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Dienstag
9. November 2021, Er

Ich muss grinsen. Ich kann in diesem Augenblick gar nicht sagen, wessen Gesicht besser ist. Das erschrockene der Polizisten oder das freudestrahlende von Amy. Der eine Polizist, welcher wie ein Berg von Mann aussieht setzt sich in Bewegung. "Sie warten hier!" ruft er ihr über die Schulter zu.

Schnell mache ich mich in Richtung Wald auf. Ich höre wie sich die Haustür öffnet und der Polizist mir hinterher schreit "Bleiben sie stehen! Polizei!". Dann laufende Schritte und auch ich erhöhe mein Tempo. Kaum das ich die Waldgrenze überschreite, fühle ich wie das Gefühl der Anspannung von mir abfällt. Ich weiß was ich zu tun habe.

Wir sind schon relativ tief im Wald, als die Schritte von einem der beiden Polizisten plötzlich verstummt und er ruft: "Bleiben sie endlich stehen oder ich muss Gebrauch von der Schusswaffe machen!" Das ist das Zeichen. Ich springe nach rechts hinter einen Baum, mache noch einige Schritte und lasse mich dann der Länge nach in das Gebüsch fallen, als ob ich gerade gestolpert wäre.

Geschützt durch das dichte Blätterwerk verwandle ich mich und verschwinde ungesehen auf einen Baum. Der junge Polizist kommt angelaufen, rennt durch den Strauch und bleibt verdutzt stehen. "Wo ist er hin? Er muss doch hier im Gebüsch gelandet sein." "Er kann nicht weit sein. Schaue in den Büschen, ob er sich dort versteckt. Ich schaue in die Bäume."

Das wird sie noch eine Weile beschäftigten. Ich mache mich auf zurück zu der Hütte, in der Amy warten sollte. Ich lande auf der Fensterbank und kann erkennen, dass sie nicht mehr in diesem Raum sitzt. Ein Fenster weiter sehe ich sie. Allerdings ist sie nicht alleine. Na gut, wenn sie Amy nicht gehen lassen wollen, dann werde ich sie mir holen.

***

Dienstag
9. November 2021, Sie

"Aber du musst mich gehen lassen, Miri. Ich muss unbedingt mit ihm reden." "Ich kann dich nicht gehen lassen. Die Polizisten haben gesagt, dass du hier auf sie warten sollst. Außerdem bist du vor wenigen Stunden fast tiefgefroren aus dem Dorfbrunnen gezogen worden." "Ich kann hier nicht bleiben, während er da draußen um sein Leben rennt. Ich muss ihm helfen." "Wie kommst du denn darauf, dass er um sein Leben rennt? Die Polizei will ihn doch nur zu irgendein Unfall befragen."

Ich stocke. Scheiße, was soll ich darauf antworten. "Die Polizei ist... ihm gegenüber nicht gerade wohlgesonnen. Aber nicht weil er ein Verbrechen beganngen hat, sondern eher weil... weil er etwas kann, was sie nie können werden." formuliere ich so schwammig, wie möglich.

"Er kann was, was nicht mal die Polizei kann?" Ich nicke. "Was soll das sein? Ich meine das muss eine große Sache sein, wenn die Polizei deshalb hinter ihm her sein sollte. Es sei denn natürlich du lügst mich an." "Ich lüge dich nicht an. Ich kann dir bloß nicht sagen, was es ist." "Dann kann ich dich auch nicht gehen lassen." Ich knirsche mit den Zähnen. Verflucht. Kann ich es ihr anvertrauen? Was bleibt mir anders übrig.

"Er kann sich-" Es klopft an der Tür. Gerade rechzeitig. Miri scheint kurz zu überlegen das Klopfen zu ignorieren, doch wieder hämmert jemand gegen die Tür. Sie öffnet und uns beiden klappt der Mund vor Erstaunen auf.

"Guten Abend. Ich bin hier um meine Freundin abzuholen." höre ich Raven sagen. Er drängelt sich an Miri vorbei. "Boar, bin ich erleichtert dich hier wieder gefunden zu haben Schatz. Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht. Wo warst du die ganze Zeit?"

Raven kommt auf mich zu und umarmt mich fest. "Spiel mit." flüstert er mir ins Ohr, dann löst er sich. "Ich dachte du wolltest nur Wasser holen, als du unser kuschliges Liebesnest verlassen hast und dann bleibst du stundenlang weg. Jag mir nie wieder so ein Schrecken ein."

"Es tut mir Leid." bringe ich hervor. "Kein Problem. Jetzt habe ich dich ja wieder." Er verschrenckt seine Finger mit meinen. "Und ich werde dich nie wieder los lassen." meint er grinsent und ich werde rot. Er nimmt seine Rolle zu ernst. "Komm lass uns zurück zu unseren Knutschkugel gehen." sagt er und zieht mich zur Tür.

"Moment!" sagt Miri und stellt sich davor. "Ihr könnt nicht einfach gehen. Die Polizei will euch noch befragen." "Polizei?" fragt er ungläubig. "Wie kommst du denn da drauf?" "Sie waren eben hier und haben mit Amy gesprochen." "Na dann ist doch alles geklärt. Sie müssen alle Antwort, die sie brauchten bekommen haben, sonst wären sie nicht weggefahren." "Sie sind nicht weggefahren. Sie sind bloß rausgelaufen, als hätten sie ein Geist gesehen." "Und dann müssen sie gefahren sein. Ansonsten wäre ihr Auto noch da oder nicht?" "Das ist Quatsch. Das Auto steht noch da, wo es eben auch stand." "Schaue selbst."

Miri macht ein Schritt bei Seite und schaut aus dem  Fenster. Verblüfft stellt sie fest: "Das Auto ist ja wirklich weg." Raven hat währenddessen die Ablenkung genutzt, um mich an ihr vorbei zur Tür zu ziehen. Miri dreht sich gerade zu uns zurück, als er die Tür öffnet und ihr zuruft: "Danke, dass du auf meinen Schatz augepasst hast." Bevor Miri reagieren kann, zieht er mich schnell weiter und die Tür fällt hinter uns ins Schloss.

Raven - GefiederWo Geschichten leben. Entdecke jetzt