- Mentalität & Rivalität -

2.1K 269 91
                                    

Hallo ihr Lieben,


ich hatte euch in Flüsternde Hände am Ende gefragt, ob ihr Interesse an einem Wissenskapitel in Form von Fragen oder einem Bericht habt. Mich hat es überrascht, dass sich so viele gemeldet haben und jeder ein anderes Themenfeld wollte ;) deshalb habe ich versucht zwei Felder auszusuchen, die die meisten Fragen beantworten würden.


Stimmt es, dass es einen Streit zwischen den verschiedenen Gehörgruppen gibt?


Um ehrlich zu sein ist dies eine sehr schwierige Frage. Ich würde es nicht als Streit bezeichnen, eher als Rivalität oder eine Kluft. Ich bin ab der fünften Klasse auf eine Schule gegangen für Hören und Kommunikation und dort fiel es mir zum ersten Mal nach einiger Zeit auf. Auf dem Schulhof gab es eine Gruppenbildung. Oft kategorisiert nach dem Hörstatus.

Dazu müsst ihr euch jedoch zuerst vorstellen, dass es an so einer Schule eben nicht nur gehörlos, schwerhörig und leicht fehlhörig gibt. Dazu kommt die Art der Kommunikation - einige sind schwerhörig, aber ihre Sprache ist die Lautsprache, das heißt, sie nutzen die Gebärdensprache selten, bis gar nicht, sondern konzentrieren sich auf das Mundbild und was sie eben mit Hilfsmitteln wie Hörgeräten wahrnehmen.

Fehlhörige Menschen sind der Lautsprache noch näher, sie haben oft ohne Hörhilfe noch ein Restgehör. Im Schwimmbad, ohne Hörgeräte, sind sie also durchaus in der Lage gesprochene Sprache zu verstehen.

Beide Gruppen distanzieren sich oft von der Gebärdensprache und wenn, dann nutzen diese Leute mehr die LBG – die Lautsprachbegleitende Gebärdensprache, die sich grammatikalisch eher an der gesprochenen Sprache orientiert.

Und da beginnt der erste Knackpunkt bereits. Vermehrt bestehen gehörlose Menschen darauf, dass die DGS genutzt wird – die Deutsche Gebärdensprache, die, wie ihr wisst, eine ganz andere Grammatik hat.

Da entsteht oft die erste Reibfläche. Für die DGS-Benutzer gehört die Deutsche Gebärdensprache zur Gehörlosenkultur. Sie ist ein fester Bestandteil und ist ein Teil ihrer Identität. Durch die starke Nutzung der DGS ist es natürlich häufig so, dass das Schriftdeutsch der Nutzer nicht besonders gut ist. Somit haben sie auch mit der Lautsprachbegleitenden Gebärdensprache, der LBG, Probleme. Dazu kommt, dass man bei der LBG, wie der Name schon sagt, begleitend auch spricht.

Jemand, der die DGS vertritt, verzichtet darauf.

Nun könnte man natürlich sagen, dass man es den Gehörlosen einfach machen könnte und jeder Schwerhörige einfach die DGS benutzen sollte.

Das Problem dabei ist folgendes: Die DGS ist eine echte und eigene anerkannte Sprache. Sie wird im Lebenslauf angegeben, genauso anerkannt wie Latein, Englisch, Französisch und Spanisch.

Sie ist dominant. Und damit meine ich, dass ich dieses Experiment wirklich versucht habe. Von der Lautsprachbegleitenden Gebärde bin ich auf die originale Deutsche Gebärdensprache umgestiegen und habe eine erschreckende Entdeckung gemacht.

Je länger ich die DGS nutzte, umso schlechter wurde meine gesprochene und geschriebene Sprache. Das Gehirn gewöhnt sich an die andere Sprache, manche machen eine ähnliche Erfahrung, wenn sie lange im Ausland waren. Plötzlich ist es schwierig sich in der Muttersprache auszudrücken.

Ich habe mich nach diesem Experiment für die Lautsprache entschieden. Denn es war mühsam sie zu lernen und ich hielt mich sowieso verstärkt in der Gruppe der Hörgeschädigten auf, die sich an der Grenze zwischen Hören und Nicht-Hören befindet.

Hoffentlich könnt ihr mir noch ein Wenig folgen ;) denn die Frage war ja, ob es Streit gäbe. In gewisser Weise schon. Die Kommunikation ist ein Teil der Kluft und dann gibt es da ja auch noch das CI, Cochlea Implantat, so wie Isabell es trägt. 

Jenseits der Stille ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt