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Manche Einwohner gärtnerten weiter, nachdem fast alle mich freundlich begrüßt oder mir einfach zugenickt hatten. In einem der Vorgärten standen drei Mädchen, schwarzhaarig, brünett und rothaarig. Ich dachte zuerst, mein Gehirn spielt mir einen Streich, vielleicht zu wenig Luft durch meine Atmung, doch als das braunhaarige Mädchen sich zu mir drehte, hätte ich mich selbst vergraben wollen. Ich verlangsamte mein Tempo und hielt letztlich vor dem Haus, wo mich sechs Augen verwundert musterten. In meinem Hals bildete sich ein Kloß, als ich Miracle ansah. »Hallo«, war das einzige, was ich herausbrachte, in Anbetracht ihrer Schönheit. »Du gehst Joggen? Die Vorstellung ist neu.«, grinste Renya mir zu, ich blinzelte nur ein paar Mal, bis mir mein Kopf die Bedeutung dessen durchleitete. Ich schüttelte den Kopf. »Ich wollte den Kopf frei kriegen. Stress und so, sehr unproduktiv für eine Band.«, erklärte ich Halbwahrheiten, die ich am liebsten sofort mit der Wahrheit ausgetauscht hätte. Miracle zeigte mir einen weiteren Gesichtsausdruck, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Undefinierbar und unerforscht, als ob ein neues Gebiet auf der Welt entstanden wäre. »Dürfen wir mitkommen?« Ihr Blick wurde weicher, fast flehend und ich wusste nicht wirklich, was ich antworten sollte. Natürlich wollte ich sie bei mir haben, ihre Anwesenheit war schön, doch genauso brachte sie mich auch durcheinander. Das "wir" in dem Satz wurde von Renya zerstört, die einen Schritt zu ihrer Schwester tat und ihr eine Hand auf die Schulter legte. »Ich habe nicht so wirklich Lust darauf, Mira.« Entschuldigend sah sie sie an, in Racles Gesicht zeigte sich Unentschlossenheit. »Und wenn ich, natürlich nur, wenn es okay ist, mit dir allein jogge?« Sie lächelte mich an, doch schon vor wenigen Sekunden hatten mich ihre Augen überzeugt, die mir eine einzige, große Bitte zeigten. Die Schwarzhaarige blickte verwirrt und überrascht zugleich drein, als hätte Sport ohne sie niemals stattgefunden. Bisher hatte keine Aktion ohne sie stattgefunden. »Dann aber schnell, sonst kühle ich aus, bevor ich überhaupt hundert Meter gelaufen bin.«, gab ich dann das Schlusswort, worauf Miracle sofort ins Haus stürmte. »Pass ein bisschen auf sie auf.«, kam es von Violet, die ihre roten Haare gerade um den Finger wickelte und sich dem Garten erneut zuwandte. Gerade wollte ich das ganze hinterfragen, als die junge Frau in Sportsachen wieder zum Vorschein kam. Ein eng anliegendes Tanktop wandt sich um ihre Taillie und ihre schmalen Schultern, die kurze Hose betonte die langen Beine. Ich musste einmal kräftig einatmen, um nicht den Verstand zu verlieren. Ich hielt mich an Reds Bitte, ließ sie erst ein paar Meter vorlaufen, um mich dann ihrem Tempo anzupassen. Schweigend liefen wir nebeneinander, verhältnissmäßig rannte sie schneller als andere Mädchen, die ich kannte. Sie musste gut trainieren, um mit einer solchen Leichtfertigkeit mit mir mithalten zu können. Es zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen, als ich daran dachte, dass das Joggen eigentlich für das Kopf frei kriegen da war und jetzt die Person neben mir lief, über die ich nachdenken wollte. Die Fragen, die ich mir gestellt hatte, verschluckte ich immer wieder, wenn ich meinen Kopf zur Seite drehte und den konzentrierten Gesichtsausdruck auf ihrem süßen Gesicht sah. Ihr Pferdeschwanz zuckte bei jedem Schritt auf, das blaue Haargummi rutschte manchmal etwas runter, was sie mit einem erneuten festziehen quittierte. Ihr Atmen verwirrte mich manchmal. Sie atmete einmal ein und drei Mal stoßweise aus, ich hingegen versuchte so gut wie möglich meine normale Atmung beizubehalten, was ich jedoch nicht schaffte und so beschloss, mich ihrem Rhytmus anzupassen.
»Es ist wegen«, sie atmete ein, »Freitag, oder?« Ihre direkte Art ließ mein Herz gefühlt stillstehen. Ich traute mich nicht, meinen Körper einen Millimeter zu bewegen, doch letztlich nickte ich nur schwach. Ich hätte mich am liebsten wegen meiner Zurückhaltung geschlagen. Ich sah stur nach vorne, doch die Anziehungskraft zwischen meinen Augen und ihrem wunderschönen Körper war zu stark, also sah ich direkt in ihr Gesicht. Sie weinte, eine Träne nach der anderen ertatstete sich den Weg über ihre Wange, die so unglaublich weich aussah. Ich hielt sie am Arm fest, damit sie anhielt. »Hör auf zu weinen.«, befahl ich ihr, vielleicht etwas zu schroff. »Hör bitte auf zu weinen.« Ich legte einen Arm um ihren Rücken, sie sah zu mir hinauf und noch mehr Tränen verließen ihre Augen. »Die Welt ist so unfair.«, schluchzte ihre rauchige Stimme. Ich strich ihr über die weiche Wange. »Wieso bist du so unfair zu mir?« Das unheimlich traurige Gesicht mit der schmerzlichen Aussage versetzte mir einen Stich ins Herz, ich hätte am liebsten meinen Körper zusammenzucken lassen. »Wie soll ich dir wie
Widerstehen können, wenn du nunmal so bist, wie du eben bist?« Ich brachte ein zartes Lächeln zustande. »Indem du aufhörst, zu widerstehen.« Nachdem ich diesen Satz ausgesprochen hatte, sah sie mich verweint an, die röte in ihren Augen stand ihr nicht. »Du verstehst das nicht.« blockte Miracle, doch ich tat einen Schritt auf sie zu, legte meine Unterarme auf sie, bevor mein Blick noch intesiver wurde. »Gib mir wenigstens die Chance, es zu verstehen, bevor ich einen Korb von dir bekomme.« Ich näherte mich ihrem Gesicht, was mich fast zum durchdrehen brachte, doch auch sie schaute mich verlegen an. »Idiot«, flüsterte sie, wobei ihre Lippen meine streiften, ihre geröteten Wangen vom Laufen wurden durch ihr kleines Lächeln verdrängt und sie tat den letzten Schritt, den ich ihr überlassen hatte; Sie durchstieß den quälenden Abstand zwischen uns, um ihre schönen, rat rosanen Lippen auf meine zu legen. Mein Körper wurde so warm, so warm, dass Joggen allein dies niemals geschafft hätte. Ich umschloss meine Arme nun richtig um ihren drahtigen Körper, das Verlangen nach ihrer Nähe versuchte ich nicht mehr zu verstecken, was sie mit der Erwiderung der Umarmung anscheinend gut fand. Sie öffnete ihre Augen wieder, das blau stach sofort in meines, die Tränen jedoch schwächten den sonst so wunderschönen Glanz ab. Ich küsste sie weg, ohne etwas zu sagen, was wohl ein erneuter Anlass für sie war, mich zu küssen. Und dann liefen wir einfach leise weiter, diesmal enger aneinanderlaufend und mit etwas geschwolleneren Lippen. Ich verdrängte die unartigen Gedanken ausgelöst von dem leisen Seufzen, was sie nach unserem Kuss gemacht hat, und was sie noch alles für Geräusche hätte machen können. Wir drehten irgendwann um, auf dem Rückweg setzte ich sie bei ihr ab, gab ihr einen federleichten Kuss auf den Mund und rannte weiter zu dem Ferienhaus, auf dessen Vorgarten schon die anderen auf Liegestühlen saßen, die Sonne genießend. Den Schweiß wischte ich mit einer Handbewegung von meiner Stirn weg, bevor ich das Tor mit den Verzierungen aufschob.

Psycho ~Luke HemmingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt