Kapitel 15

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Wir kamen zu spät zum Abendessen. Den anderen fielen sogleich unsere ernsten Mienen auf.

„Ronna, was ist los?", fragte Jane besorgt. „Habt ihr es euch anders überlegt mit dem Heiraten?"

Ich atmete tief ein und aus: „Nun, Jane. Sagen wir es mal so..." Ich blickte Marius hilfesuchend an.

„Es ist etwas dazwischen gekommen", beantwortete Marius meinen Satz.

„Aber ihr habt euch nicht gestritten?" Jane sah uns mit geweiteten Augen an.

Demonstrativ griff Marius nach meiner Hand: „Nein, wir haben uns nicht gestritten. Aber...." Jetzt sah er mich hilfesuchend an.

„Wir beginnen uns zu erinnern. Und das, was wir wissen, gefällt uns nicht."

Schon gingen ein paar Münder auf um diverse Fragen zu stellen. Marius hob abwiegelnd die Hand: „Bitte. Stellt keine Fragen. Wir müssen das erst für uns selbst verarbeiten."

Nach dem Abendessen zog ich mich allein auf mein Zimmer zurück um nachzudenken. Nichts machte einen Sinn. Ich sog den Rosenduft ein, der beinahe wie ein Opiat auf mich wirkte, als es klopfte.

„Ich bin's, Jane. Darf ich reinkommen?", wollte sie wissen.

„Ja, bitte."

Sie setzte sich neben mich in einen Sessel und nahm meine Hand.

„Ronna, ich möchte nicht aufdringlich sein, aber kann ich dir helfen? Irgendwie?"

„Jane, ich." Ich seufzte. „Ach, was soll's. Wenn Marius und ich uns küssen, kommen manchmal bildhafte Erinnerungen bei uns beiden hoch. Gleichzeitig und dieselben. Wir haben uns bei unserer Hochzeit gesehen."

Ein Strahlen huschte über Janes Gesicht. „Aber das ist doch toll. Vielleicht wart ihr schon einmal miteinander verheiratet und habt euch wiedergefunden."

„Davon gehen wir auch aus. Wir empfinden eine sehr starke Verbundenheit für einander." Ich holte tief Luft: „Wir haben uns auch bei einem Treffen vor unserer Hochzeit gesehen. Da hieß ich Smith."

„Smith? Aber du heißt Rose mit Nachnamen." Sie blickte verwundert drein. „Das ergibt doch gar keinen Sinn."

„Genau. Das ist der Punkt. Ich bin nicht Ronna Rose – noch nie gewesen. Und Marius ist nicht Marius – auch noch nie gewesen. Das verwirrt uns."

Jane sagte zuerst gar nichts, doch dann nickte sie verstehend: „Das kann ich nachvollziehen. Irgendwer scheint euch ein anderes Leben angehängt zu haben. Wer macht so was? Ich könnte Raymond fragen, ob so etwas strafbar ist."

Ich drückte ihre Hand. „Das ist sehr lieb von dir, Jane. Aber ich bitte dich um äußerste Verschwiegenheit in dieser Sache. Vorerst. Marius und ich werden selbst Nachforschungen anstellen und wenn wir Unterstützung benötigen, werden wir dich und Raymond als erste um Hilfe bitten."

Jane seufzte erleichtert auf: „Ich werde nicht ein Wort darüber verlieren, auch nicht gegenüber Raymond."

Ich wusste, dass ich Jane trauen konnte.

„Ich werde dich dann jetzt alleine lassen. Du hast genug zum Nachdenken und weißt, wo du mich findest." Sie war bereits schon zur Tür geschritten. Als sie sie öffnete, fiel unser Blick auf George.

„Du? Hier?", fragte Jane ihn.

„Ja, ich mache mir Sorgen um meine Freundin. Oder darf ich das nicht?", fauchte er sie an.

„Doch, natürlich. Ronna, darf er rein?"

Ich nickte. Ihm würde ich gar nichts erzählen. Die Frage war nur, ob er etwas mitgehört hatte. Zutrauen würde ich es ihm. Jane verließ mein Zimmer mit einem kritischen Blick auf George, der mich wahrscheinlich warnen sollte. Während George das Zimmer mit einem sehr fürsorglichen Blick betrat, der mich vielleicht weichkochen sollte ihm zu vertrauen. Aber woher kam plötzlich dieses Misstrauen gegenüber George? Er war immer sehr zuvorkommend mir gegenüber gewesen und hatte mich behandelt wie ein wahrer Freund.

„Dir geht es nicht gut oder?", stellte er fest.

„Nein, tut es nicht."

„Möchtest du mit mir darüber reden? Ich kann schweigen wie ein Grab.", bot er sich an.

„Nein, danke George. Es gibt Dinge, die muss man mit sich selbst ausmachen, gerade, wenn die Vergangenheit einen einholt."

„An wie viel erinnerst Du dich?" Sein Gesichtsausdruck wirkte ängstlich.

„Nicht an viel", versuchte ich die Sachlage zu relativieren. Ich hatte da ein ungutes Bauchgefühl.

Er atmete tief aus: „Gut."

Gut? Tiefes Ausatmen? Was sollte mir das sagen? War da jemand erleichtert, dass ich mich nur an wenig erinnern konnte? Mein Gehirn zählte eins und eins zusammen. Er hatte etwas damit zu tun! Und dieses Kümmern um mich diente nur der Beruhigung seines schlechten Gewissens. Nur nachweisen musste ich es ihm können. Ein Geständnis wäre schön. Also raus damit!

„George, was hast du damit zu tun?" Ich sah ihn eindringlich an. Ein leichter Schweißfilm begann sich auf seiner Stirn abzuzeichnen. „George?" Er stand auf und bewegte sich Richtung Zimmertür.

„Nicht hier", flüsterte er und sah mich verschwörerisch an. „Lass uns das Gebäude verlassen."

Sollte ich ihm folgen? Was hatte er vor? Nur mit mir reden? Ich warf alle Bedenken über Bord und folgte ihm, aus dem Haus, weg vom Grundstück, in den dunklen Wald. Wie leichtsinnig!

Er blieb stehen und stellte die kleine Laterne, die er mitgenommen hatte, auf einen Findling.

„Ronna, ich habe etwas damit zu tun. Ich bin dein und Marius Wächter. Ich wache darüber, dass ihr eure Erinnerungen nicht wiedererhaltet. Sollte das der Fall sein, wäre ich gezwungen euch..." Ich sah ihn aufmerksam an und hob eine Augenbraue. „...zu vernichten."

Ich räusperte mich und fand zuerst keine Worte. „Das ist nicht dein Ernst oder?" Ich betrachtete ihn. „Doch, es ist dein Ernst. Und?", fragte ich provokant. „Wie wirst du es tun? Erstechen, erdrosseln, irgendwo runter schmeißen? Vielleicht ertränken? Du hast viele Möglichkeiten."

„Nichts dergleichen." Er wanderte umher, ich behielt ihn im Auge. „Ich weiß auch gar nicht, ob ich es noch kann."

Ich sah ihn fragend an und runzelte die Stirn.

Irgendetwas war mit seinen Augen. Sie veränderten sich. Die Augenhöhlen wurden schwarz. Irgendwo hatte ich das schon mal gesehen, aber da ich nicht wusste wo, ließ es mich kalt.

„Gut, daran scheinst du dich nicht zu erinnern. Dann stehe ich auch noch nicht vor der Entscheidung, ob ich dich und Marius unschädlich machen muss. Eure Gnadenfrist läuft. In eurem Interesse, unterlasst es nach euren Erinnerungen zu graben. Und redet mit niemandem über das hier, sonst – du kannst ruhig aus dem Gebüsch kommen, Marius. Nun ja, sonst bin ich gezwungen Schritte einzuleiten." George ließ Marius und mich im dunklen Wald stehen und ging forschen Schrittes ohne Laterne fort. Er war schon ein wenig unheimlich, aber anstatt Angst verspürte ich Neugier. Neugier, Neugier und nochmals Neugier.

„Was war das eben?", fragte ich Marius.

„Er hat uns mit dem Tod gedroht, wenn wir weiter Nachforschungen bezüglich unserer Erinnerungen anstellen", resümierte Marius.

„Hat er?"

„Hat er!"

„Hast du seine Augen gesehen?" fragte ich Marius.

„Leider nein. Was war damit?"

„Sie waren komplett schwarz."

Marius zuckte mit den Schultern: „Und? Das sagt mir nix."

„Mir schon, aber ich weiß nicht woher."

„Lass uns morgen darüber reden", gähnte Marius. „Ich hole dich zum Frühstück ab."

Nachdenklich schlenderten wir zurück zum Haus um wieder einmal vor Grübeleien nicht schlafen zu können.

The Doctoress - Roses (6/Special)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt