20.Kapitel [x]

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Mit einem doch etwas nervösen Gefühl klingelte ich bei Nathanael. Meiner Schwester hatte ich nur gesagt, dass ich die Nacht bei einem Freund übernachten würde, aber nicht erwähnt welcher Freund das war - sie würde mich nur schräg von der Seite anschauen, wenn ich ihr sagte dass ich die Zeit mit Nathanael verbrachte, der drei Schritte von unserer Haustür entfernt wohnte. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob sie dann nicht eins und eins zusammen zählen und darauf kommen würde, dass wir beide eine Beziehung führten, wenn sie das nicht schon lange annahm.

Nathanael öffnete die Tür, schon fertig angezogen, mit einer etwas dickeren Jacke und einem Schal, den er sich um den Hals gewickelt hatte. Seinen Stock hielt er griffbereit und eine Sonnenbrille hatte er ebenfalls aufgesetzt. 

"Ich hoffe du hast kein Problem mit einem Wald?", fragte ich vorsichtig und er schüttelte mit dem Kopf.

"Ich war schon lange nicht mehr in einem - die Wurzeln und Steine sind für Leute wie mich tückisch, aber wenn du mich im schlimmsten Fall auffängst, sollte das kein Problem darstellen", antwortete er und schloss die Tür leise hinter sich, ehe wir die Treppen nach unten gingen. 

Fast schon selbstverständlich berührte ich ihn wieder am Arm und lenkte ihn ein wenig, während wir uns unterhielten. Der Weg zum Waldstück kam mir diesmal viel kürzer vor als sonst - was vermutlich an der angenehmen Gesellschaft von Nathanael lag. Mit ihm verging die Zeit wie ihm Flug und ehe ich es bemerkte hatten wir meinen Lieblingsplatz erreicht.

"Es ist schön ruhig hier. Wie oft kommst du her?", fragte er und ich atmete geräuschvoll aus.

"Früher? Sehr oft. Ich bin gerne zum nachdenken hier her gekommen, um den Kopf frei zu kriegen oder auch einfach nur in Ruhe Musik zu hören. Wie du weißt, habe ich das Alleinsein damals noch sehr genossen." 

"Worüber hast du nachgedacht?", fragte er dann, nach einem Moment Stille.

"Einiges. Darüber, was ich mit meinem Leben machen möchte, ob ich weiterhin einfach in den Tag leben und damit zufrieden sein will oder doch auch einmal etwas mehr tun möchte. Ob es überhaupt einen Sinn hat mich mit anderen besser zu verstehen oder es nicht vielleicht besser ist, einfach allein zu bleiben. Solche Dinge eben." Ich rückte Näher an ihn ran, so dass er sein Gesicht mir zuwenden konnte und ich stellte fest, dass ich schon wieder ein kleines Stück gewachsen war, da er mir nun etwas kleiner vorkam als noch vor ein paar Monaten.

"Jetzt ist das anders. Ich würde nicht sagen, dass meine Einstellung damals negativ war - es war mehr so, dass mir einfach alles egal war. Ich hatte zu den meisten Dingen keine wirkliche Meinung, es interessierte mich so gut wie nichts und ich hatte auch kaum Sachen, die mich begeistert haben. Doch seit ich dich kenne hat sich das geändert. Obwohl ich es damals mochte allein zu sein, fühle ich mich jetzt einsam, wenn ich es zu oft bin. Ich habe festgestellt, dass die Menschen um mich herum, die ich alle als Idioten oder uninteressant abgestempelt habe, doch gar nicht so übel sind wie ich die ganze Zeit annahm. Plötzlich fallen mir immer mehr Kleinigkeiten auf, Dinge die beginnen mich zu interessieren und es gibt jemanden, dessen Nähe ich sehr schätze. Das alles ist nur dadurch entstanden, dass ich mich mit dir angefreundet habe und dafür bin ich dir dankbar", sprach ich meine gesamten Gefühle aus und Nathanael war so sprachlos, dass er eine Weile nichts sagte. 

"Ich habe doch gar nichts getan", murmelte er schließlich und meine Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln.

"Du hast mehr getan als du glaubst oder dir bewusst ist." Ich zog ihn an mich ran und küsste ihn sanft, während er die Arme um mich legte. Es war so ruhig und friedlich hier, dass es sich anfühlte als würde es im Moment nur uns beide geben.

~~~

Es war ein seltsames Gefühl nicht alleine aufzuwachen. Nathanael neben mir schlief noch seelenruhig, mit dem Rücken zu mir, während er einen Teil seiner Decke umklammert hielt. Genau genommen war es das erste Mal, dass ich sein Schlafzimmer überhaupt betreten hatte und ohne dass ich erklären konnte weshalb, fühlte es sich so an als hätte ich einen privaten Bereich betreten, den nur ich sehen dürfte.

"Du bist schon wach?", hörte ich neben mir und sah Nathanael, der sich nun zu mir gedreht hatte und gähnte.

"Habe ich dich geweckt?", fragte ich und  er schüttelte mit dem Kopf, ehe er überraschenderweise seine Arme um mich schlang und sich an meine Brust kuschelte. 

"Lass mich noch ein wenig schlafen", murmelte er nur und es dauerte nicht mal eine Minute, ehe ich seine gleichmäßigen Atemzüge wieder hörte. Es erstaunte mich immer wieder, dass er neben seiner bissigen und unfreundlichen Art eine so süße und liebenswerte Seite hatte, die im kompletten Gegensatz zu dem stand, was er sonst so vermittelte. Der Gedanke daran, dass ich vermutlich abgesehen von seiner Familie der Einzige war der diese Seite von ihm jemals sehen würde, brachte mich zum Grinsen und ein Gefühl von Freude durchströmte mich.

Wir blieben eine ganze Weile so liegen, ehe Nathanael wieder wach wurde und wir beschlossen zu Frühstücken, auch wenn es bereits Mittag war. Gerade als wir fertig geworden waren, klingelte es an der Tür und Nathanael öffnete sie verwundert. Schon von Weitem konnte ich die Stimme meiner Schwester hören.

"Cy ist doch gerade bei dir, oder? Ich brauch mal eben seine Hilfe", sagte sie und ich schluckte. Ich hatte ihr nicht gesagt dass ich bei Nathanael gewesen war, aber vermutlich hatte sie einfach ein viel zu gutes Gespür für so was.

"Ja, er ist hier", war alles was Nathanael sagte. Ich stand auf und ging zur Tür.

"Ich komme dann gleich wieder", murmelte ich nur und er gab ein zustimmendes Murmeln von sich, ehe er die Tür schloss und ich meiner Schwester gegenüber stand, die mich nur wissend musterte. Ich konnte in ihren Augen sehen, dass sie bereits eins und eins zusammen gezählt hatte und ihr klar war, dass ich schon lange nicht mehr nur als normaler Freund ständig bei Nathanael verbrachte. 

"Du und Nathanael also", sagte sie nur mit hochgezogener Augenbraue und ich brachte nur ein knappes Nicken zustande, ehe sie in die Wohnung ging und ich ihr folgte. Keiner von uns beiden brachte das Thema danach noch zur Sprache, worüber ich sehr dankbar war. 


Übrigens habe ich jetzt einen Anime etc. Blog angefangen.

Wer Lust hat kann ja gerne dort mal vorbeischauen. (: 

https://ryuseicuore.wordpress.com/


The day we meet (BoyxBoy/Yaoi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt