•Kapitel 17•

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Als ich meine Augen aufschlug war mein erster Gedanke, das heute Sonntag war. Sonntag. Normale Menschen mochten den Sonntag. Er war der letzte Tag des Wochenendes, auch bekannt als Ruhetag. Schüler hatten frei und fast alle arbeitenden Erwachsenen auch. Es war ein Tag der Gemeinschaft, an dem man sich Zeit für seine Familie nahm.


Und genau da lag das Problem: Es war wieder Zeit, dass Noras Eltern zu Besuch kamen.


Und damit stand ein weiterer Horror Sonntag bevor. Und das Schwiegerbiest kündigte sich mit gewohnt bissigen Kommentaren an.



Als ich Sonntag unsere breite Treppe hinunter getapst kam, fiel ich auch schon in ihr Blickfeld. Sie beäugte meinen Aufzug und den sich an mein Bein anschmiegenden Namur kritisch und rümpfte die Nase bei unserem Anblick. „Allegra, du siehst wieder aus wie ein räudiger Köter. Oder sollte ich lieber sagen Kater?", bemerkte sie schnippisch.


Ich nahm mir solche Kommentare mittlerweile gar nicht mehr zu Herzen, ich fand sie eher belustigend. Diese Frau besaß wirklich eine unglaublich große Kreativität, was abwertende und beleidigende Bemerkungen betraf.


Ich versuchte schon immer zu erraten, als was sie mich als nächstes beschimpfen würde, doch sie übertraf mit ihrer Kreativität jedes mal bei weitem meine Erwartungen. Ich war irgendwann sogar an dem Zeitpunkt angekommen, an dem ich unsere Schlagabtausche amüsant, ja fast schon lustig fand, auch wenn sie einen Teil, tief in mir drinnen, verletzten und noch mehr beschädigten.


„Und sie sehen wie immer aus", ich betrachtete ihre Seidenstrumpfhose, ihren beigen Faltenrock und die weiße Bluse, „Wie frisch aus einem spießigen Teekränzchen für einsame und verbitterte Seniorinnen entsprungen."


Damit drehte ich mich um und marschierte in die Küche, ich bereitete mich emotional schon einmal auf den bevor stehenden Brunch vor. Hinter mir hörte ich noch Mrs. Sterlings entgeistertes nach Luft schnappen gefolgt von einem nicht sehr ladyhaften, empörten Schnauben und ein leises Kichern, was vermutlich von Noras Seite kam.



Ich ließ mich auf meinen Stuhl sinken und auch die anderen nahmen Platz, Richard zwei Plätze neben mir und Nora und ihre Eltern mit gegenüber. Nur Leonas Platz blieb leer. Sie war vermutlich wieder einmal erst spät in der Nacht nach Hause gekommen, was mich mittlerweile gar nicht mehr wunderte.


Sie hatte sich verändert und ich fragte mich, ob ich eigentlich die einzige war, die ihre Veränderung überhaupt bemerkte.


Ich fragte mich zum wiederholten mal, wer die Sitzordnung so festgelegt hatte, dass ich uns das Schwiegerbiest uns gegenüber saßen, taktisch eine echte Fehlplanung.



Während ich meinen Teller mit einem Croissant und frischem Obst belud, fing Mrs. Sterling an sich über ihre Nachbarin aufzuregen. Mrs. Woodhill, die alte Schreckschraube, würde mit ihrem nervigen, kläffenden Köter nämlich immer ihren Vorgarten ruinieren. Ich fragte mich ernsthaft, ob sie nichts besseres zu tun hatte, als sich über solche Dinge aufzuregen.


Aber laut ihr war das ja viel mehr als eine kleine Lappalie, mit einem monströsen und gefährlichen Ungeheuer war schließlich nicht zu spaßen.


Ich war kurz davor ihr an den Kopf zu werfen, dass mit ihr noch viel weniger zu spaßen war, als mit dem „Ungeheuer". Ich entschloss mich dann aber dagegen, so fies war ich dann auch wieder nicht. Ich gehörte nicht zu den Menschen, die andere Menschen beleidigten oder verbal angriffen, nicht einmal Menschen wie Mrs. Sterling. Ich ließ aber auch nicht alles auf mir sitzen, ich verteidigte mich und hatte auch kein Problem mit fiesen Sprüchen zu kontern. Aber ich wollte nicht so werden wie sie und alles kritisieren und schlechtmachen, was eine Person tat oder erreichte, nur weil ich sie nicht mochte.

Ein Labyrinth aus SchweigenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt