Teil 22

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Etwa 20 Minuten später tat sich im Behandlungsraum immer noch nichts. Niemand klärte mich über die Situation auf, wie lange es noch dauern wird oder sonst was. "Jamie?", ertönte plötzlich Marios Stimme und er kam den langen Flur entlang gelaufen. Kurz bevor er bei mir angekommen war, stand ich auf.

<<Marios Sicht>>

Jamie sah wirklich nicht gut aus. Ihre Schminke war total verlaufen und sie war total verheult. Wortlos schloss ich sie in meine Arme. Erneut fing sie an zu weinen. Ich genoss ihre Nähe, obwohl ich wusste, dass es falsch war. Immerhin ist für meinen besten Freund sehr wahrscheinlich gerade die WM geplatzt, noch dazu ist er mit ihr zusammen. Ein paar Minuten blieben wir so stehen, bis wir uns auf eine Bank setzten. Sie lehnte ihren Kopf an meine Schulter, ich legte meinen Arm um ihre und streichelte ihr über den Oberarm.

<<Jamies Sicht>>

Ich war froh, dass ich nicht mehr allein war. Schweigend saßen Mario und ich auf dieser Bank und warteten. Ich weiß nicht, wie lange wir da saßen, bis endlich die Tür geöffnet wurde. Wie vom Blitz getroffen sprang ich auf. Marco kam auf Krücken aus dem Raum gehumpelt, sein linker Fuß in einem dicken Gips verpackt. Das war es dann wohl. Er wird nicht nach Brasilien fliegen. Sein Traum einfach so geplatzt. Mit etwas Abstand blieb er vor mir stehen und schaute mir in die Augen. Ich ging einen Schritt auf ihn zu, schlang meine Arme um ihn und vergrub mein Gesicht an seiner Brust. Durch die Krücken konnte er die Umarmung nicht erwidern, aber er gab mir einen Kuss auf den Kopf. Neben uns hörte ich Mario mit dem Arzt sprechen: "Teilriss des Syndesmoses, außerdem vermuten wir einen knöcheren Bandausriss an der Fersenbein-Vorderseite, aber das muss noch mal ganz genau untersucht werden."

Während der gesamten Rückfahrt sagte niemand was. Ich glaube es war schon nach Mitternacht als wir am Hotel ankamen. In der Eingangshalle saßen noch eine Hand voll Leute, darunter auch Erik, der, als er uns erblickte, zu uns kam. "Und?", fragte er vorsichtig. Da keiner von uns antwortet, schüttelte ich stumm mit dem Kopf. "Ich werd dann mal schlafen gehn...gute Nacht", sagte Mario. Ich schenkte ihm ein leichtes Lächeln, dann ging er. "Das tut mir schrecklich leid man!", sagte Erik und legte Marco mitfühlend die Hand auf die Schulter, bevor auch er uns allein ließ. "Wollen wir auch hochgehen?" Marco antwortete nicht, er setzte sich einfach in Bewegung. Er hat, seit ich ihm Glück fürs Spiel gewünscht habe, überhaupt nicht mehr mit mir geredet. Marco lag schon im Bett, als ich aus dem Bad kam und legte mich auch hin. Er lag auf der Seite, mit dem Rücken zu mir. "Marco?" Ich wartete einen Moment, ob er sich umdreht, doch als er das nicht tat, drehte auch ich mich zur Seite, ebenfalls mit dem Rücken zu ihm. Es tat weh, dass er so abweisend war. Ich verstehe ja, dass es ihm scheiße geht, aber ich will ihm nur helfen.

<<Marcos Sicht>>

Ich wusste, dass ich mich unfair Jamie gegenüber verhielt. Deshalb drehte ich mich auf die andere Seite, legte meinen Arm über ihre Hüfte auf ihren Bauch und gab ihr einen Kuss in die Halsbeuge. Sie reagierte nicht, aber das erwartete ich auch nicht. Es war nicht fair, ihr die ganze Zeit die kalte Schulter zu zeigen, ich wusste, dass sie mir nur helfen will, aber das kann sie gerade nicht. Das kann niemand, ich muss allein damit klarkommen. 

Nach einer unruhigen Nacht wachte ich früher auf als Jamie. Ich ließ sie schlafen und machte mich schon einmal im Bad fertig, anschließend setzte ich mich zu ihr an die Bettkante, schaute ihr beim Schlafen zu und strich ihr sanft über die Wange. Kurze Zeit später wurde sie wach und rieb sich mit einer Hand den Schlaf aus den Augen. Ich verwebte meine Hand mit ihrer. "Hey", sagte sie mit ihrer verschlafenden Morgenstimme, die ich so unglaublich liebte. "Hey", lächelte ich sie an. "Es tut mir leid." "Was?" "Wie ich gestern zu dir war. Das war nicht fair. Ich weiß du hast es gut gemeint." Lächelnd schüttelte sie leicht den Kopf: "Es ist okay. Schon vergessen." Dann legte sie ihre freie Hand an meine Wange, zog meinen Kopf zu ihr runter und küsste mich. Wie hatte ich diesen wundervollen Menschen verdient?

Nahezu direkt nach dem Frühstück wurden Jamie und ich nach Dortmund gefahren. Es fiel mir schwer, mich vor allem von Mario zu verabschieden. Ich hatte mich echt auf die Zeit mit ihm gefreut.

"Was hältst du von Kreta?", war das erste, was ich zu Jamie sagte, als wir im Auto saßen. "Ähm...ich schätze es ist schön da. Aber-" "Und Robin und Forni? Mit denen kamst du doch auch immer gut klar oder?", unterbrach ich sie. "Ja schon..." Ich grinste: "Cool, was hältst du davon, wenn wir mit den beiden nach Kreta fliegen?" "Ich würde wirklich gerne mit dir Urlaub machen, aber...naja, du weißt ja, dass ich meinen Job verloren habe und-" "Ich lad dich ein. Keine Widerrede. Ich hätte dich auch eingeladen, wenn du noch deinen Job noch hättest. Bitte Baby!" Skeptisch beäugte Jamie mich: "Na gut...okay. Aber das ist eine Ausnahme, hörst du?" "Jaja", sagte ich schnell und küsste sie.

Freundschaft oder Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt