III. August's Liberino

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Jahr 4028/Tag 107

Als auf dem großen Bildschirm im Studienraum der D's das Bild eines Mannes erscheint, erinnert sich niemand mehr an das Mädchen, das vor einem Tag ihren Exit hatte. Auch Elain und Elyza-Lynn nicht.

Der Mann beginnt zu sprechen, nein, seine Lippen  bewegen sich, irgendein Dummkopf hat den Ton abgedreht. Sicher Elijah, er findet so etwas unheimlich lustig. Elia eilt halbherzig zu dem Tisch mit dem Schaltpult, dreht den Ton mit einer lächerlich unaufmerksamen Bewegung auf und setzt sich auf einen der blauen Stühle, die wie zufällig platziert im Raum stehen. In Wirklichkeit ist auf jedem Sessel ein Bildschirm, der dessen exakte Position und den Namen des Kindes anzeigt, das regelmäßig darauf sitzt. Es sind nie alle Kinder anwesend, aber das kümmert keinen. Der Professor, der ihnen heute einen Vortrag über Zellbiologie und alternative Energiegewinnung hält, kann sie nicht sehen. Es ist nur eine Aufnahme, die vielleicht heute, vielleicht vor ein paar Wochen, vielleicht vor einigen Jahren gemacht wurde. Sie sind alleine.

Elw1n kauert hinten in einer Ecke und schreibt statt auf seinen Miniaturbildschirm auf seine Hose und wundert sich, warum der Stift der nur für elektronische Oberflächen ausgerichtet ist, keine Spuren hinterlässt. 


Elain, die eine der einzigen ist, die der Unterricht wirklich interessieren würde, hat Pech. Nur selten erbarmt sich ein D-Kind, sie auf einen der Sessel zu heben. Ihr Rollstuhl hat in dem Raum keinen Platz. Heute sitzt sie in der Tür und versucht nur zuzuhören, aber wenn man die Schaubilder und Versuche nicht sehen kann, ist es schwer, dem doch sehr anspruchsvollen Unterricht zu folgen. Sie seufzt tief und gibt auf. Mit den Händen treibt sie ihren Rollstuhl an und macht sich auf den Weg zum Raum der Neos. Sie mag die Babys, sie hat das Gefühl, in ihnen steckt das Leben, das die D's schon lange verloren haben. 

Als sie den Trakt erreicht, fällt ihr Blick als erstes auf ein grünes, blinkendes Licht über dem größten Schacht, den man unter der Erde, bei den Kindern des Districts 5 findet. Sie öffnet mit einiger Mühe die Klappe und holt ein warmes Bündel heraus. Ein neues Baby. Elain lächelt, lacht aus ganzem Herzen und küsst das winzige Mädchen auf die Stirn. Es ist wunderschön, ihre Haut hat die Farbe von Karamell. Auf ihrem Kopf wachsen erste Härchen, dunkle Schokolade, so sehen sie aus, ja. Als Elain der Kleinen ihren Zeigefinger in die Hand legt, schließt sie diese zur Faust. Dann gähnt sie mit geschlossenen Augen. Sie ist in ein hellgrünes Tuch gewickelt.

"Emily? Kannst du mir bitte den nächsten Mädchennamen auf der Liste sagen?"

Elain sieht zuerst noch einmal nach, ob um das Handgelenk des Babys ein goldenes Kettchen hängt, auf dem ein teurer Name steht. Nein, offenbar nicht.

Emily braucht nur einen Moment, um die Liste zu finden. Ihre langen honigblonden Haare hängen ihr ins Gesicht, als sie den neuen Namen abliest und den alten durchstreicht.

"Erin."

"Danke."

Elain legt Erin in das Bettchen, auf dessen Bildschirm ihr Name erschienen ist. Daneben steht der Name des Kindes, das auf sie aufpassen wird. Ein älterer C namens Earl. Elain kennt ihn flüchtig.

Währenddessen klebt August förmlich am Infobildschirm im Gemeinschaftsraum der D's. Darauf steht 'August [D]->Ethan [B]'. Das bedeutet das er erstmals einen Liberino hat. Als er zum C wurde, gab es nicht viele Neos. Daher hatte er nie einen. August hat nicht wirklich damit gerechnet je einen zu bekommen. Nicht, dass es ihn besonders freuen würde, jetzt auch noch auf so ein kleines Kind aufzupassen, aber dennoch, ist es ein bisschen Abwechslung. Er geht in den Raum der B's um seinen Liberino kennenzulernen.

Blue Curtains/District 5Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt