Kapitel 27 | Albträume

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Kapitel 27

Wenn ich nicht gerade in der Schule war, verkroch ich mich in meinem Zimmer, unter dem Vorwand, lernen zu müssen. Meine Mutter sah mich jedes Mal traurig aus, wagte es jedoch nicht, die Stimme zu erheben. Emma tat so, als wäre nichts gewesen, schickte mir fröhliche Nachrichten und brachte mir Zimtschnecken mit.

Seit unserer Begegnung in der Bibliothek hatte ich nichts mehr von Nate gehört. Unschlüssig, ob das gut oder schlecht war, zerbrach ich mir den Kopf, während ich die wenigen Bilder, die ich von uns hatte, immer und immer wieder ansah.

Dass im Laufe der letzten zwei Wochen keine Träne mehr geflossen wäre, wäre gelogen. Allein der Gedanke an ihn machte mich emotional fertig. Ich versuchte, es zu verstecken, da ich weder wollte, dass jemand mich darauf ansprach, noch sich Sorgen um mich machte. Ehrlich gesagt war ich sogar relativ erfolgreich darin, allerdings hatte ich so viel Concealer wie noch nie verwendet, um meine schlaflosen Nächte zu verbergen. Meiner Mutter fiel das nicht so auf, sie war zu sehr damit beschäftigt, das Haus auf Vordermann zu bringen, ebenso wie ihr Schlafzimmer. Es würde zwar noch einige Wochen dauern, bis Dad wieder kam, doch sie war bereits jetzt sehr aufgeregt.

Robert war wieder in New York, allerdings hatten wir oft telefoniert. Er hatte mir gesagt, dass ich zu Nate zurückgehen sollte. Er meinte, dass meine Entscheidung nicht richtig sein könnte, wenn es mir danach so schlecht ging, daraufhin hatte ich ihm wutentbrannt gesagt, dass er sich da raus halten sollte. Seitdem hatte ich keinen Kontakt mehr zu ihm, Mum hatte jedoch gesagt, dass er plante, zu Papas Entlassung zu kommen. Diese Nachricht hatte ich lediglich mit einem Nicken wahrgenommen. Emma war dabei gewesen und ich hatte nicht die Absicht gehabt, mich in eine Diskussion zu stürzen. Sie war sowieso viel zu neugierig, fragte mich ständig darüber aus, wie es in der Familie gerade lief.

Von Victoria wusste ich, dass bei ihr gerade sehr viel los war. Ihre Eltern schienen sich regelmäßig zu streiten, weshalb sowohl Emma, als auch Charles so selten wie möglich zu Hause waren. Natürlich wollte ich meiner besten Freundin helfen und ihr die Stütze sein, die sie verdiente, aber es fiel mir schwer, von meinem eigenen Herzschmerz abzusehen und jemand anderem bei dem Seinen zu helfen. Sogar als Jessica einen neuen Typen anschleppte, hatte ich nichts gesagt. Dazu fehlte mir einfach die Kraft.

Mitten in der Nacht war ich mit einem Schrei erwacht. Mein Herz hatte gerast und mein Atem ging schnell. Der bittere Nachgeschmack meines Traums hatte mich sogar in den Wachzustand verfolgt. Mehrmals hatte ich tief durchgeatmet, in der Hoffnung, mich dadurch zu beruhigen. Natürlich hatte es nichts gebracht.

Das war auch der Grund, wieso ich dämliches Kind jetzt hier stand. Neben Emma, auf einer Party. Stockbesoffen. Meine Gedanken rasten, während ich mich auf meine beste Freundin stützte. Diese murrte und schob mich ein wenig genervt von sich weg. Als ich ihrem Blick folgte, verstand ich auch, weshalb.

Keine drei Meter von uns entfernt stand Nate. Er sah unglaublich gut aus. Er trug ein weißes T-Shirt, das ein wenig hoch gerutscht war und so einen Teil seines Waschbrettbauches entblößte. Die schwarze Hose, die er trug, saß locker auf seiner Hüfte. Als mein Blick zu seinem Gesicht hochwanderte, macht sich das schlechte Gewissen in mir breit. Er sah wie benebelt auf einen Punkt an der Wand, wobei dies seine tiefen Augenringe deutlich machte. Sogar von hier sah ich, dass seine Lippen trocken und kaputt waren, als hätte er sich zu viel darauf herumgebissen.

Neben mir räusperte Emma sich. Es gefiel ihr nicht, dass ich Nate auf diese Weise ansah. Denn sie kannte den Blick, mit dem ich jemanden auszog. Schnell wandte ich den Blick ab und stieß mich von Emma weg, um den Weg zur Bar einzuschlagen. Sie folgte mir nicht.

„Was su drinken bidde!" forderte ich den Typen auf, der dort stand. Dieser drehte sich um und sah mich grinsend an. „Und was genau willst du, schöne Frau?" Es gefiel mir nicht, dass er mich so nannte. „Egal... Was hardes" nuschelte ich also und stütze meinen Ellbogen auf der Theke ab.

Alles um mich herum wankte so merkwürdig und in mir entstand das Bedürfnis, einfach zur Seite weg zu kippen. Als mein Blick durch die Menge schweifte, konnte ich weder Nate noch Emma sehen. Mein Herz wusste nicht, ob es diese Tatsache mit Enttäuschung kommentieren sollte. Dafür erschien jedoch der Typ wieder und reichte mir einen roten Becher. Skeptisch betrachtete ich die Flüssigkeit darin, war mir aber nicht sicher, welche Farbe sie hatte.

„Worauf wartest du?" fragte er und legte mir die Hand auf die Schulter. Ich zuckte zusammen. „Trink" Er hielt mir den roten Becher an die Lippen. Leicht erschauerte ich. Energisch fasste er an mein Kinn um meine Lippen zu öffnen. Na gut, wenn er wollte, dass ich das trinken würde... Ich ließ den Becher meine Lippen spalten.

Auf einmal wurde er beiseite geschlagen. „Sie trinkt nichts" knurrte eine Stimme, die ich nur allzu gut kannte. Dann packte jemand meinen Arm und zog mich energisch weg. Ich hickste und versuchte, mich zu wehren. „Laas misch los!" forderte ich und versuchte seine Hand abzuschütteln. Zwecklos. Er zog mich die Treppe hoch und blieb dann im Flur mit mir stehen.

„Was soll das Cassandra?" Als er meinen vollen Namen sagte, regte sich Wut in mir. Nicht auf ihn, sondern auf mich selbst, dass ich uns so sehr zerstört hatte. „Was denn?" mürrisch löste ich meinen Arm aus seiner Hand. „Wieso betrinkst du dich? Du hast zwei Wochen lang kaum das Haus verlassen, was ist passiert?" Ich schluchzte leise und die Tränen überwältigten mich.

„Na du!" Empört schnaubte er. „Gib nicht mir die Schuld daran. Ich habe es dir gesagt. Ich liebe dich. Du bist es, die uns im Weg steht, also sag mir, was ich gemacht habe!" Ich hickste. „Ich hab von dir geträumt" Einen kurzen Moment musterte er mich ungläubig. „Und was hast du geträumt?" Panisch schüttelte ich den Kopf. Nein, das würde ich ihm nicht sagen können. Leise seufzte er. „Na gut. Ich wollte dir ja eigentlich nicht drohen, aber ich gebe dir jetzt eine letzte Chance. Komm zu mir zurück, oder ich werde Emma alles erzählen!" Auf seine Worte folgte ein erneutes Schluchzen meinerseits. „Nathan... Bitte! Ich..." Auf einmal war mein Kopf wieder so klar, als hätte ich nichts getrunken.

„Ich tue alles, aber bitte erzähl ihr nichts!" Er grinste, seine Hand wanderte unter mein Kinn. „Küss mich" ich konnte nicht reagieren, so gebannt war ich, von seiner rauen Stimme, der Art wie sich seine Lippen bewegten. Alles in mir drängte, mich zu ihm zu beugen und unsere Lippen miteinander zu vereinen. Ihn zu spüren, in meine Arme zu schließen und nie wieder loszulassen oder zuzulassen, dass irgendetwas auf dieser Welt uns trennen würde.

Doch ich konnte nicht. Nicht, nachdem ich mich so schändlich ihm gegenüber verhalten hatte. Er verdiente es nicht, dass ich meinen Trieben nachgeben würde, nur um danach wieder auf Abstand zu gehen. Sanft schob ich ihn ein Stückchen von mir weg.

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▪ Ich weiß, ihr hasst mich jetzt aber gebt den beiden ein wenig Zeit :)

▪ Wie hat es euch gefallen?

L U I S E

Summer Is OverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt