•Kapitel 25•

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Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass das dumpfe Geräusch nicht bloß in meinem Kopf existierte. Und es dauerte noch einen weiteren Moment, bis mir auffiel, dass es 10.000 bessere Reaktionen gab, als einfach nur rumzustehen. Aber andererseits hatte ich gerade wirklich keine Nerven für eine Runde „heulende Schüler trösten". Ich wusste, leider aus Erfahrung nur zu gut, dass Schulneulinge, die nur etwas länger als ein halbes Jahr auf der Schule waren, dazu neigten, ziemlich oft hinzufallen.


Was aber auch wirklich kein Wunder war, wenn man mit Rucksack und Tasche beladen, fangen spielte und noch dazu nicht den Gleichgewichtssinn einer Seiltänzerin besaß. Andererseits hatte ich mein Karma heute - ehrlich gesagt schon die ganze letzte Zeit- stark genug belastet und es könnte eine gute Tat mehr als alles andere vertragen.


Ich rang kurz mit mir selbst, drehte mich dann aber doch um, da ich die letzten Wochen wirklich asozial genug gewesen war. Da ich das Geräusch problemlos vernommen hatte, konnte der „Unfall" nicht allzu weit weg passiert sein. Ich blickte nach rechts, doch außer einem kahlen Baum und einem verfaulten Apfel entdeckte ich nichts. Ich hatte auch immer noch kein dramatisches Schluchzen gehört, was mich positiv stimmte, dass ich mir das Geräusch vielleicht doch nur eingebildet hatte. Denn welche Kinder fielen denn bitte feste hin, ohne danach schauspielreif, so als hätte ihnen jemand ein Bein abgehackt, rumzubrüllen? Obwohl, es gab mit Sicherheit auch Ausnahmen. Und vielleicht hatte ich es ja mit einer zu tun. Es würde mir auf jeden Fall einiges an Tröstarbeit ersparen.



Die Person, die ich dann aber tatsächlich auf dem Boden, gut 10 Meter von mir entfernt, entdeckte, war eindeutig zu groß. Andererseits war ich noch nie besonders gut im schätzen gewesen.


Ich trat einen Schritt näher heran und erkannte jetzt auch besser die Farbe der Haare, welche vor dem grauen Asphalt stark hervorstachen. Es war ein viel zu vertrautes rotbraun, welches in der Sonne einen leichten Kupferstich hatte.


Ich seufzte erleichtert auf und ging mit den Worten „nun steh schon endlich auf, Deacon", weiter auf ihn zu. Doch nur wenige Zentimeter vor ihm blieb ich stehen, als mich plötzlich Zweifel wie Wellen auf hoher See überschwappten. Was war, wenn er mich so davon abhalten wollte, zu gehen und hoffte, dass er mich durch so etwas zu einem weiteren Gespräch bewegen könnte? Vielleicht sogar zu einem Geständnis meiner Probleme? Obwohl ich ihm so etwas hinterhältiges und lustiges eigentlich nicht zugetraut hätte. Aber ich hatte mich nicht nur einmal in Menschen getäuscht, auch wenn ich eigentlich nicht glauben wollte, dass Deacon auch zu dieser Sorte von Menschen gehörte. Vor allem nicht nach unserem Gespräch eben. Nein, so etwas würde Deacon nie tun. Oder doch?


Ich stieg über ihn, sein Gesicht war der mir gegenüberliegenden Seite zugewendet, um ihm mit einem bösen Blick zu symbolisieren, dass seine miese Masche bei mir nicht angeschlagen hatte.



Doch ein Blick in sein Gesicht ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Seine Lippen hatten sich leicht bläulich verfärbt und in seinen Augen spiegelte sich blanke Panik wieder. Er versuchte seine Lippen zu öffnen und mir etwas zu sagen, schaffte es jedoch kaum seine Lippen zu bewegen geschweige denn einen Satz zu formulieren.


Ich konnte im ersten Augenblick nur wie festgewachsen dastehen, ohne einen klaren Gedanken fassen zu können. Als ich mich endlich aus meiner Starre befreit hatte, warf ich mich hektisch neben ihn auf den Boden und versuchte seinen Puls zu messen. Meine Hände zitterten noch stärker, als sie es damals bei Leona getan hatten und ich brauchte viel zu lange, um seine Pulsader zu finden. Mit immer noch zitternden Fingern fühlte ich vorsichtig seinen Puls, welcher viel zu heftig und schnell vor sich hin pumpte. Auch seine Atmung war hektisch und abgehackt, es schien als würde er einfach nicht genug Luft bekommen, egal wie tief er atmete.

Ein Labyrinth aus SchweigenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt