•Kapitel 11•

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Großeltern.
Ein Begriff den jeder kennt. Großeltern können herzliche warme Personen sein, die wie ein zweites Paar Eltern sind. Hierbei liegt die Betonung jedoch auf dem Wörtchen „können". Sie können herzlich und liebevoll sein und immer ein offenes Ohr für dich haben, doch sie können auch das komplette Gegenteil sein.
Nicht alle Großmütter sind, wie die aus dem Bilderbuch, liebevoll und etwas rundlich, eine Schürze voller selbstgebackener Plätzchen. Es gibt auch jene Art von Großmüttern, die eher dem Schwiegermonster gleichen, als der netten Plätzchenoma.

Und ich hatte natürlich, was „meine" Großeltern betraf Glück gehabt. Das einzig Gute war, dass wir wenigstens nicht blutsverwandt waren. Wobei das ja ihr Problem war.
Die Leys hatten die Tradition, dass einen Sonntag im Monat Noras Eltern zu Besuch kamen. Diese waren, was die Persönlichkeit betraf, jedoch das komplette Gegenteil.

Ich fragte mich wirklich, wie sie trotzdem zu so einem liebenswerten, aufrichtigen und netten Mensch geworden war. Von ihrer Mutter hatte sie es definitiv nicht geerbt.
Wahrscheinlich nur den Modegeschmack, denn sie wusste ihren blonden Pixie Cut äußerst gut in Mode zu setzen und in Sachen Stilbewusstsein stand ihr Nora in nichts nach.
Laut Leona war „Granny Liz" - oder Mrs. Sterling, wie ich sie nennen durfte - auch ein sehr netter Mensch. Sie schenkte Leona aber, im Gegensatz zu mir all ihre Aufmerksamkeit und Liebe und verhielt sich schon beinah wie eine Plätzchenoma, aber auch nur beinah. Ihr mangelte es dann doch an Wärme und einer Schürze voller Plätzchen.
Ich wusste nicht was sie gegen mich hatte, doch sie behandelte mich eher wie einen Streuner, durch den die eigenen Haustiere Krankheiten abbekamen. Was bei mir aber definitiv nicht der Fall war, im Gegensatz zu einem Streuner war ich sogar stubenrein.

Heute war also wieder einer dieser Sonntage, an denen sich ausnahmsweise einmal die ganze Familie versammelte und Zeit miteinander - und auch mit dem Schwiegermonster - verbrachte.
Man konnte nicht behaupten, dass es ein harmonisches Miteinander war. Dafür waren die Blicke, mit denen das Schwiegermonster mich bedachte definitiv zu feindselig und abwertend.
Ich konnte verstehen, dass man es sich schwer damit tat, ein neues, adoptiertes Familienmitglied willkommen zu heißen, aber nach über einem Jahr hatte sich nichts verändert.
Sogar ihr Mann Paul hatte es geschafft mich als Teil der Familie zu akzeptieren, oder zumindest zu tolerieren, obwohl er sehr gläubig war. Nora hatte einmal erwähnt, dass er in ihrer Jugend überhaupt nicht gläubig gewesen war und ich fragte mich, was einen Menschen dazu bewegte, in diesem Alter plötzlich so streng gläubig zu werden.
Besonders die Beichte nahm er sehr ernst. Er ging laut Nora zu jedem Termin und verbrachte auch sonst viel Zeit, sich bei der Kirche zu engagieren. Leider hieß dies, dass keiner Kirchenwitze reißen konnte, um die meistens eher unbehagliche Stimmung aufzulockern.

Ich bemühte mich ein unverfängliches, aber nicht sterbenslangweiliges, Thema zu finden, um die unbehagliche Stille zu überbrücken. Schule ging dafür immer am besten. Da konnte mich das Schwiegermonster auch nicht kritisieren, weil ich wirklich nicht schlecht war. Also fing ich einfach an etwas über den Kunst-Philosophie Unterricht zu erzählen, zumal mir dieses Thema interessanter als Science oder Englisch schien.

„Wir haben jetzt in Kunst-Philosophie ein neues Projekt angefangen. Diesmal ist das Thema Liebe."
Nora schaute mich interessiert an, ich erzählte ansonsten nicht wirklich viel bei gemeinsamen Essen.
Mrs. Sterlings Miene war wie immer nicht wirklich zu deuten, sie tendierte, meiner Meinung nach, aber eher in die Richtung Desinteresse oder Kritik. Sie zog die Nase kraus, dass tat sie eigentlich fast immer, kurz bevor sie etwas gemeines sagte. „Das Thema sollte dir aber äußerst schwer fallen. Du hattest ja nicht mal einen festen Freund. Und sogar Leona ist in diesem Gebiet weiter und reifer als du."
Nora schaute ihre Mutter empört an und zischte ihr „Mutter" zu.
Leona versuchte so unbeteiligt zu schauen wie möglich, aber ich glaubte einen leichten Hauch von Röte auf ihren Wangen erkennen zu kennen. Ich dachte bis jetzt immer, dass sie stolz darauf war, schon bereits mit mehreren Typen in meinem Alter herumgemacht zu haben. Aber so einen Kommentar von der eigenen Großmutter wäre wahrscheinlich jedem peinlich gewesen. Obwohl er trauriger Weise sogar wahr war. Leona war mir in diesen Dingen weit voraus.

Ein Labyrinth aus SchweigenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt