Blue Curtains/District 5

IX. Erwachsen sein

Jahr 4028/ Tag 115-116

Gedämpftes, aber dennoch kaltes Licht dringt in Eric's Rucksack und lässt Ethan's sichtbare Haare leuchten wie Feuer. Er hat Angst. So unfassbare Angst.

Er hört jemanden reden. Dessen Stimme klingt rau und muss von dem Mann mit der Spritze stammen. Instinktiv macht Ethan sich noch kleiner.

"...mit Sicherheit besser als vorher. Trotzdem muss es noch optimiert werden. Aber Ihnen ist sicher klar, dass..."

Der kleine B-Junge hört Schritte. Der Mann geht offenbar. Ethan atmet zitternd aus. Er muss wohl oder übel seinen schützenden Rucksack verlassen. Er achtet auf jedes noch so kleine Geräusch. Es ist offensichtlich niemand mehr hier.

Ethan klettert leise aus dem Rucksack. Der Raum in dem er sich befindet, der Raum in dem Eric gestorben ist, ist komplett weiß. Die Wände, der Boden, die Decke. Der Stuhl in der Mitte. Es ist ein kaltes weiß. Zögernd geht er zu dem Sessel, auf dem Eric die Spritze bekommen hat. Berührt dessen Sitzfläche. Sie ist eiskalt, keine Spur von Körperwärme. Bilder schießen durch Ethans Kopf. Die Spritze, Eric's Aufschrei, sein kalter, toter Körper, der auf den Boden fällt. Er muss hier raus.

Er rennt zur Tür, fleht den Himmel, den er noch nie gesehen hat, an, sie möge nicht verschlossen sein und hat Glück. Er stellt sich auf die Zehenspitzen und hängt sich mit seinem gesamten Gewicht an die Türklinke. Draußen erwartet ihn ein Gang, dessen Wände aus weiß lackierten Sumamethalfenstern bestehen. Das Licht, das Eric's Tod angekündigt hat, leuchtet nicht mehr.

Ethan geht durch eine Tür am Ende des Ganges und kommt in einen schmalen Raum, in dessen Wänden sich Türen befinden, die beschriftet sind.

Er ist zwar erst acht Jahre, aber die meisten Aufschriften kann er schon lesen. Allerdings versteht er die meisten nicht.

'G-e-n-e-t-i-s-c-h-e-s Labor 5.1'

'Z-e-n-t-r-i-f-u-g-e 5.7'

'Schlafräume 5.2'

'V-i-r-o-l-o-g-i-e 5.5'

Er beschließt, sich den ersten Raum anzusehen, das g...g...en...gene...., dieses Labor. Die Türe ist verschlossen.

Ethan geht weiter.

'Versuchso-b-j-e-k-t-e 5.1\{13P.}'

'I-n-t-e-n-s-i-vüberwachung 5.1'

'Technikraum 5.3'

Der Gang scheint kein Ende zu nehmen. Keine der Türen trägt die Aufschrift 'Ausgang' oder 'Kinder'. Jetzt hat der kleine Junge noch mehr Angst als vorher. Was, wenn plötzlich der Mann mit der Spritze kommt und auch ihn umbringt? Was, wenn er nie mehr zurückfindet und verhungert? Was, wenn es verboten ist, als Kind durch die Erwachsenengänge zu gehen?

Jetzt beginnen dem Kleinen Tränen über die Wangen zu laufen. "Ich hab so Angst. So Angst." Um irgendwas zu tun, probiert er einige Türen aus.

Der einzige Raum, den er betreten kann, ist das Wort, das mit V beginnt und mit logie endet. Ethan kann es nicht aussprechen und hat keine Ahnung was es bedeutet.

Es gibt kaum Licht. Alles, was Ethan im Schein der stark gedimmten Lampen erkennen kann, sind einige Tische, auf denen Flaschen in verschiedenen Formen stehen. Ob sie etwas beinhalten kann er nicht sagen. Obwohl im die düstere Atmosphäre noch mehr Angst macht, geht er weiter. Am Ende des Raumes befinden sich zwei Türen mit den Aufschriften 'I-n-f-i-z-i-e-r-t-e 5.1 und 5.2'. Sie sind nicht zugesperrt, also betritt er die, die sich links befindet. Das Erste, was ihm auffällt, sind Anzüge mit Masken, die an der Wand hängen. Außerdem scheint dieser Raum mit Duschen ausgestattet zu sein. Ethan's Tränen beginnen wieder zu fließen. Er mag diesen Ort nicht. Seine Angst besiegt die Neugier, er geht schnell, bis er wieder in den Gang mit den vielen Türen kommt. Er geht langsam weiter. Langsam wird er panisch.

"...viel zu eng. Es geht sich kaum aus."

Ethan's Inneres gefriert augenblicklich zu Eis. Da sind Menschen! Und sie kommen auf ihn zu!

Er wählt irgendeine Tür und versucht sie zu öffnen. Versperrt. Die links daneben. Auch zu! Er probiert weiter. Er kann schon die Schatten der Personen sehen. Die nächste Türklinke lässt sich mühelos hinunterdrücken und die Tür öffnet sich mit einem Klicken. Er läuft rein und macht sie schnell hinter sich zu. Ethan's Atem geht schnell und als er da steht und versucht, sich von dem Schrecken zu erholen, knicken ihm einfach die Beine weg. Das passiert immer wieder, schon seit er klein ist, also macht er sich keine Gedanken darüber und steht einfach wieder auf. Als er sich umdreht, kann er nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken. Auf Tischen stehen große Gefäße, die mit einer Flüssigkeit und...komischen Formen gefüllt. Als er sie näher inspiziert erkennt er bei einem besonders großen Ding ein Gesicht. Ein Menschengesicht.

Zu allem Überfluss hört er jetzt auch noch Schritte. Die einzige Möglichkeit, die dem kleinen Ethan bleibt, ist nach einem Ausgang zu suchen. Aber er kann nicht mehr. Weinend und vollkommen verängstigt, sinkt er einfach gegen die Wand und atmet viel zu schnell.

Kurz bevor er das Bewusstsein verliert hört er etwas, das er fast nicht glauben kann.

In den seltsamen Schacht der sich neben ihm befindet, flüstert er, was ihm unmöglich erscheint.

"Elain?"