Kapitel 28 - Jay (ü)

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„Es tut mir leid, aber Sie dürfen da nicht rein" versucht mir der Assistenzarzt zum siebten Mal beizubringen, doch das ist mir egal.

„Ich muss da aber rein, verstehen Sie?"

Meine Stimme zittert vor Wut, doch der Arzt zeigt keine Regung.

„Nein. Nicht jetzt" ist alles, was er noch sagt, dann geht er einfach davon. Ich klebe sofort an der Scheibe, die einen Einblick ins Zimmer von Lia gewähren könnte, doch der dünne Vorhang davor versperrt mir die Sicht.

„Jay, lass gut sein" höre ich Nico hinter mir, und er ist hörbar angepisst. Wäre ich an seiner Stelle als mein Bruder auch, schließlich kann ich eigentlich nicht einfach so hier aufkreuzen, während das Mädchen da drinnen mich zum Teufel schickt.

„Lass mich" murmle ich, und kurz darauf spüre ich eine starke Hand auf meiner Schulter.

Ich drehe mich um und schlage Nicos Hand weg, während ich ihn böse anfunkle.

„Konntet ihr nicht besser auf sie aufpassen?" fauche ich, und Amelie springt wütend auf, doch Nico hält sie zurück und schaut mich unverändert kühl an.

Ich habe keine Chance gegen meinen Bruder.

„Hättest du es nicht so verschissen bei ihr, wäre es erst gar nicht dazu gekommen." Ich springe ihm fast an die Gurgel.

„Und was soll ich damit zu tun haben?!" zische ich in der Hoffnung, nicht zu laut zu sein, während ich auf Lias Zimmer zeige.

Nico zieht die Augenbrauen hoch und schaut mich unverständlich an.

„Weil sie wegen dir zusammengebrochen ist, Jay. Weil du so ein Arschloch sein musst und sie so verletzen musst, Bruderherz. Frag mal Lars – sie zerbricht an dir, merkst du das nicht? Dieses Mädchen da braucht dich verdammt! Auch wenn ich beim besten Willen nicht verstehe, wieso sie dich will, wo du sie doch so mies behandelst, doch sie kann nicht ohne dich, hier ist der Beweis. Es greift sogar ihre Gesundheit an, Jay. Weißt du eigentlich, wie viel sie die letzten Wochen wegen dir durchgestanden hat? Ich glaube nicht, dass du das Recht dazu hast, Amelie und mich zu beschuldigen, denn wir benehmen uns nicht wie der letzte Dreck."

Ich weiß, dass er Recht hat. Ich benehme mich wie der letzte Arsch, doch ich kann nicht anders – ich war nie anders.

Wenn ich mich in einer Situation unwohl fühle, mutiere ich automatisch zum gefühlslosen Mistkerl, und so war es auch dieses Mal – so wird es immer sein.

„Großvater wäre so enttäuscht von dir" flüstert Nico plötzlich, und da ist es um mich geschehen.

Ehe ich es realisiere, klebt meine Faust in Nicos Gesicht, und Amelie schreit auf.

„Jay! Jay, lass das!" fleht sie, doch ich sehe nur noch rot.

Ich lande ein paar Treffer, doch Nico schafft es, mich auf Abstand zu halten, und kurz darauf werde ich von zwei starken Männern weggezerrt.

Ich schlage blind um mich, und höre dazwischen Amelie heulen.

Mein Großvater war alles für mich und Nico.

Er hat uns so vieles beigebracht, während unsere Eltern immer gearbeitet haben. Nach der Schule sind wir immer zu ihm gegangen um uns seine Geschichten von früher anzuhören, oder seine göttlichen Pfannkuchen zu essen.

Er hat uns alle Lebensweisheiten anvertraut, die er über all die Jahre gesammelt hat, und er war für mich wie ein zweiter Vater.

Knapp nachdem Lia ging, starb er an Herzversagen, und seither hat sich mein Leben um 180 Grad gewendet.

And suddenly, you returnedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt