Kapitel 11

20 11 8
                                    

Die Zeit verging und ich entwickelte meine täglichen Routinen weiter. Jeden Morgen und jeden Abend kontrollierte ich die Rosen, die ein Geheimnis verbargen. Ich ertappte mich dabei, dass ich auch begann mit ihnen zu sprechen und sie irgendwie lieb zu gewinnen.

Mein Tagesplan sah vor, montags eine Partie Schach mit George zu spielen, dienstags mit den Ladys Handarbeiten nachzugehen, mittwochs mit Marius zu malen, donnerstags mit Jane auszureiten, freitags mit Melanie in die Stadt zu fahren um Einkäufe zu tätigen und Marius einen Besuch in seinem Atelier abzustatten und am Samstag wieder zu kommen. Sonntags trafen sich alle Bewohner von Lennox Castle zum Tee. Mit all diesen Beschäftigungen und sogar einigen mehr stand der 30. April ruck zuck vor der Tür.

Zur Belustigung aller fand im Dorf ein Tanzabend statt, den wir geschlossen besuchen wollten. Wider Erwarten war das Wetter recht gut und vor allem trocken, so dass der Tanzerei im Freien nichts im Wege stand. Ich hielt mich jedoch bedeckt und beobachtete lieber die Menschen, während ich an meiner Bowle nippte. Doch Marius konnte es nicht lassen.

„Komm schon, Ronna!", bettelte er und flüsterte mir ins Ohr: „Wir haben schon lange keinen Speck mehr geschüttelt."

„Als ob du welchen hättest, du Spargel", entrüstete ich mich künstlich.

„Ich setze die Geheimwaffe ein, wenn du bockst", drohte er mir.

„Nein! Bitte nicht den Hundeblick! Ich komm ja schon." Ich drückte George mein Glas in die Hand, der es in einem Zug austrank und folgte Marius einladend ausgestreckter Hand.

„Weißt du eigentlich, dass du gut in der Hand liegst?", flüsterte Marius, als er seinen Arm um meine Taille legte.

„Marius! Du machst mich ganz verlegen. Und du weißt, dass ich das hasse", schnaubte ich.

„Hmm. Aber mir gefällt es." Er ließ mich eine Drehung vollführen. „Du bist ein böses Mädchen, Ronna!" Er klapste mir auf den Po.

„Marius! Untersteh dich das noch einmal zu tun", fluchte ich, funkelte ihn gespielt erbost an und schälte mich aus der Tanzhaltung.

„Ich sag doch, du bist ein böses Mädchen und das hast du nun davon." Er zog mich dichter an sich heran, als es für die Fortsetzung des Tanzes notwendig gewesen wäre, was beinahe einen Atemstillstand bei mir auslöste.

„Ich hab ein Knie und ich weiß, wo es weh tut", drohte ich.

„Das traust du dich nicht."

„Willst du darauf wetten? Willst du es wirklich darauf ankommen lassen?" Er war kurz davor klein bei zu geben. Ich fühlte es.

Er raunte: „Ich liebe es dich aus der Fassung zu bringen und werde es auf die Spitze treiben."

Jetzt machte er mich neugierig: „Das schaffst du nie!"

„Oh doch. Wo ich endlich den Mut dazu gefunden habe." Er stand plötzlich still, zog mich noch enger an sich und küsste mich innig.

George gesellte sich zu uns und begann zu applaudieren. „Na endlich. Leute, wir haben wohl bald noch eine Hochzeit zu feiern dieses Jahr." Nun hatten wir die Aufmerksamkeit aller – oh Gott, war mir das peinlich! Alles in allem war die Situation überwältigend. Während ich noch von seinem Kuss überrascht und von Georges Kommentar leicht erzürnt war, entschied sich mein Gedächtnis mir mit Verzögerung doch noch ein Bild zu schicken. Diesmal war es erstaunlich klar. Ein Rosenbogen, ein Brautkleid und neben mir stehend Marius. Als ich mir bewusst wurde, dass er wahrscheinlich das gleiche Bild vor Augen hatte, trat ich kurzerhand ab. Leider nicht lange genug.

Kalte Hände klatschten an meine Wangen.

„Ronna?! Mach uns keinen Ärger." Vorsichtig öffnete ich das rechte Augenlid ein wenig und blickte in Georges besorgtes Gesicht. Gut soweit. Als ich das linke dazu nahm, fiel mein Blick auf George und ... Marius. Da entglitt meinem Mund doch glatt: „Nicht du schon wieder."

Seinerseits wurde das durch ein Stirnrunzeln quittiert.

„Nimm das nicht so ernst. Sie weiß gerade nicht, was sie sagt", nahm George mich in Schutz. Und ob ich das wusste! Tz. Ich setzte mich schwungvoll auf, was mir wiederum besorgte Blicke einbrachte.

„Es ist alles in Ordnung! Wenn die Herren mir bitte aufhelfen würden?" Sie taten, wie ihnen geheißen wurde, aber widerwillig.

Ich strich mir den Staub vom Kleid: „Würde mich bitte jemand nach Hause geleiten? Ich glaube, es reicht für heute." Ich vermied es Marius anzusehen.

„Ja!", antworteten George und Marius gleichzeitig.

„Einer reicht. George, würdest du das übernehmen?", fragte ich ihn.

„Ich? Bist du dir sicher?", hakte er nach.

„Ich bin sicher." Dann kam der Augenblick doch, an dem ich Marius ansehen musste. „Wir müssen reden, aber vielleicht besser nicht jetzt."

Er nickte verständnisvoll.

George organisierte den Transport und ließ mich am Haupteingang von Lennox Castle aussteigen um dann die Pferde an den Stallburschen zu übergeben. Ich weiß nicht, was mich zu ihnen zog, aber ich hatte das dringende Gefühl die Rosen im Schein des vollen Mondes betrachten zu müssen. Wie herrlich sie anzusehen waren. Zwei einzelne kleine Blüten hatten sich schon etwas geöffnet. Ich strich über die Blätter, roch an den Blüten und murmelte: „Ihr seid so wunderschön und duftet so gut. Manchmal wünschte ich, ich wäre eine von euch. Es hat schon etwas, sich um nichts sorgen zu müssen." Meine Hand glitt sanft über ein paar andere Blätter. „Der Regen tränkt euch, die Sonne wärmt euch, der Winter kann euch nichts anhaben. Die Bienchen schenken euch Zärtlichkeit und kommt euch jemand zu nahe, dreht ihr eure Stacheln in seine Richtung. Rose müsste man sein!"

„Du bist eine Rose." Marius Stimme klang trocken und dennoch sanft, als er von hinten an mich herantrat. „Meine Rose." Er griff mich in der Taille und drehte mich zu sich herum. Wir blickten uns wortlos an.

„Bist du mir böse?", fragte er.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das bin ich nicht. Nur überrascht und dann diese Erinnerung, das war etwas zu viel", druckste ich herum. „Ich nehme an, du hast sie auch gesehen?"

„Das habe ich." Er strich mir mit dem Daumen über die Wange. „Wir sind füreinander bestimmt, Ronna Rose. Du kannst es nicht leugnen."

Ich schluckte trocken: „Du hast recht, Marius." Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.

„Wer lässt denn einfach sein Pferd hier herumstehen?" Polternd kam George um die Ecke und nahm suchend das Pferd an die Zügel. „Ah, unser Casanova." Sein Blick fiel auf uns und zerstörte unseren Moment. Innerlich fluchend kam ich etwas aus dem Gleichgewicht und landete mit meiner Hand an einem Rosenstachel. „Autsch! Mensch, George, du hast ein Talent immer in den falschen Momenten aufzutauchen."

Das Grinsen, das sich auf Georges Gesicht zeigte, erschien mir beinahe diabolisch: „Falsch. Ich tauche immer in genau den richtigen Momenten auf." Er verschwand mit dem Pferd.

„Hast du dich doll gestochen?", fragte Marcus und besah sich meine Hand. Zum Glück wenig Blut und den pinken Glimmer hatte ich mit einer verstohlen Bewegung weggewischt.

„Ach, davon wird morgen schon nichts mehr zu sehen sein. Lass uns reingehen."

Marius geleitete mich bis zu meiner Zimmertür, an der er sich mit einem Kuss und einem „Gute Nacht, Mylady." verabschiedete, das mir die Röte eines Backfisches ins Gesicht zauberte.

The Doctoress - Roses (6/Special)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt