XIV. Blüten

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Ich war nahtlos wieder in meinen gewohnten Alltag verfallen. Abends stand ich wieder stundenlang an meinem blubbernden Kessel, morgens schlich ich durch die kühlen Wälder, wahrend der Wind eine kleine Kuppel der Geborgenheit um mich formte. Niemand hattte mich vermisst, vielleicht wurde mein Fehlen nicht einmal bemerkt, aber es war mir gleich. Immerhin wollte ich nur meine Ruhe haben.

Einer der Dorfbewohner war gestorben.

Ich wohnte der Beerdigung nicht bei, beobachtete sie nur durch das kleine Fenster meiner Küche, aber die Winde verrieten mir, dass es der Mann gewesen war, der Defsoul gestellt hatte. Sein grauenhaft zerfetzter Körper sei bereits gestorben, bevor die Hinrichtung überhaupt begonnen hatte.

Die Dorfbewohner wirkten mehr entsetzt als trauernd, während sie den Sarg in den hungrigen Erdboden hinab ließen, sich beeilten alle Beweise der Existenz des Mannes zu verwischen. Ich hörte sie bis hierher beten, dass seine Gestalt bleiben würde wo sie war und spielte für einen Moment mit dem makaberen Gedanken ihnen einen kleinen Schrecken einzujagen, verwarf diesen aber dann wieder.

Ich schätzte die Toten mehr als die Lebenden. Sie sollten ruhen.

Dennoch war ich neugierig und suchte am Abend, als die Stadtbewohner sich ängstlich vor dem hungrigen Moor verzogen hatten, den Friedhof auf, um mich nach seinem Geist zu erkundigen, zu sehen, ob er womöglich einige Informationen über die Hintergründe seines Todes für mich hätte.

Er zeigte mir seine stoffliche Form nicht, was wahrscheinlich auch das Beste war, aber seine Stimme sprach dennoch zu mir, flüsterte meinen Namen in einem gehässigen Ton.

"Park Jinyoung... Wie immer verdienen wir dir alles an Gram und Leid, das unser friedliches Land befällt. Warum bist du noch hier? Warum verfluchst du uns so sehr?", fragte er mich bitter und die umliegenden Gräber brachen in vehemente Proteste aus, bis ich ihnen deutete zu schweigen.

"War ich derjenige, der dich tötete?", mahnte ich ihn also kalt, machte ihm bewusst, dass ich auch den Toten noch Schaden zufügen konnte und er stieß ein hartes, spöttisches Lachen aus.

"Nein, nicht du, das muss ich dir wohl lassen. Aber der Mann, nein, diese Kreatur, er suchte nach dir."

Es war interessant, wie Defsoul ihn scheinbar getötet hatte, sobald er die Information hatte, dass ich hier war. Und wie der Verstorbene ihn als Kreatur, statt als Menschen beschrieb.

"Kreatur?", hakte ich also nach und stützte meine Hände in meinen Hüften auf, als er erschauderte, obwohl er nicht fühlte, nur eine formlose Präsenz war, deren Stimme sich in die Grundfeste erschütterte.

"Er war kein Mensch. Er hatte drei Dämonen bei sich. Sie gehorchten ihm. Ein Mensch allein könnte derartiges nicht ausrichten."

Und das stimmte. Aber dennoch schien der Geist nicht mehr Ahnung von Defsoul und dessen Eigenarten zu haben, als ich es selbst tat.

"Nun denn. Vergib mir, dass ich der Letzte war, den du auf Erden sehen musstet und gehe deinen Weg.", entließ ich ihn und seine Aura begann zu verblassen, an den Rändern zu flimmern.

"Tu mir den Gefallen und verschwinde endlich, Park Jinyoung. Stürze meine Freunde und Familie in nicht noch mehr Leid.", raunte er in seinen letzten Zügen, dann war er weg.

Ich machte mich nachdenklich wieder auf den Weg nach Hause.

Die Stadtbewohner hatten geflüstert, dass der Mann bereits tot gewesen war, bevor die Hinrichtung begonnen hatte. Der ruhelose Geist hatte diese Theorie soeben bestätigt.

Also warum hatte Defsoul sich nach mir erkundigt,  nur um sich dann selbst einzureichen? War es, um mein Interesse zu wecken? Er wusste doch bereits wer und wo ich war, wozu dieser Umweg?

Und dann hatte er auch noch seine Katzen bei sich, aber keinerlei Crewmitglieder.

Was beabsichtigte er?

Konfus trat ich in mein Haus ein und sah auf der Stelle besorgt auf, als ich ein entsetztes Aufatmen in einer Ecke hörte, fasste scharf eine blutrote Rose, die quer über meine Zimmerdecke rankte, ins Visir.

"Stimmt etwas nicht?"

Reflexartig griff ich nach dem Dolch an meinem Gürtel, erwartete es nur, dass Defsoul lässig grinsend um eine Ecke schlenderte und mich noch einmal entführte.

In einem anderen Leben hätte ich ihm das vielleicht sogar gestattet, aber nicht in diesem.

"Blumen.", hauchte die Rose allerdings nur schockiert, ihre sonst so samtige Stimme schrill und konfus sah ich mich nach meinen Pflanzen um, versuchte zwischen all dem Grün ein Problem zu entdecken.

Meine Werkbank machte kurzen Prozess und schob ihre Schublade auf, zu der ich dann besorgt eilte, vielleicht war ja eine der neuen Blüten dort gefangen und brauchte unbedingt meine Hilfe.

Stattdessen starrte mir allerdings bloß eine matte Oberfläche entgegen, zu der ich nur zögerlich die Hand ausstreckte, es könnte ja sein, dass jemand versucht hatte per Portal zu mir zu gelangen und hob das Glas nur vorsichtig an, hörte hinter mir jemanden zischen.

Ganz offensichtlich gab es ein Problem, weswegen ich mich sofort bereit machte angegriffen zu werden und dann den Spiegel entschieden in meine Richtung wandte, zu meinem Gesicht hin, das mir ungerührt und eisig entgegen sah.

Da war prinzipiell nichts ungewöhnliches. Meine Augenbrauen waren dunkel und in Missmut zusammengezogen, das Haar ebenso schwarz wie sonst und meine Haut rein.

Das einzige, was nicht stimmte, waren die wahllos verteilten Streifen an Blüten, die quer über mein angespanntes Gesicht sprossen und nur mehr wurden, plötzlich schossen weiße Blummen aus meiner Stirn hervor, aus meiner rechten Wange, von oberhalb meiner Augenbraue, an meinem Hals...

In fliegender Eile riss ich mein Hemd auf und starrte schockiert auf meinen Oberkörper hinab, der ebenso übersäht war, kaum einen Streifen Haut frei ließ und ich gab einen protestierenden Laut von mir.

"Was tut er da, versucht er sich umzubringen?", fragte ich unwillig an mich selbst gewandt, noch immer erblühten frische Blumen, nun auch auf meinen Armen und Händen, erschwerten es mir mich zu bewegen.

Weiterhin unentschlossen, aber fasziniert betrachtete ich das Geschehen, verstand nicht, was Defsoul dazu getrieben hatte sich in eine Situation zu begeben, die ihm derart schadete und blinzelte dann mit einem Mal, als die Blumen begannen zu ergrauen, seine Schwäche aufzuzeigen.

Wo Defsoul war, war auch Bambam.

Und wenn Bambam starb, dann starb auch meine potenziell einzige Chance auf einem ganzen Drittel der Welt an meinen Schatz zu kommen.

Zuvor war es mir egal gewesen, aber inzwischen hatte ich durchaus Interesse daran gefunden und bloß weil Defsoul sich dachte, er müsste Selbstmord begehen, hieß das nicht, dass es fair war seine Crew mit dort hinein zu ziehen.

Mit einem Fluch schlüpfte ich wieder in mein Hemd, begann dann in fliegender Eile gleichzeitig einige Tränke in meine Tasche zu packen, mich umzuziehen und den Wald nach einem Transportmittel anzufragen.

Wie gewohnt stellten mir die Elfen ein Portal zur Verfügung und nur wenige Minuten später rannte ich mit dem Bild von einem wilden, wunderschönen Piraten mit zwei identischen Muttermalen über dem Auge durch die glatte Oberfläche, kehrte genau dort hin zurück, von wo ich vor wenigen Tagen erst geflohen war.

Die SeehexeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt