Panik

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|•CALEB•|

Nach der Schule machen Jordan und ich uns auf den Weg zur Turnhalle, wo der Gollum-Lehrer schon wartet.
Er scheucht uns in die Halle, drückt uns Putzsachen in die Hand und geht dann wieder. Davor meint er aber noch, er kommt in drei Stunden zurück.
Wuhu!
Augenverdrehend trabe ich zu den Geräteräumen.
Das wird eine Menge Arbeit.

„Wie fangen wir an?", fragt Jordan, der sich wohl das gleiche gedacht hat.
„Ich würde sagen, wir räumen erstmal alles raus"
Jordan nickt einverstanden und wir machen uns an die Arbeit.
Natürlich können wir es uns nicht verkneifen Musik neben bei laufen zu lassen und mit den Bällen zu spielen oder über die Geräte zu springen.

Ich renne einmal gegen den Kasten, weil ich stolpere, werfe diesen mit mir zu Boden und Jordan lacht mich daraufhin erstmal aus, bevor er mir hoch hilft.
„Du bist ein scheiß Bruder", knurre ich beleidigt, doch er lacht nur weiter. „Sorry, aber du hättest dein Gesicht sehen sollen"

Kurzerhand greife ich nach dem Wisch Mob und donnere ihm den ins Gesicht. Jetzt bin ich es, der lachen muss. „Sorry, aber du hättest dein Gesicht sehen sollen", mache ich ihn lachend nach.
Er lässt es zum Glück auf sich sitzen.

Wir machen uns einen Spaß daraus, die Sachen auszuräumen, zu putzen und dann wieder einzuräumen und nach zwei Stunden sind wir auch schon fertig.
Wir schließen den Geräteraum, geben uns erstmal ein Highfive und gehen dann zur Türe, um endlich zu verschwinden, aber diese lässt sich nicht öffnen.

Ich drücke die Klinke wieder runter, ramme mit der Schulter gegen die Tür, versuche es in die andere Richtung, aber es geht nicht.
Jordan tippt gelangweilt auf seinem Handy herum, wartet wahrscheinlich darauf, wieder Empfang reinzubekommen.

„Jordan, ich bekomme die Tür nicht auf"
Er sieht sofort von seinem Handy auf, vermutlich wegen meiner panischen Stimme und versucht dann ebenfalls die Tür zu öffnen. Ohne Erfolg. „Als ob der Arsch uns eingesperrt hat. Das darf er doch gar nicht"
Ich schlucke und sehe zu Boden. „Hat er aber", murmele ich.

Ich hasse es, eingesperrt zu sein. Ich bin doch kein Tier, außerdem erinnert es mich an meine Vergangenheit und ich will nicht mehr daran denken.

„Caleb, alles okay?" Jordan kommt auf mich zu, doch ich gehe zurück und werfe die Arme in die Luft. „Fuck nein, es ist gar nichts okay! Wir sind eingesperrt, Jordan! Eingesperrt! Das bedeutet wir sind gefangen, bis uns jemand rausholt. Was, wenn er nicht kommt? Oh Gott, dann sitzen wir das ganze Wochenende hier fest und verhungern und verdursten." Ich atme hektisch, stehe kurz vor einer Panikattake, versuche die Erinnerungen an diesen dunklen Keller zu vertreiben, aber stattdessen füllen sich meine Augen mit verfickten Tränen und ich beginne zu zittern.

„Verhungern tut man erst nach einer Woche ohne Essen und verdursten werden wir nicht, weil wir ja noch das Wasser aus der Leitung haben. Außerdem müsste der Rocks in einer Stunde zurückkommen, also schieb mal nicht so ein Drama"

Drama?! Ich schiebe Drama?! Ist ihm überhaupt bewusst, in welcher Lage wir uns befinden?!
Also wenn er mich dadurch beruhigen wollte, ist eindeutig etwas schief gelaufen.

Ich schließe die Augen, um mich darauf zu konzentrieren nicht in Erinnerungen abzudriften, aber es bringt nichts. Es macht alles nur noch schlimmer. Ich sehe mich selbst in diesem kalten, dunklen Keller, spüre meinen Hunger, meinen Durst, meine Schmerzen und die Verzweiflung.
Ich habe verdammt nochmal Angst und ich will das nicht nochmal durchmachen.

„Caleb" Eine Stimme reißt mich zurück in die Realität, aber hier ist es auch nicht gerade besser. „Caleb, es ist alles gut. Ich bin doch da"
Ich öffne meine Augen wieder und sehe direkt in Jordans, die mich besorgt mustern. „Wieso hast du Angst?"

Ich schüttele einfach nur den Kopf und gehe quer durch die Halle an das andere Ende.
Ich werde es ihm nicht erzählen. Und vorallem nicht in dieser Situation.

Ich lasse mich auf den Boden sinken, ziehe die Beine an, stütze die Ellbogen auf den Knien ab und fahre mich immer wieder durch die Haare. Ich muss mich irgendwie beruhigen. Rein rational weiß ich, dass diese Situation nichts mit der vor einem Jahr zu tun hat, aber... Ich weiß nicht warum, aber ich kann diese Angst einfach nicht ablegen. Ich will hier raus.
Ich muss an irgendetwas anderes denken, sonst fange ich gleich an zu schreien und um mich zu schlagen.
Ich muss an etwas Schönes denken. Freunde, Familie... Mick, Angi.

Ich fokussiere mich krampfhaft an die Zeit mit Mick und Angi, versuchte komplett in meinen Erinnerungen daran einzutauchen und irgendwann hilft es sogar.
Meine Atmung wird ruhiger, mein Herzschlag ebenfalls, ich höre auf zu zittern.
Langsam öffne ich die Augen wieder.

„Geht es wieder?" Jordan sitzt neben mir, in einer ähnlichen Position wie ich, nur, dass seine Beine ausgestreckt sind, meine angewinkelt. Er sieht mich ehrlich besorgt an. Ich weiß, ich sollte ihm nicht vertrauen, aber dank ihm bin ich hier nicht alleine.
„Ja", antworte ich also nickend.

„Willst du darüber reden?"
Ich schüttele den Kopf.
Er antwortet mit einem „Okay"

Wir starren beide eine Zeit lang auf die Gegenüberliegende Wand, bis er weiterspricht. „Wenn du irgendwann reden willst, kannst du jederzeit zu mir kommen. Ich weiß, wir können uns eigentlich nicht leiden, aber wir müssen jetzt sowieso miteinander auskommen"
Ich nicke als Zustimmung.

Irgendwann fällt mir etwas ein, worüber ich heute Morgen nachgedacht habe. „Weißt du, ich bin eigentlich sauer auf dich, weil du mir zutraust, dass ich über dich herfallen würde. Ich erscheine vielleicht wie ein Arschloch, aber ich bin keins. Und ich würde nichts tun, das andere nicht wollen oder sie verletzt" Ich sehe Jordan ernst an, er nickt leicht lächelnd. „Weiß ich doch. Es regt mich einfach nur so auf, dass mein Dad dir mehr vertraut als mir. Aber irgendwie verstehe ich es auch. Du bist der gute von uns." Er lächelt und scheint wirklich jedes Wort so zu meinen und das wiederrum bringt mich zum Lächeln. „Ist ja nicht schwer. Du legt die Messlatte nicht gerade hoch"
Er lacht nur über meinen neckenden Witz, der eigentlich ziemlich der Wahrheit entspricht.

„Du bist eigentlich schon ganz korrekt. Unter anderen Umständen könnten wir bestimmt Freunde sein, aber so bin ich dazu verpflichtet dich zu hassen", meint er, doch klingt dabei nicht böse. Ich verstehe nicht was er meint, also frage ich nach und er erklärt. „Meine Mum würde bestimmt nicht wollen, dass mein Dad eine andere liebt und ich das auch noch unterstütze. Und nur weil mein Dad sie vergessen hat, heißt das nicht, dass ich das kann oder will. Durch den Tod von Mum habe ich nicht nur sie verloren, sondern auch Dad, weil er danach ein komplett anderer Mensch geworden ist. Okay, ich bin es auch, aber ich versuche mich wenigstens zu bessern"

„Was sagt dir, dass es dein Dad nicht auch versucht?", frage ich vorsichtig.
Mir ist schon seit meiner Ankunft klar, dass Jordan sehr an seiner Mutter hängt, aber seine Ansichten sind ziemlich heftig.

„Sein Verhalten. Ich meine, ich verstehe ihn schon, ich habe echt viel scheiße gebaut in den letzten Jahren, aber er war auch nicht gerade besser und ich bin immerhin sein Kind. Er sollte sich um mich kümmern und mich nicht bestrafen, weil ich nicht das tue, was er will. Aber jetzt ist eh alles zu spät" Jordan seufzt und sieht auf die Finger in seiner Hand.
Je offener er wird, desto besser kann ich ihn ausstehen, das muss ich zugeben.

„Weißt du, Jordan, wir sind beide ziemlich verkorkst", seufze ich, während ich meinen Kopf neige, um ihn auf seiner Schulter abzulegen.
„Wenigstens sind wir jetzt nicht mehr alleine damit", antwortet er und ich könnte schwören, dass seine Stimme so klingt, als würde er lächeln.

(Keine) Liebe auf den ersten Blick  (BxB)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt