Als ich am Montag morgen in die Schule kam war ich am strahlen. Nach meinem und Jordans Date am Freitag hatte ich das ganze Wochenende gute Laune gehabt - naja fast das ganze Wochenende-, was auch den anderen Familienmitgliedern aufgefallen war. Leona, welche wie immer ein Morgenmuffel war, hatte mich heute morgen argwöhnisch angeschaut, da ich zu Hause sonst eher weniger gut gelaunt war. Ich neigte meist dazu deprimiert zu sein und mich in meinem Zimmer zu verkriechen.
Dieses Wochenende hatten mich die Erinnerungen an Jordan aber fast meine sonst so betrübten Gedanken vergessen lassen. Er hatte verkündet, dass er mich nächsten Freitag zur selben Zeit abholen würde und diesmal ich an der Reihe war ihm eine Seite von mir zu offenbaren.
Jetzt war ich furchtbar aufgeregt und fieberte seit er weggefahren war dem nächsten Freitag entgegen. Freitag war auf jeden Fall mein neuer Lieblingstag.Auch Kandra bemerkte das nicht mehr aus meinem Gesicht wegzukriegende Lächeln und sprach mich während der Partnerarbeit in Culture darauf an.
„Warum strahlst du wie ein kleines Kind an Weihnachten? Ich glaube kaum, dass es daran liegt, dass du meine Nagellackfarbe richtig erraten hast", sie klackert mit ihren smaragdgrünen Nägeln, „da ist doch etwas anderes im Busch".
Sie schaute mich prüfend an und ich beschloss, dass endlich der Moment gekommen war, Kandra von Jordan zu erzählen. Ich neigte mich noch näher zu ihr herüber und flüsterte: „Ich haben jemanden kennen gelernt" Kandra sah mich verwirrt an, „du lernst jeden Tag Leute kennen".
Ich bekam wieder rote Wangen, „Jemanden, den ich sehr gerne mag". Sie grinste, „Magst du mich etwa nicht?".
Ich wusste, dass sie mich nur ärgern wollte und schon längst wusste, was ich meinte, aber wegen meiner guten Laune ließ ich mich darauf ein.
„Ich glaube, ich hab mich verliebt." Hätten meine Wangen noch röter werden können, hätte ich eine glatt als menschliche Himbeere durchgehen können.
Kandra grinste begeistert und hüpfte enthusiastisch auf und ab. „Wie heißt er? Wie alt ist er? Wie habt ihr euch kennen gelernt?", so wie Kandra war, wollte sie direkt alles wissen und war fast schon aufgeregter als ich.
Also erzählte ich ihr wie wir uns indirekt durch sie kennen gelernt hatten, ich war ja nur wegen ihren Nagellacken an dem Tag in Kaufhaus gewesen, und von unserem gestrigen Date. Die Sache mit den Schiffchen ließ ich jedoch aus, sie gehörte nur mir und Jordan und ich würde sie mit niemandem teilen, nicht einmal mit meiner besten Freundin. Das zwischen Jordan und mit war etwas besonderes, ich hoffte nur, dass mein Wunsch in Erfüllung gehen würde und ich nicht schon wieder enttäuscht werden würde.●•●•●•●•●•●•●•●•●•●•●•●•●•●•●•●•●•●•
Auch in der Mittagspause hielt meine gute Laune noch an. Aber wenn ich mit Kandra, Lean und Deacon zusammen war, hatte ich sowieso selten schlechte Laune.
Ich war wirklich glücklich über meine neuen Freunde, auch wenn ich oft Sticheleien von Deacon ertragen musste. Kandras und mein Verhältnis litt zwar etwas darunter, dass wir nun nicht mehr zu zweit waren, dafür verstand ich mich mit Deacon und vor allem mit Lean so gut wie nie zuvor.
Wir saßen wie immer draußen unter unserem Baum, auch wenn es mittlerweile ziemlich kalt geworden war und wir bald lieber rein gehen sollten, wenn wir uns nicht erkälten wollten. Wir waren alle am Essen und blickten schweigend zu den anderen Schülern und Lehrern, die geschäftig über den Schulhof eilten.„Sagt mal, Jungs", durchbrach ich schließlich die durchaus angenehme Stille, „wie seid ihr eigentlich auf sie ganze Idee mit den Streichen gekommen?"
„Kandra sah von ihrer Nudelbox auf und nuschelte mit halbvollem Mund: „Ja, misch würde auch wirklisch brennend interessieren, warum ihr mit den Streischen angefangen habt."
Leon lehnte sich zurück und zog seine Beine an, bevor er anfing zu sprechen - ich hatte mittlerweile festgestellt, dass er meistens derjenige war, der von den beiden Sachen erklärte, was vermutlich daran lag, dass er von Natur aus organisierter und weniger verplant war. „Ich weiß gar nicht mehr, ob es wirklich ein konkretes Ereignis gab, was uns dazu veranlasst hat, damit anzufangen", er sah nachdenklich vor sich hin, „zumindest gab es für mich keins, soweit ich mich erinnern kann." Ich sah zu Deacon rüber, welcher auf seine Hände schaute, mit denen er an seinem Handy rumfummelte. „Aber ich kann mich noch genau daran erinnern, dass ich oft so eine unglaubliche Wut auf manche Lehrer verspürt habe. Wie sich manche von innen benommen haben, einfach unfassbar, dass es die anderen nie gestört hat. Oder dass sie sich nie getraut haben, etwas zu sagen oder zu unternehmen. Ich habe das Gefühl, dass manche Lehrer nur Lehrer geworden sind, um sich überlegen fühlen zu können. ‚Noten werden mitgeteilt, nicht diskutiert, allein diese Aussage macht mich verrückt. Als ob Jugendliche nicht in der Lage sind, sich selbst objektiv beurteilen zu können. Das ist einfach nur lächerlich."
„ Hast du schon mal darüber nachgedacht Schülersprecher zu werden, um etwas zu verändern zu können und den Schülern eine Stimme zu verleihen?", hakte ich vorsichtig nach.
„Dazu fehlt mir einfach die Zeit", gab er gepresst zu, „und wahrscheinlich auch das Talent." Kandra und Deac waren so schlau zu schweigen und auch ich merkte, dass es besser war, dass Thema ruhen zu lassen, da er definitiv nicht darüber reden wollte.
„Schüler und Lehrer vergessen glaube ich einfach oft, dass beide auch nur Menschen sind, dass sie eigentlich auf der selben Ebene stehen sollte. Und auch wenn das in euren Augen vielleicht lächerlich klingt, habe ich das Gefühl, dass ich mit diesen Streichen etwas verändern kann. Ich kann nicht nur einfach gegen das System rebellieren, ich kann den Schülern auch vor Augen führen, dass Lehrer nicht über ihnen stehen, nicht unantastbar sind. Das man sie nicht fürchten muss, sondern sich auch trauen darf etwas gegen sie zu unternehmen. Und vor allem, dass sie nicht immer ‚ja und Armen' sagen müssen, sondern die Chance haben zu rebellieren und so ihre Meinung auszudrücken. Das sie nicht schweigen müssen, sondern gehört werden können."
„Wow", sagte ich leise und auch Kandra hatte die Augen vor Verwundern aufgerissen. Selbst Deacon sah seinen Freund überrascht und auch kleines bisschen stolz an.
Die Ehrlichkeit und vor allem auch Tiefgründigkeit seiner Erklärung hatte mich schier umgehauen. Natürlich wusste ich seit unserer letzten Unterhaltung im Auto, dass er nicht bloß ein gelangweilter Teenager war, der keine Lust auf Schule hatte und Spaß daran fand, andere zu ärgern, aber trotzdem konnte ich nicht anders, als von seiner Vielschichtigkeit und seinem starken Charakter fasziniert zu sein.
„Jetzt bist du dran", sagte Kandra noch leicht atemlos. Aber immerhin schien sie ihr Erstaunen besser überwunden zu haben, als ich.
„Ach ich", Deacon lachte gekünstelt laut auf, „bei mir gibt es keinen wirklichen Grund. Mir war einfach langweilig und ich wollte Spaß haben."
Daraufhin sahen wir alle ihn skeptisch an. Im anderen etwas vormachen war Deacon wirklich mehr als nur untalentiert.
„Was schaut ihr mich alle so an", fuhr er uns gereizt an, „nicht jeder ist so tiefgründig und edelmütig wie Lean, tut mir Leid euch enttäuscht zu haben."
„Hör auf damit!", gab Kandra daraufhin wütend zurück.
„Womit denn?", erwiderte er gereizt.
Lean und ich saßen nur stumm neben den beiden und beobachteten schweigend ihr Wortgefecht. Auch ihm schien es so zu gehen, dass er das Gefühl hatte, dass es eher einer Sache zwischen Kandra und Deacon war und wir uns lieber nicht einmischen sollten.
„Hör auf, dich ständig selbst schlechter darzustellen, als du bist, Deac", fauchte sie ihn beinah schon an. „Denn das bist du nicht. Nur weil du denkst, dass deine Motive weit aus weniger edel sind als Leans, heißt das nicht, dass sie es nicht verdienen gehört zu werden. Jeder verdient es eine Stimme zu haben, egal was derjenige damit sagen möchte."
Ihre Wut schien verraucht zu sein und sie sah Deacon unglaublich sanft an. So voller Zuneigung, dass es fast schon unangenehm war, den beiden zu zuschauen. „Und ich weiß, dass da so viel ist, was du sagen willst. Also schäm dich nicht für etwas, was du nicht bist."
Als ich zu Deac rüber sah meinte ich Tränen in deinen Augen schimmern zu sehen, vielleicht tauschte ich mich aber auch nur. Auf jeden Fall schien er sehr berührt von Kandras Worten zu sein und mir ging es genau so. Es erwärmte mein Herz, wie sie sich für ihre neuen Freunde eingesetzt hatte. So, wie sich noch nie zuvor jemand für mich eingesetzt hatte.
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Ein Labyrinth aus Schweigen
Romance(ehemals 'The Labyrinth of Love' ) Menschen zu verlieren, damit hat die 17 jährige Ally mehr als nur Erfahrung. Während sie von einer Familie zur nächsten gereicht wurde, hat sie das Vertrauen in Menschen und die Hoffnung auf Glück verloren und vers...