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Eine Locke fiel ihr ins Gesicht, sie hob die rechte Hand und wollte mit ihren schlanken Fingern es wieder zu den anderen schieben, als ich ihre zitternde Hand festhielt, sie mich überrascht anschaute und ich mit meiner Hand die Strähne zurückschob, ihre Hand aber dennoch nicht losließ. Die ganze Zeit war mir der Hauch von Panik nicht entgangen, nun verschränkte ich unsere Finger miteinander, zog ihren Körper dann an meinen und umarmte sie, wobei ich meinen Kopf auf ihren legte. Die schnellen Bewegungen von vorhin, genauso wie das Lied waren nun verklungen, nur der darauffolgende Song war weiterhin ein Partybeat, wogegen unsere Körper ausherhalb des Taktes einfach stillstanden. »Du hast Angst, wir gehen raus, okay?« Ich zog sie mit durch die Menge, unsere Hände immer noch ineinander, als seien sie eine Säule aus Stein, die Dach und Fundament zusammen hielt.
An der Tür angekommen, schob ich sie als erstes hinaus, worauf sie mich aber so schnell wie möglich hinterher zog. »Miracle, alles okay?« Das Mädchen sah mich an, da regte sich etwas in dem sonst so schön lächelnden Gesicht, es war eine kleine Träne, die sich aus den eisblauen Augen löste, abgelöst von der nächsten liefen sie unaufhaltsam über die Wangen. Überfordert nahm ich sie in den Arm, wischte dann die Tränen weg und sprach immer wieder beruhigende Wörter und Sätze. Die Fragen, warum sie solche Angst hatte, verkniff ich mir für das nächste Mal. »Hey, alles wird gut, du musst da nicht wieder rein. Ich bin hier.« Ihre Hände krallten sich regelrecht in mein Hemd, immer und immer wieder schluchzte sie, wärend die Wortfetzen die Bedeutung einer Entschuldigung für den vermasselten Abend annahmen. Das Wimmern aus ihrer Kehle ließ mein Herz sprengen, so schmerzlich hallte es in meinen Ohren. Es war schlimmer als die Stille. Es war tausend Male schlimmer als die rauschende Stille. In rasantem Tempo wurde wenige Sekunden später die Tür aufgerissen, eine aufgewühlte Renya stand im Türrahmen, hinter ihr Ash, der mich fragend ansah. »Oh mein Gott, Mira.« Schockiert hastete sie zu uns und löste mich ab. Mein lockiger Kumpel stellte sich neben mich, während die beiden Schwestern sich umarmten, Renya erklärte, dass sie jetzt nach Hause gehen würden und dann ein Taxi nahmen, welche schon an der Straße aneinandergereiht standen. »Geh wieder feiern, Kumpel, genieß die Stimmung. Ich gehe nach Hause.«, lächelte ich ihm zu, wir beide wussten, dass ich das eher wie eine Bitte meinte. Nickend ließ er mir die Zeit Alleine, die ich nutzte, um über Miracle und mich nachzudenken, über uns und unsere Beziehung. Mein Kopf brummte, am liebsten hätte ich mich mit Alk abgeschossen, um nicht die vielen Gedanken in meinem Kopf zu behalten und vielleicht am nächsten Morgen alles zu vergessen. Das Wimmer, so erschrocken, ich hatte noch kein anderes Mädchen ein solches Geräusch machen hören, nicht so unfassbar panisch. Sie hatte, seitdem wir in die Menge gegangen waren, diese Angst in den Augen. Der Grund schien mir jedoch immer noch schleierhaft.

***

Der nächste Morgen brach mit hellen Sonnenstrahlen herein, die Rollos hatten wir beide also vergessen, hinunter zu kurbeln. An diesem Tag mussten wir in ein Ferienhaus umziehen, vorher war dieses kleine, unscheinbare Hotel ein Übergang gewesen, damit das etwas abgelegene Haus "Flora" frei wurde. Es sah nach einem Kur-ort aus, gepflegte Gärten und eine saubere Straße ließen schon ahnten, wie schön das Haus an sich aussah. Eine weiße Fassade mit ein paar Fenstern an jeder Seite ließen es hell wirken, ein kleiner Anbau war in grün gehalten, Rankenpflanzen wuchsen daran hoch. Der Eingangsbereich war mit zwei Treppen ausgestattet, die Stufen in hellem Holz und der Zwischenraum offen. Das Geländer war eine einfache, graue Statur mit ein paar Formen, weitere Pflanzen verschönten das Ambiente der Wand mit vielen Bildern von Landschaften und Blumen. Der Keller führte uns zu einem Hobbyraum mit Fernsehr, Klavier und großer Couch, ein Badezimmer mit Regendusche fand darin auch Platz. In dem ersten Geschoss mit dem Eingangsbereich war noch eine Küche vertreten, ein weiteres Badezimmer und eine Abstellkammer. Alle Wände waren eintönig weiß, nur Bilder brachten Abwechslung in das schöne Ferienhaus. Die Schlafzimmer in der ersten Etage jedoch waren anders als die anderen, jeder hatte einen anderen Charakter. Es gab vier einzelne Schlafzimmer, eines hatte das Blumenthema Trichterwinde, eine blaue, trichterförmige Blume war hinter einem Singlebett an die Wand gemalt und zog sich ästhetisch in die Höhe. Ein anderes war mit einer Sonnenblume bemal, wieder ein anderes eine Rose und zuletzt einfach ein Ahornbatt. Ich nahm die blaue Variante, Cal die grüne, Ash die gelbe und Mikey die rote. Es gab insegsamt zwei weitere Bäder, eines zwischen meinem und Calums Zimmer, das andere gegenüber zwischen Michaels und Ashtons Zimmer. 
Ich trug meinen Koffer hinauf in mein Zimmer, die anderen schienen daran nicht einmal zu denken, als sie sich in ihre Zimmer verzogen und sich auf das gemütliche Bett schmissen. Ich brauchte jedoch etwas zutun, also nutzte ich den modernen, weißlich glänzenden Schrank neben der Eichenholztür, um ihn mit meinen Sachen zu füttern. Als selbst das nicht gegen die unaufhörlichen Gedanken half, kramte ich meine Sportsachen heraus, zog sie über und trottete zu Cals Zimmer. Ich klopfte kurz, dann sah ich ihn auf dem Bett liegend an seinem Handy. »Ich geh raus, ich werde vielleicht in einer Stunde wieder hier sein, möglich auch früher.«, erklärte ich knapp, er nickte nur stumm, mit seinem prüfenden Blick auf mir. Ich wusste, dass er meine Unsicherheit sah, aber er hielt den Mund und bevor er sich wieder seinem Handy zuwandte, wünschte er mir viel Spaß. Die Treppe kam mir unaufhörlich lang vor, als wäre es eine Rolltreppe in die falsche Richtung und ich würde nur hinunter kommen, wenn ich sprang, aber das tat ich nicht. Selbst als ich schon im Flur stand, fühlte es sich nach einer unbezwingbaren Treppe an. Als ich losjoggte merkte ich meine untrainierten Muskeln in meinen Beinen, wie sie versuchten, das kurze Stück bergauf zu bewältigen. Die ersten fünfhundert Meter waren furchtbar, doch dann ging es leichter, wie ich es von früher auch schon kannte. Dann ging es bergab, die Straße wurde von Bäumen eingezäunt und umrandet, als dürfte sie sich nicht weiter ausbreiten. In einem kleinen Viertel angekommen sah ich mir die Menschen an, die sich ihren Weg in ihrem Leben suchten, wie sie Einkaufstüten ins Haus brachten.

Psycho ~Luke HemmingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt