thekla mir eine große Liste geschrieben, auf der genau steht, welche Pasten ich mir wann in die Haare schmieren soll. Ehrlich gesagt glaube ich aber, dass das Ergebnis immer das gleiche ist, egal ob Billigshampoo oder High-End-Lotion. Ich bekomme Kopfhörer aufgesetzt und einen Ipod in die Hand gedrückt. Wahllos tippe ich auf dem Bildschirm herum und drücke willkürlich auf eines der Cover. Skyfall. Ich schließe die Augen und dämmere weg.

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