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[Chenle]

Nervös fuhr ich zum Bahnhof, schloss mein Auto ab und lief zum Gleis, um Jisung abzuholen. Ich wusste mittlerweile, dass wir uns von damals kennen, habe ihn allerdings nicht darauf angeschrieben und versucht irgendwie das Treffen abzusagen, was er natürlich nicht zugelassen hatte.

Ich stand am Bahnhof und wartete darauf, dass sein Zug kam. Ich war um einiges zu früh, weshalb ich mein Handy raus nahm und die Playlist, die ich anhatte, von vorne startete.

Der Bahnsteig war voll mit Menschen, die auch auf den Zug warteten. Entweder zum abreisen oder auch um andere abzuholen. Ich schätzte auf Familienmitglieder.

Darüber hinaus dachte ich nach, wie ich Jisung am besten begrüßen sollte. Hatte er mich auf dem Bild erkannt? Bestimmt, immerhin hatte ich mich über die Jahre nicht großartig verändert. Zumindest nicht vom äußeren her.

Ich setzte mich auf den Boden, wo ich niemanden stören konnte und starrte auf mein Handy. Seitdem er im Zug saß hatte ich ihm nicht mehr geantwortet. Am liebsten wäre ich nicht einmal hier.

Seufzend fuhr ich mir mit einer Hand durch mein Haar und schloss kurz die Augen, im nochmal tief durchzuatmen.

Der Zug traf pünktlich ein, allerdings blieb ich sitzen. Es kamen so viele Leute raus, dass es keinen Sinne hatte Jisung sofort zu suchen.

Mein Handy vibrierte. Er rief mich an und aus Gewohnheit ging ich ran.

"Wo bist du?", hörte ich ihn.

"Warte doch erstmal, bis der Großteil weg ist. In der Menge hat es keinen Sinn", antwortete ich und legte einfach wieder auf. Ich war mir ziemlich sicher, dass er mich in diesem Moment dafür umbringen könnte.

Der Bahnsteig leerte sich immer mehr. Ich stand auf und packte mein Handy, mit meinen Kopfhörern weg. Danach lief ich den Bahnsteig entlang, da ich mich relativ am Ende hingesetzt hatte, musste ich nur in eine Richtung laufen.

Ich blieb vor einem jungen Mann stehen, der auf sein Handy sah und seine Kapuze über gezogen hatte. Er schien mich nicht zu bemerken, weshalb ich ihm seine Kopfhörer wegnahm. Er zuckte zusammen, blickte auf und fing sofort an zu grinsen.

Jisung zog mich in seine Arme, was ich angespannt über mich ergehen ließ. 

"Du bist ja viel niedlicher als auf dem Bild", meinte er und löste sich dann von mir.

"Danke", murmelte ich, ergriff sein Handgelenk, seine kleine Reisetasche und lief mit ihm zu meinem Auto.

"Darfst du überhaupt fahren, so klein wie du bist?", fragte er.

"Sonst hätte ich keinen Führerschein", antwortete ich. Dabei legte ich seine Reisetasche auf die Rückbank und setzte mich auf den Fahrerplatz, während er es sich schon neben mir bequem gemacht hatte.

"Fährst du vorsichtig?", fragte er leise und ängstlich, weshalb ich zu ihm sah. War das jetzt seine neue Masche?

"Warum sollte ich nicht vorsichtig fahren?"

"Du erinnerst mich an jemanden, den ich offensichtlich gerne hatte. Nach einem Autounfall habe ich meine Erinnerungen verloren", antwortete er und sah auf seine Hände.

Es war vielleicht gemein, aber mir fiel ein riesen Stein vom Herzen. Er konnte sich nicht an mich erinnern, was für mich persönlich gut war.

"Mach dir keine Sorgen, okay?", meinte ich nur, schnallte mich an und startete den Motor.

Ich sah im Augenwinkel, wie er mich die ganze Fahrt lang beobachtete, aber nichts sagte. Die Stille warf mich zurück in die Schule. Er hatte anfangs auch nie viel geredet, wahrscheinlich war er sich damals zu gut dafür.


☙poor but richᶜʰᵉᶰˢᵘᶰᵍWo Geschichten leben. Entdecke jetzt