Kapitel 8

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Wo sie zuvor noch neugierig und offen zu diesem Caldwell gegangen wäre, hat Conors Reaktion sie nun unheimlich verunsichert. Doch irgendwie ist das schon fast nichts Neues mehr für sie. Alles an Conor ist verstörend und verunsichernd. Seine zwiespältige Art, die aus dem unheimlich mitfühlenden und gleichzeitig diesem kalten Mann besteht. Er will sie nicht hier haben, daraus macht er keinen Hehl, aber Rainn wird den Verdacht nicht los, dass das aus anderen Gründen der Fall ist, als die die Selena hat. Er mag sie. Irgendwie. Ganz im Gegensatz zu seiner herrischen Schwester. Ihn jetzt da sitzen zu sehen, nach der langen, gemeinsamen Reise, hat ihr das Gefühl gegeben hier doch nicht allein zu sein. Auch wenn dieses schnell wieder weg war, als seine Reaktion auf sie so heftig ausfiel.

Tief in Gedanken versunken folgt sie Selena weiter und bemerkt dabei beinahe gar nicht, wie sie eine weitere Hütte betreten, die dem Wort Hütte eigentlich nicht gerecht wird. Haus wäre in dem Fall wohl treffender. Selbst abgegrenzte Zimmer und richtige Wände aus Lehm, Gräsern und Holzstämmen gibt es hier, wie sie bemerkt, als sie eine Art Flur betreten. Es ist angenehm kühl im Inneren, die Wände geschmückt mit diversen, alten Stichwaffen, Fellen und gewebten Teppichen. Wenn sie es nicht schon vorher wusste, dann würde ihr spätestens jetzt klar werden, dass sie in keiner normalen Unterkunft gelandet ist. Der Gegensatz zu ihrer erbärmlichen, kargen Hütte könnte größer kaum sein.

Sie betreten ein weiteres Zimmer, in dem ein großer Tisch mit zwei Bänken auf beiden Seiten, steht. Selena bleibt stehen und macht den Blick auf Rainn frei. Diese sieht sich schließlich mit Caldwell konfrontiert, der am gedeckten Tisch sitzt und gerade an etwas nagt, das wie ein zehn Tage altes Brot aussieht. Er schluckt eilig, wischt sich mit dem Ärmel seiner Wildlederjacke über den Mund und erhebt sich zu seiner vollen Größe. Und die ist gelinde gesagt beachtlich. Er misst sicherlich an die zwei Meter. Rainn ist sich nicht sicher, ob sie jemals einen so großen Mann gesehen hat. Doch Caldwell ist nicht nur groß, er ist auch überaus breitschultrig und muskulös, wie sie an der ausgeprägten Nackenmuskulatur erkennen kann. Seine Haare sind an der Seite kurz geschoren und stehen nach oben wie spitze Stacheln ab. Die Gesichtszüge sind streng, breite Kieferknochen, dunkle Augen. Man kann ihn sicherlich als überaus männlich beschreiben, was auf jede Faser seines Körpers zutrifft.

Rainn hat nicht gedacht nach dem Auftritt von Conor und Flint noch überrascht werden zu können, doch Caldwell schafft es ganz allein mit seiner Präsenz innerhalb von wenigen Herzschlägen. Hat das Leben in der Biosphäre die Männer degeneriert, dass sie im Vergleich zu diesen hier schwächlich und winzig wirken? Ist das Leben hier so hart, dass sie sich diesem mit aller Gewalt anpassen mussten? Rainn würde gern Antworten auf all diese Fragen haben, aber sie ist sich gleichzeitig nicht sicher, ob sie diese überhaupt jemals erhalten wird.

„Unser neuster Gast, welch eine Ehre." Seine Stimme poltert störend laut wie fette Steine, die zu Boden krachen. Als ob er gar nicht bemerkt, dass er gerade mal zwei Meter von ihr entfernt steht. Sie ist immerhin nicht taub.

„Soll ich einen Knicks machen oder geht's auch ohne?", zischt Rainn zu Selena hinüber, die noch immer ungewöhnlich angespannt neben ihr steht. Daraufhin erntet sie einen überraschten, fast schon fassungslosen Blick von ihr, der sich schnell in Wut verwandelt. Doch Caldwell lacht daraufhin schallend los, was die Wände um sie herum beinahe vibrieren lässt.

„Und ein Ehrengast ganz nach meinem Geschmack. Ihr scheint in eurer Blase also auch eine Menge Bücher zu besitzen, was? Oder habt ihr in eurer Welt die Monarchie wieder eingeführt?"

„Wenn sich in der letzten Woche nichts verändert hat nicht", antwortet Rainn. Caldwell schmunzelt noch immer breit. Es sind zwar einige Fältchen zu sehen, aber sein Lächeln und das Funkel in seinen Augen hat etwas Jugendliches. Das machte es unheimlich schwer sein Alter zu schätzen. Caldwell wendet sich nun an Selena und nickt ihr zu. „Danke für's Herbringen. Du kannst uns jetzt allein lassen."

THE OTHER SIDEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt