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Die Phantasie der Angst ist jener böse, äffische Kobold, der dem Menschen gerade dann noch auf den Rücken springt, wenn er schon am schwersten zu tragen hat
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Mit einem mulmigen Gefühl laufe ich an der von Efeu bewucherten Mauer neben einem Trampelpfad entlang. Mittwoch, 7:17 Uhr und ich bin auf meinem gewohnten Weg zur Schule. Wenige Sonnenstrahlen scheinen durch die grünen Blätter an der Kante der Mauer und beleuchten den Weg.
Ein flaues Gefühl breitet sich in meinem Magen aus und mein Nacken brennt, von dem Gedanken, dass mich jemand hinter mir anstarrt. Vielleicht sogar direkt hinter mir. Nur einen Zentimeter entfernt und ich würde es nicht bemerken. Ich würde denken, mir diesen Atem, der meinen Nacken streift, nur einzubilden.
Reflexartig drehe ich mich um, doch da ist niemand. Erleichtert atme ich auf, bis sich zwei Arme um meinen Bauch schlingen und mir der Atem stockt. Eine Stirn lehnt sich gegen meine Schulterblätter und ein warmer Atem haucht gegen den Stoff meines Pullovers.
„Du siehst schon wieder so verloren aus. Ist alles in Ordnung?", flüstert eine hohe Stimme, sodass ich mich sofort entspanne. Jetzt sehe ich auch die Orange gefärbten Haarsträhnen, die auf meiner Schulter liegen. „Ja, alles in Ordnung. Du hast mich erschreckt"
„Verzeihung. Kommst du? Wir trödeln", kichert Xavier, greift nach meiner Hand und zieht mich weiter in Richtung Schule. Damit ging wohl mein letztes Stück klarer Verstand verloren, sodass ich wie hypnotisiert auf unsere verschränkten Finger starre.
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„Ich weiß ja nicht. Sieht das nicht blöd aus?", murmelt Xavier und dreht sich vom Spiegel weg, zu mir. Seine orangenen Haare stehen wie immer zottelig in alle Richtungen und unsicher zupft er an dem riesigen, grünen Stoff, der ihn umhüllt.
Wir sitzen gerade in meinem Zimmer und irgendwie hat er es geschafft seinen Kakao zu verschütten und sein weißes T-Shirt zu ruinieren. Also steht er nun in einem meiner Pullover vor meinem Spiegel, welcher ihm allerdings viel zu groß ist.
Der Stoff reicht ihm fast bis zu den Knien und lediglich drei seiner Fingerkuppen gucken aus den Ärmeln. „Glaub mir, es sieht nicht blöd aus", verspreche ich ihm und ziehe ihn auf meinen Schoß.
„Gut, ich vertraue da deiner Expertenmeinung", kichert er und kuschelt sich an mich. Mein Herz würde mir vermutlich aus der Brust springen und gegen ihn stoßen, wäre da nicht dieses unwohle Kribbeln in meinem Magen.
Instinktiv sehe ich zum Fenster, welches jedoch geschlossen ist. Durch die Tür kann ebenfalls niemand kommen. Könnte sich jemand unter dem Bett verstecken? Oder vielleicht sogar... In meinem Kleiderschrank?
„Du guckst schon wieder so. Siehst Du schon wieder etwas?", fragt Xavier besorgt. Zögernd schüttle ich den Kopf. „Nein, aber ich glaube, jemand beobachtet mich schon den ganzen Tag", flüsterte ich, ehe sich meine Augen überrascht weiten.
Lange, spitze Fingernägel bohren sich in meine Schulterblätter und ein unangenehm warmer Atem erhitzt meinen Nacken. Kratziges, verzerrte Lachen schallt im Raum und ein widerlicher, metallischer Geruch liegt in der Luft.
Vor Schmerz keuche ich auf und durch meinen gekrümmten Rücken, wird Xavier's Blick noch besorgter. „Kobold?", fragt er lediglich, während er von meinem Schoß rutschte. Ein Nicken reicht, damit er sich hinter mich setzt und vorsichtig die Arme um meinen Bauch schlingt.
„Alles ist gut, hier ist niemand. Nur ich. Keiner tut dir weh, Zachary", flüstert er und lehnt seine Stirn erneut gegen meine Schultern. Langsam verschwindet nicht nur das Lachen, sondern auch der Geruch und der Schmerz. Lediglich die Wärme bleibt, welche Xavier ausstrahlen.
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Oneirataxia [BoyXboy]
Short StoryONEIRATAXIA (n.) the inability to distinguish between fantasy and reality ______________________ Zachary hat es nicht leicht. Im Alltag wird er des öfteren von Kobolden verfolgt, von Einhörner gejagt oder von Hexen verflucht. Trotz seiner depremier...