Kapitel 5: Gefangennahme und Vertreibung des Runenbundes (Teil 2)

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Es hatte aber einer der jüngeren Runenpriester eine Stellung in der hoheitlichen Küche des Königshofes, die er zur Tageszeit ausfüllte, und dieser aber hatte um das unruhige Treiben am Hofe gemerkt und erkundigte sich um den Grund des Getümmels.

Als er aber erfuhr, was der Pharao mit seinen Kriegern vorhatte, da ließ er alles stehen und liegen und eilte der Kriegsschar voraus zu dem Runentempel. Und er hastete hinein in den Tempel und eilte sogleich zu Odalon und erzählte ihm von dem Kommen der Krieger und dem Pharao.

Da wurden aber alle Runenpriester mit einem Male unruhig und fragten Odalon: „Was sollen wir nur tun?"

Odalon aber antwortete und sprach: „Obgleich ich die Rune des Allwissenden trage, vermag ich nicht die Gedanken des Pharao zu erkennen, denn sie werden von einem Schild der Wut verhüllt! Und also müssen wir alle um unser Leben fürchten, da der Pharao uns kein Gehör wird schenken in seinem momentanen Wuteswandel!

Doch können wir uns hier auch nicht verschanzen, noch dass wir solcher Kriegsgewalt entgegentreten könnten! So bleibt uns also nichts anderes übrig zu verlassen diese Stätte und zu flüchten in die Ferne!"

Und sie waren alle damit einverstanden und gleich darauf ward ein großes Durcheinander in dem Runentempel, da jeder seine Sachen zusammensuchte. Und es traten einige Runenpriester an Odalon heran und wollten ihm die Schriftsammlung über die Runen reichen, auf dass Odalon sie sollte mitnehmen.

Da aber sagte Odalon: „Nein – diese besondere Schrift lassen wir hier! Denn falls wir doch geraten in die Hand des Königs werde ich nicht zulassen dass er diese Schrift erlangt, sondern wir werden den gesamten Tempel zum Einsturz bringen, auf dass all unser Wissen wird begraben und nicht fallen kann in falsche Hände! Eines Tages aber, wenn das wütende Auge des Pharao nicht mehr auf uns ist gerichtet, werden wir an diese Stätte zurückkehren!"

Und also ließen die Runenpriester die Schriftsammlung liegen auf ihrem besonderen Platze in der Mittelhalle des Tempels und fragten aber Odalon verwundert, wie er den großen Tempel denn wollte zum Einsturz bringen. Odalon aber verriet ihnen nichts, sondern sagte ihnen, dass sie Vertrauen auf ihn haben sollten.

Und also packten alle Runenpriester ihre wichtigste Habe zusammen und eilten zur Flucht. Als Letztes aber verließen Odalon und Ledalia den Tempel und sie hatten den Götterjungen bei sich, welcher sie alle Weile fragte, was dies alles denn werden sollte.

Bevor sie aber den Tempel endgültig verlassen hatten, war Odalon stehen geblieben vor der hinteren Tempelwand der Mittelhalle, und kam zu dem schmerzlichen Schluss, dass er sich auch von seiner Rune musste trennen, auf dass sie nicht in die Hände Unwürdiger fallen sollte und auf dass Odalon selbst nicht mehr so viel Wissen in sich tragen würde, welches man aus ihm herausprügeln konnte.

Und also hob er beide Hände an die Tempelwand und rief laut nach seiner Rune und befahl sie trotz seines Widerwillens in die Steinwand des Tempels.

Die Rune des Allwissenden aber war fast schon mit ihm verwachsen, so dass es ihm viel Lebenskraft kostete sie von sich zu trennen, und also schwitzte er gar Blut währenddessen und es geschah, dass auch er hernach ein Band weißester Haare inmitten seines dunklen Haarschopfes hatte gleich Ledalia.

Und sie eilten schließlich hinaus aus dem Tempel und sahen weit hinter sich bereits die Staubwolke der herannahenden Krieger.

Odalon aber drehte den Jungen zu sich und sagte: „Lass den Tempel einstürzen, mein Sohn! Ich weiß, dass du das kannst!"

Der Junge sah ihn aber erstaunt an und fragte: „Wie meinst du das Vater?"

Odalon aber hielt ihn fest an der Schulter und sah ihn ernst an und sagte eilig: „Lass ihn einfach einstürzen, mein Götterjunge! Heb deine Hand zum Tempel, schließe die Augen und stelle dir vor, wie der Tempel zusammenfällt! Du kannst das!"

Der Junge erwiderte zunächst nichts und musterte Odalon angestrengt und als er aber erkannte, dass es Odalon wahrhaftig ernst darum wahr, hob er zaghaft die Hand hoch, so dass seine Handfläche zum Runentempel zeigte, und schloss dann die Augen.

Mit einem Male aber war ein gewaltiges Rumpeln zu vernehmen und die Erde rings um den Tempel bebte kräftig, so dass Odalon und Ledalia sich mussten festhalten.

Der Götterjunge aber stand auf einmal völlig ruhig und sicher und ohne Angst da und hielt mit verschlossenen Augen die Hand zum Runentempel und seine Handfläche leuchtete.

Und bald darauf war ein Krachen und Bersten zu vernehmen und der obere Teil des Runentempels, welcher oberhalb des Erdbodens war, brach und stürzte und fiel zusammen und es währte nicht lange, da war der ganze Tempel mit allem was darinnen vollständig unter der Erde verschüttet und begraben.

Und der Götterjunge riss die Augen wieder auf und das Beben hörte sogleich auf und er blickte verstaunt auf die Stelle, wo der Tempel hatte gestanden, und Odalon und Ledalia aber ließen ihm keine Zeit zum Staunen, sondern griffen jeder einer seiner Hände und eilten mit ihm davon, die anderen Runenpriester einzuholen.

Nicht lange aber nachdem sie davongeeilt waren, kam der Pharao mit seinem Gefolge zu der Stelle, wo der Tempel der Runenpriester hatte gestanden.

Und sie waren also erstaunt, dass sie nichts weiter als einen Sandhügel vorfanden und der verräterische Hohepriester aber schrie auf und rief aus: „Man hat sie gewarnt und sie haben sich davon gemacht, diese Frevler, und haben ihren dämonischen Tempel zerstört!

Seht ihr mein König, sie haben ihre Ohren überall, so dass sie auch schon um unser Vorhaben wussten, und sich beizeiten aus dem Staub gemacht haben!"

Daraufhin aber rief Tut-Anch-Amun zornig aus: „So stimmt es also wahrhaftig, dass sie Frevler sind, denn warum sonst sollten sie flüchten vor ihrem Pharao?!

Auf, auf – ihnen nach! Wir werden sie verfolgen, auf dass sie erleben sollen, dass niemand flüchten kann vor der urteilenden Hand eines Pharao!" 

Und so eilten sie den Runenpriestern nach und es währte nicht lange, da hatten sie diese eingeholt. Denn die Runenpriester waren größtenteils nur zu Fuß geflohen, da die wenigsten im Besitz von Reittieren waren.

Und der König befahl aber niemanden zu töten und sie alle gefangen zu nehmen, es sei denn sie würden sich zur Wehr setzen.

Die Legende vom letzten Helden - Teil I: Das erste Buch des ObadiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt