№. 12 ✉『 Herr H. 』

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ICH kann Ihnen nicht in die Augen schauen, wenn ich Ihnen auf dem Flur begegne.

Sie wissen zu viel

ist mein einziger Gedanke.


Sie haben mich tatsächlich ertappt, haben tatsächlich, tatsächlich zugehört, mit ihrer beunruhigend beruhigenden Stimme. Sie haben der Stille gelauscht und mich trotzdem verstanden.

Wenn Sie mich anschauen, habe ich das Gefühl, Sie würden alles sehen.


Jede einzelne Sekunde, in der ich kurz davor bin das Fenster aufzureißen, auf das Fensterbrett zu krabbeln und einfach loszulassen.

Jede einzelne Minute, die ich damit zugebracht habe, die Narben zu vertuschen, mir Lügen auszudenken, denn ich möchte nicht, dass es jemand erfährt.

Jede einzelne Stunde, in der ich unter ihnen gelitten habe. Sie wissen von wem ich rede. Sie wussten es von Anfang an.

Jeden einzelnen Tag, an dem ich vor mich hinvegetiere, denn ich wage kaum zu behaupten, dass ich existiere.

Und jedes einzelne Jahr, welches zu diesem großen Berg an verschwendeten Jahren hinzukommt.


Sie haben Krebs. Sie fanden sich eines Tages in den Armen des Todes wieder und wussten nicht, wie Sie dort hingekommen waren.

Man hat Ihnen Mut zu gesprochen, von allen Seiten, außer von meiner.

Nicht, dass es für Sie wichtig gewesen wäre. Aber für mich schon.

Denn ich habe mich geschämt, wissen Sie, weil Sie mich gesehen haben.

Den Dreck, den ich seit Jahren mit mir herumtrage und den, der noch ganz frisch in kaum verheilten Wunden sitzt. Einfach alles.


Und jetzt schäme ich mich, weil ich so ein Feigling war.

Verstehen Sie?

Natürlich tun Sie es, doch ich wünsche mir, Sie müssten es nicht.

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𝒜𝒷𝓈𝒸𝒽𝒾𝑒𝒹𝓈𝒷𝓇𝒾𝑒𝒻𝑒Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt