14

3 0 0
                                    

Das Gefühl, sie zu lieben, erlosch nicht, wie ich zunächst dachte. Es intensiviert sich, wahrscheinlich durch den Gedanken, dass alles schwieriger werden würde, ich sie aber immer unterstützen könne. Und die Stille kehrte zurück an ihren Platz, ich wollte nach Hilfe schreien, obwohl es nichts gab, was hätte helfen können. Also atmete ich durch, mein Brustkorb senkte sich zur gleichen Zeit wie ihrer, nahm sie an die Hand, küsste sie kurz und zog sie mit zum Klavier. Unschlüssig blinzelte die Brünette auf das schwarze Piano, strich mit den zarten Finger darüber und blickte erneut zu mir, als ich meinen Körper -so schwerfällig er sich auch anfühlte- auf den Hocker davor setzte, bevor ich meine eine Hand auf den Tasten platzierte, die andere ihre haltend. Mit der rechten spielte ich eine dunkle, traurige Melodie eines Liedes, dessen Name mir entfallen war, aber immer noch in meinem Kopf umher irrte, da Mira sie einmal gesummt hatte. Anscheinend erkannte sie dieses Lied, denn schon bald bewegte sie ihre Lippen stumm dazu. »Sing mit, und untersteh dich zu sagen, dass du dich nicht traust.«, lächelte ich und summe leise mit, um ihr Mut zu schenken. Tatsächlich sang sie zuerst unsicher die ersten paar Zeilen, danach kräftiger und lauter. Ich musste gestehen, sie war nicht die beste Sängerin aber das Lied war auch nicht für ihre einzigartige Stimme von Vorteil. Sie traf viele Töne, manche ließ sie welche weg, wenige klangen schief, sie musste dieses Lied unglaublich lang kennen. Ihre Anspannung ließ allmählich nach, mein Plan ging auf und nach ein paar Runden des gleichen Liedes sang ich den Text mit, so wie ich ihn bisher kannte. Sie lachte leise, als ich über den richtigen Ton vom Klavier einen so schiefen Ton sang, dass ich am liebsten im Boden versunken wäre. Sie setzte sich neben mich und gerade, als ich erneut mit einer Hand beginnen wollte, löste sie ihre schmale Hand und es erklangen die Töne des ersten Taktes eines Liedes. Sie spielte Jet Black Heart, viele Töne klangen probeweise falsch, sie berichtigte sie, doch im allgemeinen klang es sehr danach. Miracle musste geübt haben, Unsicherheit gab es nach der ersten Zeile gar nicht mehr, was mich zum Mitsingen bewegte. Renya hatte recht gehabt, sie war unglaublich gut im Klavierspielen. Ihre langen Finger tanzen über die Tasten, sinnlich und berührend. Ihre Schönheit verzauberte mich immer wieder, selbst mit den verweinten Augen und der sehnliche Wunsch, sie mein nennen zu dürfen, stieg mit jeder Sekunde in der ich sie einfach betrachten durfte. Mit einem Ruck zog ich sie auf meinen Schoß und umklammert ihren schmalen Körper, der beim Einatmen sogar noch dünner wurde. Sie lehnte sich an mich und spielte nach der kurzen Pause einfach weiter. »'Cause I've got a Jet Black heart.« Und dann küssten wir uns wieder, ihre leicht spröden, dennoch weichen Lippen legten sie auf meine, nachdem Mira sich mit dem Oberkörper zu mir gewendet hatte. Die Locken, die diese unglaubliche Freude unterstrichen fuhr ich mit meiner Hand nach, sie waren weich, an manchen Stellen zerzaust. Ich musste mich bemühen, sie zu nichts zu drängen oder ihre schönen Sachen nicht einfach zu Boden zu werfen. Miracle hatte sich mittlerweile vollends mit ihren Beinen um meine Hüfte geschlungen, ihre Unterarmen auf meine Schultern abgestüzt und ihre Stirn an meine Gelegt. Ich glaube, ich war war dem Ocean noch nie so nah gewesen wie in diesem Moment. Ich sah den Genuss, das Fröhliche in ihr, was so typisch für sie war. Und dann kamen wieder die Erinnerungen an vorhin, wie weit diese Erinnerung nun schon zurücklag wusste ich nicht, es kam mir ewig vor. Sie war eine Frau, zwischen zwei Welten eingesperrt. Eingesperrt und dazu verdammt, jeden in dieser eigenen Welt willkommen zu heißen, selbst wenn er nur erfunden und ein Hirngespinnst ihrerseits war. Diese Vorstellung machte mich krank, eine so lebensfrohe Frau wie sie, die das Recht dazu hatte, durchzudrehen, teilte ihre Freude mit mir, ihre schönsten Gefühle und Erinnerungen.
Aber da war noch etwas anderes. Sie hatte selbst Angst. »Luke«, flüsterte sie, ihre Pupillen starrten nach unten und ihre Gesichtszüge wurden trauriger, was ich sofort rückgängig machen wollte. »Trotz meinen... Psychosen«, sie biss sich kurz auf die Innenwange, was ich daran erkennen konnte, dass sie sie etwas einzog. Ich wollte mehr von solchen Gesten sehen, ich wollte alles an ihr kennenlernen, ob gut oder schlecht. »Bleibst du bei mir? Ich könnte Sachen kaputt machen, um mich schlagen, durchdrehen, schreien, ich könnte dich verletzen.« Miracle begann zu weinen, während sie diese Dinge aussprach, die ich schon längst in Kauf genommen hatte. Es war hoffnungslos, ich war hoffnungslos. Den Kampf, ob ich bei ihr bleiben würde und ihre große Macke inkauf nehmen muss oder sie zurückließ hatte ich schon verloren, ein normales Leben ohne sie wäre abnormal, nachdem ich sie bei mir gehabt habe. Ich nahm ihre rosigen Wangen in die Hand und küsste sie. »Miracle, vielleicht ist dir das nicht klar, aber ich liebe dich und nehme das auf mich, obwohl ich nicht einmal genau weiß, was auf mich zukommt oder was ich tun muss.« Ihre Küsse brannten wie Feuer auf meiner Haut, unfassbare Wärme erfüllte mich, als ihre federleichten Küsse mein Gesicht berührten. Ich musste wieder an unsere erste Begegnung denken, wie Renya immer bei ihr sein musste, sie beschützen musste. Jetzt saß sie hier, in meiner Obhut und überließ ihr Schicksal meinen Handlungen. Es war nicht so, als ob ich das nicht gewollt hätte, ich liebte sie und das Vertrauen, was Miracle mir schenkte, doch zugleich hatte ich Angst. Ich hatte sie mit in den Keller mitnehmen wollen, es war meine Entscheidung und daraus entstanden diese Erscheinungen in ihren Augen. Es war erschreckend, als ich bemerkte, wie wenig ich von ihr wusste. Nicht nur von ihr, von ihrer Krankheit. Und auf einmal war ich mir nicht mehr sicher, ob ich alles mit einer solchen Leichtigkeit inkauf nehmen könnte, wie ich es vorher tat. Miracle, die wundervolle Frau vor mir, deren schlanker Körper sich um meinen schlang und mich küsste, deren Augen immer wieder in meine sahen, glücklich, verliebt und einfach hinreißen, diese Frau kannte ich. Und ich wollte sie weiter kennenlernen, alles an ihr. Ich war bereit dazu, das dunkle an ihr zu erfahren, weil ich wusste, dass ich das wollte. Vielleicht wollte ich ihr auch helfen, sich zu verstehen. Ich wollte ihr helfen, wobei ich das wahrscheinlich nicht einmal konnte.

Psycho ~Luke HemmingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt