part five

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Oder der Part, in dem mein Herz Lance immer noch nicht verziehen hat

cherry - harry styles
*

"Lance!", Andra gelingt es deutlich schneller, sich wieder zu fangen, als mir. Aber ich bin ja noch nie gut darin gewesen, mit stressvollen Situationen umzugehen.

"Du bist wieder in der Stadt", stellt meine Freundin fest und nimmt sich den Drink von der Anrichte, den ich ihr gemischt habe.

"Jep, das bin ich. Seit ein paar Tagen." Er nickt und verschränkt die Arme vor der Brust. Meine Augen fallen automatisch auf seine Oberarme. Er hat Tattoos. Ziemlich viele sogar. Ich bekomme Kopfschmerzen und runzle die Stirn, habe irgendwie vergessen wie man spricht.

"Schon genug von Europa gehabt?", Andra wirft mir einen flüchtigen Blick zu, verschränkt dann ebenfalls die Arme vor ihrer Brust. Schon genug? Er ist zwei Jahre weggewesen. Und ich hatte um ehrlich zu sein nicht mehr damit gerechnet, dass er wiederkommen würde.

"So in etwa", Lance lacht auf und zeigt uns damit seine Grübchen. Ich bin überfordert.


*


Ich drücke den Knopf der Spülung herunter und sehe zu wie mein Erbrochenes untergeht.

Ich habe gehofft, in dem ich diesen riesigen Klumpen in meinem Inneren, für den ich nicht wirklich einen passenden Begriff finde, loswerde,  geht es mir besser. Irgendwie. Wenigstens körperlich. Aber ich habe falsch gelegen. Meine Beine zittern immer noch und mir gelingt es nur langsam, mich an der Wand hochzuziehen.

Verdammt, ich raufe mir die Haare. Lances plötzliches Auftauchen wirft mich komplett aus der Bahn. Aber was habe ich auch erwartet, wie wäre es möglich gewesen, ihn innerhalb zwei Jahre zu vergessen oder über ihn hinwegzukommen? Er ist alles für mich gewesen, dementsprechend, ist es also unmöglich.

"May? Bist du hier drin?", Andras Stimme dringt dumpf durch die schwere Badezimmertür hindurch. Während ich mit einem Taschentuch über meine Wangen gehe und die winzigen, kaum erkennbaren Tränen wegwische, erwidere ich ein leises "ja".

"Los, mach auf." Sie drückt die Klinke hinunter, vergeblich, die Tür ist abgeschlossen. Ich halte mich am Waschbecken fest und atme tief durch während ich die Augen schließe. "Gib mir zwei Minuten, okay?" Sogar meine Stimme zittert. Gott, was ist nur los mit mir?

"In Ordnung, ich hole unsere Sachen und sage Ken bescheid, dann fahren wir." Ausnahmsweise freue ich mich darüber, dass Ken alles für Andra tut. So müssen wir wenigstens nicht auf ein Taxi warten. Denn alles was ich jetzt möchte, ist einfach nur weg von hier.

Einfach nur weg.


*





Ich weiß nicht was mit mir los ist, seit ich Lance letzte Woche auf dieser Party begegnet bin. Auf meinem Weg zur Arbeit drehe ich mich andauernd paranoid um, als würde er hier irgendwo sein. Oder ich bilde mir im Restaurant ein sein Lachen zu hören. Zweimal habe ich Getränke verschüttet. An einem Tag. Und ich kann von wahrhaftigem Glück sprechen, dass meine Chefin das nicht gesehen hat. In einem der nobelsten Restaurants Atlantas ist das ein absolutes No Go.

Ich atme erleichtert aus und lasse meinen Kopf im Nacken kreisen, als ich damit fertig werde, den letzten Tisch für diesen Abend sauber zu wischen.

"Du scheinst dich heute wohl besonders auf deinen Feierabend zu freuen, was?", höre ich Kyle hinter der Theke sagen. Ich stoße ein aufgestautes Lachen aus und puste mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

"Das Einzige worauf ich mich freue ist Schlaf", gestehe ich ehrlich und ignoriere das Pochen in meinen Beinen. Die zehn Stunden stehen machen sich eindeutig bemerkbar. In den letzten Tagen habe ich kaum Schlaf bekommen. Und dabei habe ich es Gestern sogar wirklich versucht, aber Taylor und das ewige Streiten mit ihrem Freund haben mich aufgehalten.

"Komm schon Maya, du bist zwanzig Jahre alt und es ist Freitag Abend. Keine Lust auf Party?", will Kyle wissen und zieht sich seine Schürze aus. Auch er ist fertig mit dem sauber machen.  Allein bei dem Wort "Party" wird mir schlecht.

"Es ist spät, wir haben fast zwei Uhr, ich will nach Hause." Ich tue es meinem Arbeitskollegen gleich und entleere mich aus meiner Bedienungsschürze. Kyle ist nett und so ziemlich der einzige auf der Arbeit mit dem ich mich identifizieren kann. Er arbeitet hier nebenbei, um sich sein Medizinstudium zu finanzieren. Ich habe keine Ahnung wie er das auf die Reihe bekommt. Aber laut Andra ist er ein Genie, sie hat ein paar Kurse mit ihm und ist begeistert von seiner Existenz. Laut ihr sieht er besser aus als Mc Dreamy.

Sobald wir das Diner verlassen, bläst mir ein angenehmer Herbstwind entgegen. Ich schließe kurz die Augen und atme tief durch.

"Fährst du heute mit der U-Bahn?", will Kyle wissen und sieht mich mit einem Blick an der eindeutig aussagt, dass ich mit der U-Bahn fahren sollte. Denn Kyle ist die Sorte von Mann, die es aus irgendeinem Grund nicht abhaben können, wenn Frauen nachts alleine durch einen Park gehen.

Ich seufze. "Du weißt doch, dass ich nur durch den Park muss. Das geht viel schneller als die Bahn." Ich grinse meinen Gegenüber entschuldigend an und zucke mit den Schultern.

"Das ist gefährlich Maya und das weißt du auch. Auch wenn ich weiß, dass du den Weg schon oft genug gegangen bist. Schreib mir einfach, wenn du bei dir angekommen bist, okay?" Er schließt mich in eine kurze Umarmung und verabschiedet sich dann in eine andere Richtung.

Während meinem Weg durch den Park überlege ich, ob ich meinem Vater von dem Zusammentreffen mit Lance erzählen soll. Ich weiß, dass mein Dad und Lance sich immer gut verstanden haben und auch, dass er für meinen Vater so etwas wie ein Sohn ist. Oder war. Selbst nach unserer Trennung gab mein Vater Lance nicht die Schuld. Klar, anfangs war er sauer auf ihn gewesen, dass er sein kleines Mädchen so zum weinen gebracht hatte. Aber im Endeffekt hat mein Vater ihm schnell verziehen, weil Lance doch nur ein einziges Mal an sich selbst gedacht hatte und das ist nicht verwerflich.

Auch in meinen Augen nicht. Bloß habe ich nie etwas von seinen Plänen erfahren und dann ist er von heute auf Morgen abgehauen. Ich atme tief durch. Das gehört längst der Vergangenheit an und ich sollte mich nicht weiter damit beschäftigen. Es ist lächerlich, dass ich mein Körper so schwach auf das Wiedersehen mit ihm reagiert hat. Ich habe mich längst erholt und bin zu einer eigenständigen Frau heran gewachsen.

Warum nur hat mein Herz ihm dann nicht verziehen, wenn ich doch so unabhängig bin?





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my heart I surrenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt