Kapitel 17:

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Sofort nach diesem Geschehen gehe ich mit einem Kopf voller Gedanken ins Labor und sage den Ärzten, dass ich in der Glaszelle gegen etwas gestoßen sei und deswegen mein Auge erneut verletzt ist. Es tut mir nicht gut, dass ich sie anlüge, aber ich würde alles schlimmer machen, wenn ich ihnen die Wahrheit gesagt hätte. Dann bekäme ich noch mehr Probleme mit Rumlow und so bekommt er noch mehr mit dem Winter Soldier und das geht immer so weiter. Meine Wunde wird gesäubert und genäht, dafür sind drei Stiche nötig. Ich weiß, dass ich eine Narbe bei meiner Augenbrauen haben werde. Und wenn alles wieder gut verheilt ist, habe ich dann ein Andenken an Rumlow. Und wenn ich mich immer wieder in den Spiegel ansehe und die Narbe erblicke, erinnere ich mich, was er mir angetan hat. Es ist ja nicht so, dass ich schon genug um die Ohren habe, aber sowas für den Rest meines Lebens mit zu tragen, ist schon ziemlich schwer und sich damit auch noch ab zu finden, ist noch schwerer. Sie untersuchen auch mein Bein, welches ebenfalls einen großen blauen Fleck an der Seite hat, aber viel können sie nicht tun. Ich stolpere müde durch die Gänge wieder zurück in mein Zimmer, wo ich mich sofort hinlege.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, kommt mir sofort dieser Kampf im Flur wieder in den Sinn. Was wäre passiert, wenn er nicht gekommen wäre? Ich will nicht mal daran denken. Aber dann komme ich zum Entschluss, dass ich mich bei ihm bedanken sollte. Das wäre das Mindeste, was ich tun könnte. Gestern hatte ich kaum die Chance dazu.

Auf dem Weg zur Trainingshalle versuche ich meine Worte zu finden und keine Scheu zu zeigen, aber es ist schwerer, als ich gedacht habe. Er steht schon wartend vor dem Boxring und hat wieder den Rücken zu mir gedreht, wie üblich.

Als ich mich ihm nähere, atme ich tief ein und wieder aus. „Danke..."

Er dreht seinen Kopf etwas zur Seite und ich weiß, dass er mir zuhört und nicht in Gedanken verloren ist. Aber ich bin ihm keinen Blick würdig – wie üblich.

„Wegen dem von gestern."

Er erhebt seinen Kopf, sagt aber nichts und geht auf die Wand mit den Waffen zu. Er sucht sich eine Pistole aus, die er mir in die Hand drückt und ich an den Zielscheiben üben sollt.

Er ist das ganze Training über still und niemand von uns gibt auch nur ein Wort von sich. Dass er wegen meinem Dankeschön nichts gesagt hat, regt mich nur etwas auf. Er hätte wenigstens nicken oder irgendein Zeichen geben können – aber nein: er tut stattdessen nichts. Ich merke, dass er seit dem Geschehen von gestern anders ist, als sonst, aber er soll wissen, dass ich ihm dafür dankbar bin, was er für mich getan hat.

Ich habe seit gestern Mittag nichts mehr zu mir genommen und ich verspüre noch immer kein Zeichen von Hunger. Was ich spüre, ist, dass irgendetwas nicht mit mir stimmt. Vielleicht haben die Typen im Labor mir etwas Falsches gegeben? Ich verschwitze viel mehr, als sonst, und daher beschließe ich öfters zu duschen.

Es ist Mittag, aber ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich bin schon ängstlich genug jetzt alleine durch die Flure zu gehen, ohne dass mich jemand auf irgendeiner Weise belästigt. Ich bin einfach nur fertig mit den Nerven und scheine orientierungslos zu sein. Bin ich hier, um wirklich ein Assassin zu werden und, um eine Mission zu erfüllen oder bin ich nur hier, damit sie einen weiteren Soldaten haben, der nur wild um sich schießen kann?

Erschöpft lege ich mich auf mein Bett und schließe für eine kurze Zeit die Augen. Was mache ich hier bloß? Mir kommt eine schreckliche Frage in den Sinn: will ich das alles überhaupt? Ich weiß es einfach nicht. Der Gedanke, dass ich schon seit mehr als einem Monat kein Sonnenlicht und andere Menschen, als nur diese Soldaten erblickt habe, bringt mich noch um den Verstand. Sie haben mich nicht gefragt, ob ich das wirklich will. Und das fällt mir erst jetzt auf. Was wäre passiert, wenn ich mich geweigert hätte? Hätten sie mich getötet? Oder hätten sie mich sogar gefoltert? Das alles könnte zusammenpassen, dass es darauf hinausdeutet, dass sie alle meine Feinde sind. Aber was denke ich mir nur dabei? Sie sind nicht meine Feinde. S.H.I.E.L.D ist mein Feind.

Als ich wegen einem Knall aus meinen Gedanken entrissen werde, springe ich aus dem Bett und frage mich, woher dieses laute Geräusch kam. Ich öffne langsam die Tür und versuche mich zu vergewissern, ob es in der Nähe ist.

Als ich mein Zimmer langsam verlasse und kurz um die Ecke schaue, erblicke ich Rumlow, welcher vom Winter Soldier gegen die Mauer gedrückt wird und an seinem Kragen zieht. Rumlow grinst (wie immer) so blöd, aber der Winter Soldier ist blutrot im Gesicht vor Wut und das Knirschen seiner Zähne kann ich bis hierhin hören.

„Was sollte das Auswirken bei deinem Training?", schreit der Winter Soldier Rumlow an.

„Immer ruhig, Robot Boy. Sie lebt ja noch, ich hab' sie nur etwas anders trainiert, als du es immer getan hast."

„Indem du sie verletzt und später dann auch...", er beendet seinen Satz nicht und lockert den Griff am Kragen.

„Sie muss es irgendwann lernen... oder sie erinnert sich wieder."

Es wird von einem Augenblick zum anderen ruhig und der Winter Soldier geht einen kleinen Schritt zurück. Er entspannt sein Gesicht und versucht sich zu beruhigen. Dann deutet er mit seinem Zeigefinder auf ihn und sein Blick wirkt wieder wütend.

„Wenn du sie noch einmal..."

Ich halte mein Hand vor Schreck vor dem Mund, damit sie meinen Atem nicht hören. Sofort schleiche ich in mein Zimmer zurück und schließe so langsam, wie möglich, die Tür. Dann höre ich, wie jemand der beiden an meinem Zimmer vorbei geht.

Dann ist es vorbei.

Und jetzt fliegen mir die Fragen durch den Kopf und ich verstehe nicht, was Rumlow gemeint hat. Hat er dem Winter Soldier die Augen geöffnet und ihm alles wieder klar gemacht, warum ich eigentlich hier bin oder wissen sie etwas, was ich nicht wissen sollte.

„Sie muss es irgendwann lernen... oder sie erinnert sich wieder."

The Assassin: OblivionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt