Eine Chance | ✅

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Die Nacht hatte sich schon lange wie ein tiefschwarzes Tuch über die von Menschen verlassen Straßen des Dorfes. Nur die Laternen am Straßenrand erhellte hier und da die Finsternis. Meine teuren Klamotten, die mir meine Mutter immer auf zwängte, waren voll mit Schlamm und Dreck, aber auch mein Gesicht und meine Hände, hatten eine ordentliche Ladung davon abbekommen. 

Ich parkte mein Mountainbike am Zaun unseres perfekt und fein säuberlich gepflegten Vorgarten, mit den preisgekrönten Tulpen meiner Mutter. Ich lief über den schmalen Pfad aus Kieselsteinen, bis hin vor unserer Haustür. 

„Kacke verdammte", fluchte ich, als ich in meiner Hosentasche meinen Haustürschlüssel suchte, diesen jedoch nicht fand. Entweder hatte ich diesen im Wald verloren oder Zuhause vergessen - mit Sicherheit konnte ich es nicht sagen. 

Ich seufzte innerlich machte ich mich schon auf den Ausbruch an Wut von meiner Mutter breit, welcher gleich auf mich warten würde, sobald ich an der Tür geklingelt hatte. 

Und dennoch tat ich es, schließlich wollte ich ungern die Nacht außer Haus verbringen. Wo den auch? Freunde hatte ich hier im Dorf keine. 

Kurz darauf ging auch schon das Licht im Schlafzimmerfenster aufleuchten, kurz darauf folgten dumpfe Schritte im Treppenhaus, bevor schließlich das Licht im Flur anging. 

Erst dann öffnete sich die Haustüre und offenbarte mir den Anblick meiner Mutter. In ihrem rosa Schlafanzug stand sie vor mir, in ihren Haaren Lockenwickler. Ihr brauner Blick bohrte sich tief in meine Augen, nein nicht nur dass, auch in meine Seele und es schien ein Höllenfeuer an Wut in ihnen zu lodern. 

Erst schwieg meine Mutter, es war nur ein kurzer Augenblick für den Rest der Welt, doch für mich fühlte es sich an, als würde nicht nur eine, sondern gleich mehrere Ewigkeiten vergehen. 

Schließlich, erhob meine Mutter die Stimme und es hörte sich an, als würde ein Donnerwetter direkt über meinen Kopf anfangen zu toben. 

„Finja-Marie Neuhausen!“, brüllte sie mich auch schon an, ihre Augen verengten sich zu teuflischen Schlitzen, während sie mich wütend an funkelte. 

Alleine die Tatsache, dass sie meinen vollen Namen benutzte, war schon ein großen Anzeichen dafür, dass sie mehr als nur sauer war - nein, sie war fuchsteufelswild! 

Doch lange war mir keine Pause vergönnt, denn sofort setzte sie ihren Wutausbruch fort und machte ihrem Ärger über mein spätes und verdrecktes Erscheinen auch schon weiter Luft: „Hast du eigentlich eine Ahnung, wie spät es ist? Und wie siehst du überhaupt schon wieder aus?“.

Eisiges Schweigen legte sich über uns beide, dennoch war die Luft zwischen uns so dick, dass man sie mit einem Messer hätte zerschneiden können. Jedoch hielt ich meine Klappe, da ich wusste dass Erklärungen nichts brachten.

Zudem war es sowieso offensichtlich wo ich gewesen war. Den unter keinem Arm, klemmte mein alter, abgenutzter Fußball, welcher schon seit 10 Jahren seinen Dienst tat. Diesen schien auch meine Mutter jetzt zu bemerken und sich gleich darauf einen Reim draus zu machen, wo ich gewesen war. 

„Wie oft habe ich dir eigentlich schon gesagt, dass du diesen dummen Sport sein lassen?“, diesmal schrie sie nicht, ihre Stimme klang leise, aber dennoch nicht weniger wütend. Und das war bei meiner Mutter eine tödliche Kombination. 

Dennoch erhob ich das Wort, denn ihre Worte brachten mich zur Weißglut und drängten die Angst vor meiner Mutter in den Hintergrund. Mir war egal, wie sauer sie auf mich war, den ich war genauso sauer auf sie.

„Sternschuppenfunkelnder Drachschleim, Mutter!“, fing ich auch schon lauthals an zu fluchen, nur am Rande bekam ich mit, wie die Lichter in den Häuser der Nachbarschaft angingen, manche sogar Fenster und Türen öffneten, um den Streit besser verfolgen zu können, „Dieser Sport ist alles was mir wichtig ist!“. 

Ich wusste, dass meine Mutter wusste, dass sie Mal wieder eine Grenze überschritten hatte, welche sie eigentlich nicht überschreiten durfte, doch wie so oft interessiert sie sich einen feuchten Dreck dafür, was sie bei mir durfte und was nicht. 

„Alles was dir wichtig ist?“, wiederholte sie und ihr Stimme triefte nur so vor Spot, was die Wut in mir nur noch weiter befeuerte, „Finja, ich tue seit Jahren einfach alles dafür, damit du nicht von der Schule geschmissen wirst mit deinem Verhalten, damit du gute Noten schreibst. Wie willst du so später Mal eine Firma führen?“.

Das war der größte Wunsch meiner Eltern gewesen, dass ich später ihre Firma leiten würde, die Firma von der die gesamte Ortschaft hier abhängig war, was die Arbeitsplätze anging. Ich hingegen interessierte mich so überhaupt nicht für den bürokratischen Kram oder für schicke Abendkleider und Hosenanzüge. 

„Dampfender Teufelsdreck, wie oft habe ich dir schon gesagt, dass ich deine blöde Firma nicht haben will? Kacke verdammte!“, erwiderte ich wutentbrannt, „Ich kann mir mit Abstand nichts schlimmeres auf der Welt vorstellen, als in dieser blöden Firma zu hocken und den Rest meines Lebens damit zu verschwenden, irgendwelche stink langweiligen Papiere zu bearbeiten!“.

Mein Blick fiel nun doch auf die Nachbarn, welches uns nun schon zahlreich anschauen, als wäre wie die größte Attraktion, seit Gründung des Dorfes. Gar nicht Mal so unwahrscheinlich, denn in diesen nach Klobürstensalat stinkenden Kaff passierte ja auch sonst nie was. Ein Tag glich dem anderen und ja, einmal im Jahr gab es ein Dorffest, aber selbst das lief immer wieder gleich ab. 

Die Augen meiner Mutter weiteren sich vor entsetzen, während sie scharf die Luft einzog. Sie konnte es einfach nicht glauben, was ich gerade gesagt hatte oder wollte es zumindest nicht wahrhaben. 

Die brachte sie auch so gleich mit Worten zum Ausdruck. „Wie kannst du nur so etwas sagen?“, kam es mit echtem Schock von ihr, sogar einen Schritt zurückgewichen war sie. 

„Dss gleich könnte ich dich auch fragen“, erwiderte ich, doch war ich nicht entsetzt, sondern einfach nur wütend, stinkwütend. Meine Stimme glich in diesem Moment mehr dem Knurren eines Wolfes, als der Stimme eines Menschen. 

„Du weißt einfach nicht was wirklich gut für dich ist, Finja“, erwiderte meine Mutter, ihre Stimme immer noch leise, dafür aber nun wieder mehr wütend, als entsetzt.

„Du aber doch auch nicht!“, erwiderte ich, meine freie Hand zur Faust geballt, um das aufflammende Zornesfeuer, welches nun in meinem Inneren zu toben anfing, irgendwie im Zaum zu halten, „alles was du machst, ist mir deinen blöden Willen aufzuzwingen! Aber, damit ist nun langsam Mal Schluss! Ich bin doch nicht deine blöde Puppe, mit der du machen kannst was du willst!“. 

Nun brach einfach alles aus mir heraus, was sich in den letzten Jahren an Wut bei mir angesammelt hatte. Denn nun war einfach der Punkt gekommen, wo ich wirklich einfach nicht mehr konnte.

Meine Mutter wusste eine lange Zeit nicht, was sie sagen soll, denn sie schwieg. Doch dann funkelten ihre Augen, als wäre ihr etwas eingefallen, womit sie mich nun wieder klein kriegen konnte, nur um mich dann wieder in der Hand zu haben. 

„Ich gebe dir noch eine letzte Chance“, sagte meine Mutter nun, ihre Tonlage war normal, aber das schmälerte die Bedeutung ihrer Worte in keinster Weise, „Du entschuldigst dich, kommst ins Haus, lässt den Fußball sein und wir vergessen daß ganze hier oder du trittst weiter den Ball durch die Gegend, aber hältst dich dafür von diesem Haus hier fern!“.

DWK-FF: Die Chroniken der Wölfin - Die VerstoßeneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt