Kapitel 12| Überraschung

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Kapitel 12

Nachdem ich Emma gezwungen gratuliert hatte, hatte ich vorgetäuscht, dass meine Mutter mir geschrieben hatte.

Es hatte mir die Luft abgeschnürt und es war ein Wunder, dass ich vor Verzweiflung nicht geheult hatte. Und blind wie sie war, hatte sie es nicht bemerkt. In diesem Falle war es aber wohl eher zu meinem Glück.

Heulend hatte ich mich nun auf meinem Bett zusammen gekauert und wiegte mich vorsichtig hin und zurück. Früher hatte mich das immer beruhigt, doch im Moment zeigte es keine Wirkung. Ich sass einfach nur da, und ein hysterischer Schluchzer nach dem nächsten verliess mich, gemeinsam mit ordentlich viel Rotze.

Mein ganzes Bett lag voll mit Taschentüchern, und meine Mutter hatte bereits mehrmals an die Tür geklopft und mich gefragt, was los war. Aber ich konnte nicht mit ihr darüber sprechen. Das... Es ging einfach nicht. Also hatte ich ihr jedes Mal versichert, dass es mir gut ging, und ich lediglich meine Tage hatte, weswegen ich total überdramatisierte, weil mein Lieblingsschauspieler gestorben war.

Sie kaufte es mir natürlich nicht ab, aber sie liess mich in Ruhe. Noch immer war sie fürchterlich darauf bedacht, nichts falsch zu machen, und mich zu besänftigen, wo immer es ging. Klar, wenn mich meine Tochter mit einem fremden Tisch beim Knutschen auf dem Küchentisch erwischen würde, wäre ich auch so drauf.

Erneut zog ich meine Nase hoch. Ein Blick auf mein neues Handy, dass Mum mir aus Schuldbewusstsein geschenkt hatte, zeigte mir zwei neue Nachrichten an. Ich wollte sie gerade ignorieren, da erkannte ich, dass sie von Robert waren.

Bin in der Stadt. Wollte euch überraschen. Haste Lust, vorher kurz mit mir Dad zu besuchen?
– der beste Bruder auf der Welt

Ich wäre um 5 vorm Gebäude. Habe uns bereits angemeldet
– der beste Bruder auf der Welt

Als ich diese Nachrichten erblickte, musste ich lächeln. Vielleicht brauchte ich ja genau das, um mich jetzt ein wenig abzulenken.

Schnell schrieb ich ihm zurück, dass ich mich auf den Weg machen würde, und ein Blick auf die Uhr verriet mir sogleich, dass ich noch fünfzehn Minuten hatte. Das war machbar.

Schnell schnappte ich mir eine Jacke, die in meinem Zimmer herum flog, öffnete die Tür und rief Mum zu, dass ich spazieren gehen würde, schliesslich wollte ich Robert die Überraschung nicht kaputt machen.

Ein Blick in den Spiegel verriet mir, dass ich absolut scheisse aussah. Meine Haare glichen eher einem Vogelnest, als einem Dutt, meine Augen waren rot und angeschwollen, mein ganzes Gesicht total fleckig.

Kurz überlegte ich, ob ich mich zuerst schminken sollte, aber eigentlich war es ja doch egal. Dad und Robert würden so oder so merken, dass etwas nicht stimmte und für die Welt da draussen brauchte ich mich auch nicht schön machen.

Ich schlüpfte also in meine Schuhe und trat hinaus in die Kälte. Leicht musste ich bibbern, machte mich aber schnellen Schrittes auf den Weg.

Als ich Robert erblickte, konnte ich nicht anders als zu lächeln. Ich rannte los und warf mich sofort in seine Arme. Er lachte laut auf und wirbelte mich einmal herum.

„Da ist ja meine kleine Prinzessin. Wie lange haben wir uns jetzt nicht gesehen? Drei Monate?" fragte er und ich nickte zustimmend. Viel zu lange jedenfalls.

„Erzählst du mir, was dich belastet" Wie immer war seine Stimme ruhig und beherrscht, obwohl ich genau wusste, dass es in ihm brodelte. Er war schon immer mein grosser Beschützer.

„Ich bin dumm" gab ich nur als Antwort.

Durchdringend sah er mich an. Daraufhin konnte ich nur schlucken. „Ich bin heimlich mit einem Typen zusammen, hab es Emma nicht erzählt und sie hat mir gerade gesagt, dass sie auf ihn steht"

Rob runzelte die Stirn. „Ich verstehe, dass das scheisse für dich ist, aber ich denke, du musst halt mit beiden reden" Bestimmt nicht. „Das geht nicht, Rob. Emma steht auf ihn. Und sie weiss nicht, dass ich ihn mag. Sie wird mich dafür hassen. Und für ihn ist es sicher auch total unangenehm! Nein." Hektisch schüttelte ich den Kopf.

Mein grosser Bruder seufzte. „Irgendwann muss du das aber klären, also besser früh als spät." Natürlich wusste ich irgendwie, dass er Recht hatte, dass hiess aber nicht, dass ich es akzeptieren würde. Viel lieber verkroch ich mich in eine Blase, in der Emma mir nicht ein solches Geständnis gemacht hatte, und ich ein Wochenende mit Nate verbrachte.

Nate.

Bei seinem Namen zuckte ich zusammen. Wie sollte ich ihn denn jetzt noch ansehen können, in dem Wissen, dass sich meine Angst bewahrheitet hatte? Wie konnte ich Emma das antun? Sollte ich wirklich so egoistisch sein?

„Jetzt komm schon, Dad wartet mit Sicherheit" Also nickte ich und folgte ihm hinein. Das Personal führte uns, nachdem wir uns ausgewiesen hatten, direkt in den Besucherraum. Schon ewig hatte ich Dad nicht mehr besucht, denn auch wenn ich ihn liebte, war es mir unangenehm. So unangenehm, dass ich nicht einmal Emma hiervor erzählt hatte.

Aber Nate hast du es erzählt.

Meine innere Stimme klang gehässig. Aber es war ja nicht nur, dass es mir unangenehm war. Auf eine merkwürdige Art fühlte ich mich schuldig, egal wie oft Rob und Mum mir gesagt hatten, dass ich es nicht war.

Einzig und allein diese schreckliche Frau !

Der Gedanke an sie liess in mir die Galle hoch steigen. Sie hatte Papas Leben zerstört, und unseres grundlegend verändert. Mir war bewusst, dass mein Vater nicht ganz unschuldig war, doch er hätte niemals drei Jahre bekommen, wenn sie die Tatsachen nicht völlig verdreht hätte.

Es war vor zwei Jahren gewesen. Dad hatte mich von einer einsamen Strasse abgeholt, an einer Bushaltestelle mitten im Nirgendwo, weil mein nächster Bus ausgefallen war. Ich war auf einem Konzert gewesen und wollte ganz gemütlich zurück fahren. Ich stand also da draussen in eisiger Kälte, es war dunkel und spät, weshalb er sich extra etwas beeilte. Er hatte mit Mum bereits einen Wein getrunken, wollte mich aber natürlich trotzdem nicht sitzen lassen und so spät wollte er es auch niemand anderem zumuten, mich abzuholen.

Da stürzte auf einmal aus dem gegenüberliegenden Wald ein Mädchen hervor. Regina, wie ich nun wusste. Sie war total betrunken und gackerte unaufhörlich.

Er konnte nicht rechtzeitig bremsen. Sie war nicht tot, aber sie lag einen Monat im Koma. Mittlerweile ging es ihr wieder gut, einzig eine feine Narbe auf ihrem Bein zeugte von dem schrecklichen Unfall. Ich hatte sie danach mehrmals getroffen. Sie wohnte eine Stunde entfernt und im Gegensatz zu ihrer Mutter war sie freundlich und gab selbst zu, dass sie auf die Strasse gerannt war. Zur Zeit des Prozesses lag sie ja aber dummerweise im Koma.

Ihre Mutter, dummerweise eine sehr einflussreiche Anwältin, nutzte also den Alkoholpegel meines Vaters aus, um ihn hinter Gitter zu bringen.

Sicher, er hatte einen Fehler gemacht, aber ohne sie wäre es niemals auf drei Jahre hinaus gelaufen. Und wenn er nächstes Jahr hier heraus kommen würde, würde kein normales Unternehmen ihn einstellen, so war ich mir sicher.

Mit einem Schlucken nahm ich den Hörer in die Hand und lächelte meinen Vater auf der anderen Seite der Scheibe zaghaft an. „Hey Dad"

Summer Is OverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt