•Kapitel 3•

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Als er vor meinem Haus hielt, blickte ich noch einmal zu ihm herüber, zeichnete mit meinen Augen seine Wangenknochen nach.
Wir hatten die ganze Autofahrt über geschwiegen bis auf anfangs, als er mich gebeten hatte ihm meine Adresse zu nennen. Wäre er jetzt in Wirklichkeit ein gruseliger Stalker, hatte ich auf jeden Fall mein Todesurteil unterschrieben. Aber wenigstens wäre er durchaus ein äußerst attraktiver Stalker.
Unser Schweigen war weder besonders erdrückend noch besonders angenehm; Es war wie eine Farbe, die man nicht besonders mochte, aber auch nicht hasste.
Ich hatte mir die Autofahrt über Gedanken gemacht, wie mich denn jetzt noch anständig bei Jordan bedanken konnte, nachdem er mich schon nicht das Essen hatte bezahlen lassen. Zumindest hatte ich versucht meine Gedanken darauf zu lenken, und nicht auf das leichte kribbeln in meinem Bauch und mein zu schnell klopfendes Herz, nicht auf die Stimme in meinem Kopf, die mir zurief, dass das alles hier furchtbar falsch war, zu hören. Das der Abend zwar schön gewesen war, aber ich es dabei belassen sollte, bevor daraus noch etwas ernstes wurde. Bevor ich letztendlich wieder verletzt wurde, noch einen Verlust ertragen musste.
Ich war aber nicht wirklich weitergekommen, was vermutlich zu einem großen Teil daran lag, dass ich mich doch nicht so sehr auf die Frage hatte konzentrieren können, wie ich es mir gewünscht hatte. Vielleicht war mein Blick auch ausversehen immer mal wieder zu ihm gewandert, anstatt beiläufig die im Dunkeln liegende Landschaft hinter der Fensterscheibe zu mustern. Ich wollte aber auch nicht noch viel länger im Auto sitzen bleiben, da das Schweigen dann ziemlich schnell definitiv unangenehm werden würde, oder er mich für eine Verrückte halten würde. Womit er gar nicht so unrecht hätte.
Ich nahm all meinen Mut zusammen und hoffte, dass ich nicht noch mehr peinliche Sachen, wie die seltsamen Vergleiche, zu denen ich nun mal neigte, von mir geben würde.
"Eigentlich wollte ich mich ja mit dem Essen bei dir bedanken, aber das hast du jetzt ja bezahlt und deswegen wollte ich mich noch einmal aufrichtig bei dir bedanken. Du hast mir das Leben gerettet, wortwörtlich, und ich kann dir gar nicht sagen wie dankbar ich dafür bin. Ich war nicht immer glücklich, aber dieser Vorfall hat mir gezeigt, dass ich auf keinen Fall jetzt schon gehen möchte, wo ich doch noch so viel vor mit habe. Ich will gar nicht wissen, was passiert wäre, wenn du mich nicht rechtzeitig gerettet hättest.
Nebenbei, wie hast du es so schnell geschafft, mich aus meinem Schal zu befreien? Ich war fast in derselben Situation, wie ein Fisch in einem Fischernetz..."
Was hatte ich da nur von mir gegeben?! Ich hatte nicht nur wieder mit meinen seltsamen Vergleichen angefangen, sondern auch noch Dinge offenbart, die ihn nichts angingen. Zu alle dem hatte ich ihn auch noch zu einem weiteren Treffen eingeladen! So viel zu „es dabei belassen", ich hatte meinen Mund wohl wirklich nicht unter Kontrolle. Jetzt hatte ich das Schlamassel, wobei es ein äußerst gutaussehendes Schlamassel war... Ich hatte mittlerweile anscheinend nicht mal mehr meine eigenen Gedanken unter Kontrolle. Was kam als nächstes? Das ich plötzlich aus dem nichts anfing den Cup Song zu performen, weil ich meine Hände nicht unter Kontrolle hatte?
Zu meinem Glück schmunzelte er nur und zuckte mit den Achseln.
"Du kannst dich wohl bei meinem Vater bedanken. Er sammelt Messer und Schwerter und hat besonders ein Faible für Jagdmesser. In meiner Familie ist es Tradition, dass, wenn sich einer von uns heftig mit meinem Vater gestritten hat, derjenige ihm ein Messer mitbringen muss."
Ich schaute ihn ungläubig an und war mir nicht sicher, ob er mich gerade verarschen wollte oder tatsächlich die Wahrheit sagte. Wen ja, dann war seine Familie meinem Verrücktsheitslevel näher als gedacht.
Er bemerkte wohl trotz der Dunkelheit meine Zweifel und wühlte mit einem amüsierten Zug um den Mund in seiner Tasche. Als er den gesuchten Gegenstand, von dem ich immer noch bezweifelte, dass es tatsächlich ein Jagdmesser war, anscheinend gefunden hatte, zog er ihn aus der Tasche heraus und reichte es mir. "Du kannst dir gerne deinen wahren Lebensretter genauer anschauen." Gerettet von einem Jagdmesser, wie ironisch.

Ich umgriff den Griff vorsichtig und hielt es nah ans Fenster, um im Mondlicht etwas erkennen zu können. Auf den ersten Blick erinnerte mich das Jagdmesser an das Metzgermesser unser Köchin Joline, zumindest hatte es eine ähnliche Form. Die Klinge war unten sehr breit und lief oben wie Flügel eines Vogels schmaler zusammen und war vorne leicht gebogen - Eine Fusion aus Kralle und Vogelflügel. Der Griff war aus dunklem Holz, das konnte aber auch an den schlechten Lichtverhältnissen liegen.
Er fühlte sich erstaunlicher Weise weich an, nicht auf die Art weich wie ein Kissen oder Sheyleens Haare, aber trotzdem weich. An der Unterseite des Griffs waren Buchstaben eingeritzt, aber ich hatte dank der Dunkelheit keine Chance sie zu entziffern.
Es war ziemlich schwer und ich fragte mich aus welcher Zeit es wohl stammte. Und wozu es wohl verwendet worden war. Die Klinge schien jedoch immer noch in einem tadellosen Zustand zu sein, sie funkelte im Mondlicht bedrohlich und veranlasste mich Jordan das Jagdmesser schnell wieder zurück zu geben. Denn wie sagte man so schön: "Neugier ist der Katze Tod" oder in meinem Fall eher "Vorsicht oder die Hand ist ab". Was bei meiner Tollpatschigkeit gar nicht so unwahrscheinlich gewesen wäre. Und ich hatte heute eigentlich noch besseres vor, als letztendlich doch noch im Krankenhaus zu landen. Obwohl, Jordan würde bestimmt mitgekommen...ich befahl mir schnell, diesen Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen.

Ein Labyrinth aus SchweigenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt