Die hoffnungslose Suche nach Gründen...

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|•CALEB•|

Jordan verhält sich noch schlimmer als zuvor.
Jetzt sieht er mich nicht mal mehr an, redet kein Wort mit mir, ignoriert mich gekonnt.
Sein Vater tut das gleiche mit allen, nur nicht mit Mum.
Mum versucht Frieden zu stiften, doch ohne Erfolg.
Und ich? Ich sitze hier im Englischunterricht und frage mich, was ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht habe.

Hätte ich Jordan am Samstag küssen sollen?
Hätte er es denn gewollt?
Ich wollte es.
Aber ich wollte ihn auch nicht verschrecken, indem ich zu aufdringlich bin.
Man sieht ja, was passiert, wenn Jordan unzufrieden ist. Er kapselt sich von allem und jedem ab und lebt in seiner eigenen Welt. Gestern war er den ganzen Tag nur in seinem Atelier. Ich wollte mit ihm reden, aber die Tür war abgeschlossen und mein Klopfen hat er nicht gehört, weil so laute Musik gelaufen war.

„Caleb, haben sie auch etwas dazu zu sagen?“ Mein Blick huscht nach oben zu meiner Englischlehrerin, die mich auffordernd ansieht.
„Zu was denn?“, will ich wissen. Die Stunde geht schon 30 Minuten, aber ich habe keinen Plan, worüber gerade gesprochen wird. „Sie sollten langsam anfangen, die Schule ernst zu nehmen. Ihre ständigen Fehlzeiten und ihre unkonzentrierte Art stören meinen Unterricht“ Wie auch immer das funktioniert... „Ihre Noten sind zwar akzeptabel, aber ich will ein Verhalten wie ihres trotzdem nicht belohnen. Sie dürfen Morgen zum nachsitzen vorbeikommen.“
Jetzt lächelt sie mich gespielt an, ich ebenso zurück. „Ja dann freue ich mich schon auf die gemeinsame Zeit mit ihnen“ Ich zwinkere ihr zu, ein Lachen geht durch die Klasse, Frau Huber schnaubt empört. „Wüsste ich nicht, dass ihre Interessen woanders liegen, bekämen sie jetzt eine Anzeige wegen Belästigung“
Und somit dreht sie sich wieder um und macht was auch immer an der Tafel weiter.

Mein Banknachbar, Chris, der meistens den Unterricht verpennt dafür jedoch nie ermahnt wird, stupst mich an. „Sag mal, läuft da was mit dir und Jordan?“ Wie oft wollen die Leute mich das noch fragen? „Nein, das tut es nicht. Er ist hetero“

Das redet er sich zumindest ein.
Er ist so ein Idiot.
Wieso kann er nicht einmal zu sich stehen? Es muss ja nicht gleich seine mögliche Homosexualität sein, aber auch seine Hobbys hält er geheim und das sind Dinge, die einen Menschen ja zum Großteil ausmachen.

Ich verstehe nicht, wieso er sich immer so verstellen muss und so viel Wert auf die Meinung anderer legt.
Er ist so ein liebenswerter Mensch, aber nicht bereit es zu zeigen. Vermutlich ist das der Grund, weshalb er meine Gedanken die ganze Zeit belagert.
Es nervt mich einfach, dass er nicht zugeben will, wie toll er eigentlich ist. Denn das ist er.

Als es zur Pause gongt, stehe ich auf und verlasse das Klassenzimmer ohne auf Sammy oder Denise zu warten.
Sie sind zuerst Jordans Freunde gewesen und ich will nicht in seiner Nähe sein, wenn er so drauf ist. Nachher hält er mir noch vor, ihm seine Freunde weggenommen zu haben. Nein Danke. Auf noch mehr Streit mit ihm habe ich echt keine Lust.

Allerdings frage ich mich, wie es denn noch schlimmer werden kann. Immerhin tut er so, als gäbe es mich gar nicht.
Wenn wir wenigstens streiten würden, würden wir miteinander reden. Er würde mich ansehen. Aber nein.

Egal, ich habe auch gar keine Lust mehr ihm hinterher zu rennen und das ist auch nicht meine Aufgabe.
Ich kann ja nichts für die ganze Situation.
Ich war nicht der, der ihn vor unserer halben Klasse geküsst hat.
Ich war nicht der, der es angesprochen hat und auch nicht der, der den Kuss nicht wiederholen wollte.
Ich bin der, der darauf wartet, dass sein Stiefbruder sich eingesteht, wer er wirklich ist.

Aber spätestens, als ich sehe, wie er mit Chanti in der Besenkammer verschwindet, weiß ich, dass ich wohl noch lange warten muss.

Völlig erstarrt stehe ich ihm Flur und sehe auf die Tür zur Besenkammer, die gerade zugegangen ist.

Das ist doch jetzt nicht sein ernst?!
Mich wollte er nicht mal küssen und mit dieser Schlampe treibt er es mal schnell in der Pause!

Ich muss mich wirklich zusammen reißen nicht vor Wut zu schreien.
Stattdessen balle ich die Fäuste, presse die Zähne schmerzhaft zusammen und drehe mich Richtung Cafeteria um.

Ich kann an nichts anderes denken, als daran, was Jordan gerade mit Chanti macht. Dass er sie küsst, sie ihn anfasst... Nein, das ist mir zu viel.

Mit einem lauten Knall lasse ich mich an unserem Tisch nieder, wo sich Sam und Denise bis eben unterhalten haben und jetzt erschrocken zu mir sehen.
Solange Jordan es mit der Tussi treibt, kann ich wenigstens bei meinen Freunden sein. Schlechter Deal.

Am liebsten wäre es mir, er käme gerade mit mir aus der Besenkammer und wir würden uns zu unseren Freunden setzen. Aber nein. Chanti besorgt es ihm gerade.
Hand, Mund, Genital, Hintertür? Wer weiß das schon. Sie würde doch alles tun für ein bisschen Aufmerkamkeit von ihm.

Und das schlimme ist, dass es mir genauso geht.

„Was ist denn mit dir passiert?“, fragt Sam und reißt mich somit aus meinen Gedanken.
Genau, was ist denn eigentlich passiert?
Warum bin ich so wütend?

Warum zu Hölle treibt es Jordan mit Chanti, wenn er mich haben könnte?!

„Gar nichts“, fauche ich aggressiv.
Ich weiß, meine Freunde können nichts dafür, dass ich...
Ja, was eigentlich?
Was bin ich?
Bin ich vielleicht einfach empfindlich, weil ich beleidigt bin, weil Jordan unseren Kuss bereut?
Bin ich sauer, weil er mich nicht will?
Warum bin ich das?
Bin ich verlie...

Die Cafeteria Türen werden aufgestoßen. Es kommt mir unnatürlich laut vor und das Lächeln auf den Lippen der Person, die den Raum betritt macht es auch nicht besser. Chanti diese...

Hinter ihr kommt Jordan nicht so breit lächelnd, aber sichtlich zufrieden.
Es dauert nicht lange, da lässt er sich schon neben mir nieder, beachtet mich aber nicht. „Sam, weißt du noch, was ich dir von Chantis Piercing erzählt habe?“
Sam nickt mit misstrauischem Gesichtsausdruck. „Sie hat einen zweiten“, grinst Jordan, woraufhin Sam die Augen aufreißt. „Hast du gerade... Warst du... Habt ihr...?“
„Du hattest nicht ernsthaft gerade Sex“ Denise stöhnt genervt und haut sich auf die Stirn.
Jordan zuckt mit den Schultern. „Musste sein“

Ich spüre förmlich wie ich vor Wut rot anlaufe. „Was ist daraus geworden, dass du kein bedeutungsloses Rumgeficke mehr willst?“, höre ich meine Stimme vorwurfsvoll fragen.
Jordan sieht mich zum ersten Mal seit Samstag an, sein Blick ist eiskalt. „Ich habe meine Meinung eben geändert. Dir kann das egal sein, ich bin dir keine Rechenschaft schuldig dafür, mit wem ich wann bedeutungslosen Sex habe“

Ein unterbewusstes Knurren verlässt meine Kehle, Jordan weicht ein Stückchen auf der Bank zurück. „Wow, beruhig dich mal. Du siehst aus als würdest du mir gleich mit bloßen Zähnen die Kehle rausreißen wollen“
Seine Stimme klingt belustigt, doch seine Augen wiedersprechen ihm.
Er hat da etwas in seinem Blick...

„Und du siehst aus, als würdest du es bereuen wieder zu deinem früheren Ich zu werden“, gebe ich zurück, woraufhin ihm sein leichtes Lächeln vergeht. „Das hat dich nichts anzugehen. Du bist nichts mehr als der Sohn der Freundin meines Vaters, der mich nicht will. Merkst du etwas? Du bist nichts für mich. Du bedeutest mir gar nichts, also halte dich aus meinen Angelegenheiten raus.“
Ich höre irgendjemanden scharf die Luft einziehen und Denise ein „Jordan“ hauchen, doch selbst tue ich nichts anderes, als meine Miene emotionslos werden zu lassen, auch wenn ich mir gerade lieber nach heulen zu Mute wäre. „Komm zu mir, wenn du Hilfe brauchst, oder wieder nicht alleine sein willst. Ich werde nicht für dich da sein“ Mit diesen Worten stehe ich auf und verlasse die Cafeteria, aber irgendwie fühlt es sich so an, als würde ich nur Jordan verlassen und mein Herz bleibt bei ihm.

(Keine) Liebe auf den ersten Blick  (BxB)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt