10: Das Ende von Gisliv?

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Liv:
Mit klopfendem Herz stand ich vor Gislis Haustür und wusste nicht so recht, ob ich bereit dafür war mit ihm zu reden. Ein Verstand sagte mir, dass ich mit ihm reden sollte. Mein Herz sträubte sich jedoch dagegen. Was wenn er mich verlassen würde? „Rede mit ihm", hallten Disses Wort in meinem Kopf. Ich musste daran denken was Disse gesagt hatte und ich wusste, dass auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte, er Recht hatte. Ich musste es ihm sagen! Er hat ein Recht die Wahrheit zu erfahren. Ich atmete tief durch, bevor ich mit zitternden Fingern die Klingel drückte. Man hörte Schritte, welche sich der Tür näherten. Jetzt gab es kein Zurück mehr. In wenigen Sekunden würde er die Tür öffnen und dann musste ich wohl oder übel ihm die Wahrheit sagen. Schwungvoll riss er die Tür auf. Und da stand er nun: Gisli Thorgeir Kristjansson, mein Freund! Er grinste mir entgegen und wie immer hing ihm eine seiner blonden Strähne im Gesicht. Mit seinen verwuschelten Haaren sah er so süß aus. „Was machst du hier, ich dachte du musst noch was für Schule machen?", begrüßte er mich und zog mich zu sich. Ich blickte zu ihm nach oben in seine leuchtenden Augen. Ein leichtes Kribbeln durchzog meinen Bauch, als eine Hand sich um meine Taille legte und mich noch näher zu sich zog. „Jetzt hast du mich überrascht", grinste er. Dann beugte er sich zu mir nach unten und legte seine Lippen auf meine. Sofort jagten tausend Schmetterlinge durch meinen Bauch, während unsere Lippen sich gegeneinander bewegten. Für einen Moment vergaß ich, warum ich eigentlich hier war. Knutschend strauchelten wir in seine Wohnung. Ich spürte wie er mich gegen die nächstbeste Wand drückte und mich gierig zu küssen begann. In diesem Moment schaltete sich mein Kopf ein. Du musst es ihm jetzt sagen, sonst wirst du es nie loswerden. Doch mein Herz wollte mehr von seinen Küssen. Wieder befand ich mich in einem inneren Konflikt mit mir selbst. Herz gegen Verstand! Die nächste Runde! Bis jetzt stand es 1 zu 0 für meinen Verstand. Ich spürte wie Gisli auf einmal abbrach und mit seinen kastanienbraunen Augen zu mir herabblickte, während seine Hand sanft über meine Taille strich. „Alles ok?", fragte er besorgt. Ich war einfach unfähig darin meine Gefühle zu verbergen. „Ich wollte eigentlich mit dir reden", seufzte ich. Mein Herz begann wieder schneller zu schlagen und das nicht aus dem Grund, dass er in meiner Nähe war. Nein, aus Angst! Angst ihm die Wahrheit zu sagen. „Was ist?", fragte er und strich mir mit seinem Daumen behutsam über die Wange. Ich spürte wie meine Fassade wieder zu bröckeln begann. Ich kämpfte gegen die Tränen und erneut verlor ich den Kampf. Ohne ein weiteres Zögern, zog er mich ihn seine Arme. Ich vergrub mein Gesicht in seinem T-shirt und atmete seinen Duft ein. Ich liebte seinen Geruch! Selbst verschwitzt fand ich seinen Duft anziehend! Er zog mich förmlich an. Meine Tränen durchnässten sein T-shirt. Gefolgt von einem Kribbeln fuhr seine Hand auf meinem Rücken auf und ab. Und so standen wir einige Minuten schweigend in seinem Hausflur und ich zog einfach alles nochmal in mir auf mit dem Bewusstsein, dass all dies in wenigen Minuten vorbei sein könnte. Ich spürte wie seine Hand mir die Haare aus dem Gesicht strichen. „Liv you know, du kannst immer reden with me", flüsterte ich und ich nickte stumm. Seine Hände legten sich an meinem Oberschenkel und er hob meine Füße vom Boden. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und er trug mich ins Wohnzimmer. Dort ließ er sich mit mir auf dem Schoß auf die Coach fallen. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und spürte seine braunen Augen auf meinem Gesicht. „Please talk to me", flehte er mich an. „Ich kann nicht", schluchzte ich und vergrub mein Gesicht wieder in seiner Brust. Beruhigend strich er mit seinen Hand meinen Rücken auf und ab. „Liv, I love you and I will always love you", hauchte er mir in die Haare. "Nicht wenn ich dir sagen, dass ich ein Angebot aus Blomberg habe", schluchzte ich. „Du hast was?", fragte er fassungslos und ich hatte diese Reaktion bereits erwartet. Ich löste mich von seinem Schoß und lief vor der Coach auf und ab. Ich beobachtete wie Gisli sich nervös durchs Haar fuhr. „Am Samstag hab ich ein Angebot nach dem Spiel bekommen. Sie schenken mir ein Stipendium fürs Handballinternat. Ich könnte meine Schule beenden und währenddessen unter optimalen Bedingungen trainieren", sprudelte es jetzt alles aus mir heraus. Gisli auf dem Sofa wurde immer bleicher. Ich spürte diesen Schmerz in meinem Herzen. Ich hatte das nie gewollt. Ich wollte ihn nicht so überrumpeln, aber diese Last hatte zu sehr auf mein Herz gedrückt, dass ich es jetzt einfach loswerden musste. Aufmerksam musterte ich ihn. Was ging in ihm vor? Ungeduldig wartete ich auf seine Reaktion. Ich machte mich auf alles gefasst. Doch ich musste feststellen, dass man sich auf so etwas nicht vorbereiten kann. Es war praktisch unmöglich, denn das Leben wird dich immer eiskalt erwischen...
Gisli:
Mit zitternden Händen strich ich ihr über den Rücken. Ich hatte Angst. Angst vor der Wahrheit. Was war so schlimm, dass sie so fürchterlich wimmerte? Was war geschehen? Hatte ich etwas falsch gemacht? Hatte jemand sie verletzt? Hatte sie mich betrogen? Tausend mögliche Gründe kamen mir in den Sinn, doch die Realität stellte sich als eine andere heraus. Ich wusste nicht was schlimmer ist: Dass sie mich betrogen hätte, oder das Angebot aus Blomberg. In diesem Moment fühlte es sich tausendmal schlimmer an. Ich fühlte mich wie vom Blitz getroffen. Sie tigerte in meinem Wohnzimmer auf und ab, während ich kreidebleich realisiert was sie mir so eben mitgeteilt hatte. „Angebot, aus Blomberg, Handballinternat, Chance auf einen Profivertrag". Immer wieder gingen mir diese Worte durch den Kopf und je länger ich mich damit befasste, desto schlimmer fühlte es sich an. Sie hatte vor mich zu verlassen. Wo liegt Blomberg eigentlich? Wie stellt sie sich das vor? Was wird aus uns? Sie weiß doch, dass ich nicht gerade ein Fan von Fernbeziehungen war. Ich war der Meinung, dass so etwas nie im Leben funktionieren könnte. Vielleicht bei Disse und Lukas, aber die beiden waren auch besonders. Aber nicht mit mir. Ich bin nicht der Typ für eine Fernbeziehung. Ich möchte sie an meiner Seite haben, meine Hände durch ihre Haare wandern können und nicht sehsüchtig vor einem Bildschirm sitzen. Das ist doch kein Leben! Ich will glücklich sein und nicht von quälender und schmerzhafter Sehnsucht geplagt werden. „Bitte sag doch was?", flehte sie mich an und ihre zerbrechliche Stimme ließ mein Herz in tausend Scherben zerspringen. „Was soll ich denn bitte sagen?", fragte ich und kämpfte gegen die Tränen an. Es fühlte sich so schmerzhaft an. Mein Herz zog sich zusammen und der Schmerz in meiner Brust wurde immer stärker und unerträglicher. „Ich will einfach deine ehrliche Meinung wissen" schluchzte sie. Meine ehrliche Meinung. Ich fühlte mich überfragt. „Du I'm sorry, but ich weiß gerade einfach nicht wo mein Kopf ist", antwortete ich. „Das heißt was?", fragte sie und ihre Stimme zerbrach. „I need time zum Nachdenken", erklärte ich ihr. „Ok, dann geh ich", antwortete sie mit trauriger Stimme. Ich spürte diesen tiefen Schmerz in meinem Herzen, der mir zeigte, dass das ein Fehler ist, aber ich wusste mir einfach nicht anders zu helfen. Ich brauche jetzt einfach Zeit. Ich muss mir das alles durch den Kopf gehen lassen. Das kam einfach alles so plötzlich. Ich hörte die Haustür ins Schloss fallen und wusste, dass sie nun weg ist. Weg für immer? Hatte ich sie gerade eben für immer verloren? Wie hätte ich reagieren sollen? Das kam einfach alles so unerwartet. Wussten Disse und Lukas davon? Wer wusste alles davon? Wieso hatte sie es mir so lange verschwiegen? Langsam rollten mir die Tränen über die Wange, während ich stur geradeaus an die Wand starrte. Der Blick wurde immer verschwommener und auf meiner Jogginghose hatte sich ein Wasserfleck gebildet, von den Tränen die mir auf die Hose tropften. Es fühlte sich so an als wäre mir das Herz aus der Brust gerissen worden. Ich wusste nicht mal richtig ob ich gerade sauer oder einfach nur zu tiefst traurig war. Ich wüsste nicht mal auf wen ich sauer sein sollte. Sie traf ja keine Schuld. Ich konnte schlecht war ihre einzigartigen Fähigkeiten als Spielmacherin sauer sein. Das wäre nicht fies. Sie hatte ein Recht für ihre Leistung belohnt zu werden. Wenn jemand dieses Angebot verdient hätte dann sie. Aber wieso jetzt? Wieso ausgerechnet jetzt? Wir waren doch so glücklich. Aber nein, das Leben machte einem immer einen Strich durch die Rechnung. Werde ich jemals glücklich sein? Würde sie in Blomberg glücklich sein? Kann ich überhaupt ohne sie leben? Tausend Fragen jagten mir durch den Kopf, aber keine einzige Antwort. Gab es hier für überhaupt eine Antwort? Ich fühlte mich so verloren. Was soll ich nun machen? Versuchen sie zu vergessen und nach vorne schauen? Sie an ihrem Traum hindern? Für sie unsere Liebe aufgeben? Versuchen Freunde zu bleiben? Es fühlte sich alles wie ein Verlust an. Hierfür gibt es wohl keine richtige Lösung. Egal welche Entscheidung wir treffen, es wird immer ein Verlust geben. Und das Schlimmste ist, ich konnte ihr nicht mal böse sein. Nein ich war sauer auf mich. Sauer, ihr diese Chance die sie verdient hätte zu nehmen. Kein anderer hätte diesen Platz gehört. Liv gehört dorthin. Jeder der sie spielen gesehen hat würde mir da zu 100% zu stimmen. Sie war für diesen Sport geboren, sie lebt diesen Sport. Es wäre nicht fair ihr die Chance zu nehmen. Auch wenn es schmerzt in meinem Herzen wusste ich bereits, ich werde ihr diese Chance niemals nehmen können. Wieso musste das mit uns eigentlich so kommen? Wieso musste ich nach Kiel kommen? Wieso bin ich nicht zu einem anderen Bundesligaverein? Nein, der große Gisli musste ja mit neunzehn zum großen THW Kiel! Hatte ich das überhaupt verdient? Es gibt so viele Spieler die besser sind als ich und ich wurde nach Kiel geholt! Wieso? Wenn ich nicht nach Kiel gekommen wäre. Hätten wir uns vielleicht nie kennengelernt! Dann würde sie jetzt in Blomberg-lippe spielen, dort wo sie auch hingehört und nicht wegen mir dieses Chance aufgeben. Ich hatte sie nicht verdient. Vielleicht war es einfach besser sie ziehen zu lassen, sodass sie ihren Weg gehen kann. Und ich? Ich werde schon irgendwann die Richtige finden.. Ich war neunzehn ich hatte noch alle Zeit der Welt. Doch zu diesem Zeitpunkt war ich meinen Gefühlen für sie noch gar nicht bewusst, denn dieses zeigen sich meistens erst dann, wenn derjenige bereits weg ist....

Spiel um Spiel, Lüge um Lüge und wann sieht er es ein? - The Second ChapterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt