Kapitel 6

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Nico pov.

Seltsamerweise begann der Tag, der mein Leben veränderte, ganz normal wie jeder andere auch. Die Sonne war schon aufgegangen, und die einzelnen Sonnenstrahlen kitzelten mich aus dem Schlaf. Gähnend streckte ich mich und erhob mich aus dem Bett. Ich schnappte mir das Tablett mit Frühstück vom Nachttisch, das dort jeden Morgen wie von Zauberhand erschien, und setzte mich an den kleinen Tisch. Es war schon etwas trostlos, so alleine jeden Tag zu frühstücken. Allerdings durfte ich das Zimmer nicht verlassen, und Diego würde auch erst gegen elf bei mir vorbeischauen. Das Schlimmste am Eingesperrtsein war bei genauerem Überlegen nicht die Tatsache, dass ich nicht gehen konnte, wohin ich wollte, sondern dass die Einsamkeit eine schreckliche Langeweile hervorrief. Die einzige Unterhaltung, die ich hatte, war ein Buch, das mir Diego gegeben hatte, als ich ihm von meinem Problem mit der Langeweile erzählte.

Nun hatte ich das dünne Buch schon so oft durchgelesen, dass ich es schon zitieren konnte. Wie so oft las ich auch an diesem Tag einige Seiten und schaute für eine längere Zeit aus dem Fenster, als ich das Knarzen des Schlüssellochs an meiner Tür vernahm. Lächelnd drehte ich mich um und blickte zu Diego, der das Zimmer betreten hatte. In Erwartung, dass wir wieder Karten spielen und uns über Gott und die Welt unterhalten würden, setzte ich mich an den Tisch und schaute erwartungsvoll zu ihm auf, als er keine Anstalten machte, mir zu folgen.

Er lehnte stumm in der Tür und sah zu mir. Als er nach einer guten Minute noch immer keine Anstalten gemacht hatte, sich zu setzen, erhob ich mich wieder und trat zu ihm. „Was ist los? Ist etwas passiert?", fragte ich ihn. Darauf reagierte er tatsächlich, sah mir ins Gesicht und meinte: „Es kommt mir komisch vor, einfach so zu tun, als wäre alles wie immer, wobei sich doch in diesem Moment so vieles ändert." „Das mag schon sein, aber es bringt doch nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Ich will den Tag genießen, solange es mir noch erlaubt ist, etwas selbst zu bestimmen", entgegnete ich ihm. Ich wollte zwar noch weitersprechen, allerdings wurde ich von ihm unterbrochen: „Du hast nicht mehr viel zu genießen. Dir bleibt noch eine gute halbe Stunde, dann kommen Mary und Anny, um dich auf heute Abend vorzubereiten. Ich bin nur noch einmal vorbeigekommen, um mich zu verabschieden. Heute ist vielleicht das letzte Mal, dass wir uns sehen. Leb wohl." Kaum hatte das letzte Wort seinen Mund verlassen, drehte er sich um und schloss die Tür.

Zunächst konnte ich gar nicht glauben, was soeben passiert war. Als ich jedoch realisierte, was geschehen war, stürmte ich zur Tür und versuchte, diese zu öffnen. Allerdings war sie verschlossen, weshalb ich begann, mit meinen Fäusten gegen sie zu hämmern und nach Diego zu rufen.

Zunächst geschah nichts. Ich hörte nur das Poltern meiner Fäuste gegen das Holz und meine Stimme. Dann jedoch erklangen Schritte, die rasant auf das Zimmer zusteuerten. In der festen Überzeugung, dass ich jetzt Diego meine Meinung zu seinem Abgang entgegenschmettern würde, holte ich tief Luft und setzte gerade zum Sprechen an, als die Tür sich öffnete. Meinen Satz konnte ich noch nicht einmal beginnen, als mir die Tür mit voller Wucht entgegengeschleudert wurde. Unvorbereitet wie ich war, traf mich die Tür und beförderte meinen Körper auf den Boden. Benommen saß ich einige Sekunden auf dem Fußboden, bis mich ein starker Arm packte und auf die Beine zerrte. Nun blickte ich jedoch nicht in das Gesicht von Diego, sondern in das eines Dienstmädchens, das die Statur eines Bären hatte. „Was fällt dir ein, einen solchen Krach zu veranstalten! Willst du, dass die Mafiosi im ganzen Land über Angelo sprechen, als den, der nicht einmal seine eigene Villa im Griff hat? Sei ja froh, dass du nur dem Boss gehörst, sonst würde ich dir das eigenhändig austreiben!"

Anschließend bugsierte mich die sehr kräftig gebaute Frau aus dem Zimmer und einen langen Korridor entlang. Wir begegneten niemandem und kamen nach einiger Zeit an einer weißen Tür an, durch die wir traten. Zunächst fiel mir eine riesige Badewanne ins Auge. Gebadet hatte ich zwar noch nie in einer Wanne, aber alle, die ich bisher in den Schaufenstern der Stadt gesehen hatte, waren deutlich kleiner. Neben der Wanne standen viele Schränke, dies war jedoch nicht, was mich an diesem Raum so irritierte. Was mich verunsicherte, war die Liege, die am anderen Ende des Badezimmers stand. Sie hatte an ihren Seiten breite Gurte, mit denen man offensichtlich jemanden bewegungsunfähig an die Liege zurren konnte. Dabei ließ mich das Gefühl nicht los, dass ich dieser Jemand sein würde.

Die grobe Frau schob mich in die Mitte des Raumes und befahl mir, mich auszuziehen. Zunächst weigerte ich mich und versuchte, aus dem Raum zu fliehen, als die Frau mich packte und meine Kleider mir kurzerhand vom Körper riss. Dass die Kleider nun nicht mehr zu gebrauchen waren, störte sie nur wenig. Ich hatte gar keine Gelegenheit, mich wegen meiner Nacktheit zu schämen, da ich gleich darauf in die Badewanne gebracht wurde. Dort nahm das Dienstmädchen einen rauen Lappen und schruppte mich damit ab. Ich hatte das Gefühl, sie würde mir die Haut abziehen. Die Behandlung war derart grob, dass meine Haut richtig rot wurde und das Seifenwasser ohne Ende an den gereizten Stellen brannte. Auch vor meinem Intimbereich machte sie nicht Halt und wusch ihn ebenso grob wie sie sich um meine Haare kümmerte. Als ich dann ihrer Meinung nach sauber genug war, zog sie mich aus der Wanne und trocknete mich ab. Anschließend befahl sie mir, mich auf die Liege zu legen und schnallte mich, wie erwartet, fest. Während sie noch dabei war, die Gurte gründlich straff zu ziehen, öffnete sich die Tür und ein weiteres Dienstmädchen in meinem Alter betrat das Zimmer. „Du hast lange gebraucht, Anny. Ich erwarte, dass dies in Zukunft schneller geht! Ich hoffe, du hast alles bekommen", zischte die Ältere die Hereingekommene an.

Diese nickte schüchtern und hob zur Verdeutlichung eine Box in ihren Händen an. Daraufhin kam sie in unsere Richtung und packte die Box aus. Ich sah gerade noch, wie sie viele kleine, pinke Kugeln in einem Plastiksack herausnahm, als das andere Dienstmädchen meinen Kopf zur Mitte drehte und ihn ebenfalls festschnallte. Von da an konnte ich nur noch zur Decke sehen, hörte aber, wie sich die beiden unterhielten. Die Ältere von den beiden hieß offenbar Mary, wie ich dabei herausfand. Ziemlich lange konnte ich ihnen zuhören, bis Mary Anny anwies, alleine weiterzumachen, da sie noch etwas einkaufen gehen musste. Mary verließ den Raum, und sofort kehrte eine beängstigende Stille ein. Ein Gespräch zu beginnen, traute ich mich nicht, weshalb ich einfach abwartete, was als Nächstes geschehen würde.

„So, ich bin soweit. Denk einfach an etwas anderes, dann ist es schnell vorbei." Ängstlich fragte ich sie, was sie denn machen würde, allerdings gab sie mir keine Antwort. Ich spürte jedoch, wie sie etwas Angenehm warmes an meinen nackten Beinen strich und es mit einem Tuch bedeckte. Ich fragte mich gerade, weshalb sie zu mir gemeint hatte, dass ich an etwas anderes denken sollte, da diese Behandlung ziemlich angenehm war, als mich ein Schmerz aus den Gedanken riss. Die Stelle, die vorher noch angenehm warm gewesen war, brannte nun plötzlich wie Feuer, und ich schrie auf. „Sch, beruhig dich, das hilft dir auch nicht weiter. Ich werde nicht aufhören. Signore Ludovico hat die klare Anweisung gegeben, dass du kein einziges Haar am Körper haben darfst." Damit fuhr Anny weiter, bis sie ihren Auftrag erfüllt hatte. Zwischenzeitlich hatte ich angefangen zu weinen und versucht, mich von der Liege zu lösen, was mir jedoch nichts weiter als Verwarnungen und aufgeschürfte Handgelenke eingebracht hatte.

Als Anny dann endlich fertig war, band sie mich los und meinte, dass ich mir eine Pause verdient hätte. Sie brachte mich zurück in mein Zimmer, wo ich mich unter der Bettdecke verkroch und hoffte, dass die Fortsetzung, von der Anny gesprochen hatte, nicht so schlimm ausfallen würde wie das Vorhergehende.

***


Gestohlenes Herz: In den Fängen der MafiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt