part six

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Oder der Part, in dem ich Winnie kennenlerne

down - jason walker
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Taylor hat mich dazu verdonnert für uns beide einkaufen zu gehen. Ich weiß nicht, warum ich einfach so nachgegeben habe, ohne mich zu beschweren. Wahrscheinlich weil mir bewusst ist, dass ich dringend mal aus der Wohnung raus sollte. Und da sie heute ausnahmsweise keinen Streit mit ihrem Freund hat und die zwei zusammen einen gemütlichen Tag auf der Couch verbringen wollen, habe ich nicht einmal gefragt ob ich Taylor ihren heißgeliebten Chai-Latte mitbringen soll, sondern bin einfach aus der Wohnung verschwunden.

"Wir können essen gehen, wenn du magst", frage ich meinen Dad am Telefon. Er klingt aufgedreht, hat mich angerufen und gesagt, wir müssen uns unbedingt treffen, weil er mir etwas wichtiges zu sagen hätte. Vielleicht hat er endlich eine Frau kennengelernt. Nach der Trennung mit Mum, hatte er eine einzige Frau an seiner Seite gehabt. Und das für nur zwei Monate. Und die Trennung liegt einige Jahre zurück. Naja, irgendwo ist es auch meine Schuld, dass er in dem Thema Frauen ein bisschen scheu geworden ist, nachdem ich ihn auf einer Single-Seite angemeldet habe.

"Was hältst du davon, May?", da ich so in Gedanken versunken gewesen bin, habe ich nicht mitbekommen, was mein Dad gesagt hat.

"Sorry, was hast du gesagt?", hake ich nach und schlendere mit dem Einkaufswagen durch die Regale in denen sich die Süßwaren befinden.

"Heute Abend? Um Sieben im Brandy?" Ich muss schmunzeln. Es ist lange her, seit ich das letzte Mal im Brandy war. Dort sind mein Vater und ich früher ständig zum essen gewesen. Ein ziemlich gemütliches und ruhiges Restaurant, in dem es mit Abstand die beste Pizza in Atlanta gibt.

"Geht klar." Ich schnappe mir drei Packungen Zimtschnecken und packe sie vorsichtig in den Wagen. Für Taylor stelle ich mich auf Zehenspitzen und werfe zwei Tafeln ihrer Lieblingsschokolade in den Wagen.











*








Ich nehme mir meinen Schal bereits ab, als ich durch die Eingangstür hindurch gehe und durch eine Glocke begrüßt werde. Mein Kopf schweift durch das Lokal, um meinen Vater ausfindig zu machen, obwohl ich mir schon so gut wie sicher bin, dass er sich wie immer um wenige Minuten verspätet. Überrascht ziehe ich allerdings die Augenbrauen hoch, als ich ihn an einem Fensterplatz sitzen sehe. Das Treffen scheint meinem Vater wohl ziemlich wichtig zu sein, sonst säße er hier nicht drei Minuten vor der vereinbarten Zeit.

Als ich einige Schritte auf ihn zu mache, fällt mein Blick auf den Boden. Neben meinem Dad liegt ein kleiner Welpe zusammengerollt und schläft. Meine Augen weiten sich vor Verwirrung, weil mein Vater für gewöhnlich keinen Hund hat.

"May, schön dich zu sehen", Dad winkt mir zu, dabei schleicht sich ein riesiges Lächeln auf seine Lippen. Bevor ich mich auf den Platz gegenüber meines Vaters setze, mache ich vor dem winzigen Hund halt und knie mich hin.

"Na, wer bist du denn?", frage ich, verblüfft darüber, dass ich meine Stimme sogar ein kleinwenig versüße. Während ich meine Hand ausstrecke, um den kleinen Fratz zu streicheln, wandert mein Blick zu meinem Vater.

"Das ist Winnie. Du kennst doch noch Mrs Jefferson aus unserer Straße, ihre Hündin hat lauter kleine Welpen geworfen und die alte Dame hatte keine Ahnung, was sie mit den ganzen Tieren anfangen soll. Sie hat gefragt, ob ich einen haben möchte und naja, du siehst ja, wie süß er ist. Ich konnte einfach nicht nein sagen." Mittlerweile habe ich mich auf den anderen Fensterplatz gesetzt und mich aus meiner Jacke entkleidet. Das ist typisch für meinen Dad. Er ist einer der gutmütigsten Menschen die ich kenne. Und ich freue mich für ihn. Ich hatte in letzter Zeit oft das Gefühl, dass er sich in unserem alten Haus langsam einsam fühlen würde. Umso besser finde ich es, dass Winnie ihm ab sofort Gesellschaft leisten wird.

"Wahnsinnig süß, ein Grund mehr, warum ich dich in nächster Zeit öfter besuchen werde." Noch bevor ich das letzte Wort ausgesprochen habe, runzelt sich meine Stirn. Werde ich das wirklich tun, wenn ich nicht weiß, ob Lance jetzt wieder bei seinen Eltern wohnt. Nämlich genau neben meinem Dad. Aber wenn er es tun würde, dann müsste mein Vater das definitiv mitbekommen haben. Vielleicht wollte er sich deswegen heute so dringend mit mir treffen. Um mir von Lances Rückkehr zu berichten. "Mit dem Essen hier wolltest du mir deinen neuen Kameraden vorstellen?", hake ich also zögernd nach.

Ich kann nicht versprechen, dass es mir gelingt, einen sorgenfreien Gesichtsausdruck aufzulegen und der Reaktion meines Vaters nach zu urteilen gelingt es mir eindeutig nicht. "Was ist los, May? Du hast Ränder unter den Augen und es ist Samstag, eigentlich solltest du ausgeschlafen sein."

Zu meinen Gunsten kommt in dem Moment die Bedienung und nimmt unsere Bestellung auf, das spart mir ein bisschen Zeit um mir eine plausible Antwort zu überlegen. Es bringt nichts, zu versuchen, meinem Vater etwas vorzumachen. Unsere Verbindung ist eng. Er kennt mich und weiß, wenn etwas nicht mit mir stimmt. Verdammt, ich hasse es, dass ich so schlecht darin bin, Gefühle zu verbergen.

"Also May, was beschäftigt dich?", will Dad wissen, sobald die Bedienung unseren Tisch verlassen hat. Er stützt den Kopf auf seiner Handfläche ab und sieht mich fragend an.

Ich seufze, irgendwie erleichtert darüber, mit ihm über das reden zu können, was mir auf dem Herzen liegt. Ich bin nicht gut darin, Gefühle lange aufzustauen. Ich weiß aus Erfahrung, dass das nichts bringt und im Endeffekt sowieso zu einer Explosion führt. Deswegen habe ich mir angewöhnt immer möglichst zügig über das zu reden, was mich beschäftigt, damit ich wieder Platz für Positives in meinem Inneren habe. Allerdings ist Lance da eine Ausnahme, weil ich es seit zwei Jahren meide über ihn zu reden, oder gar an ihn zu denken.

"Weißt du es? Hast du ihn draußen gesehen, Dad?", will ich wissen und fasse mir mit meinen Händen an den Hals. Das ist so eine seltsame Eigenschaft, die ich immer dann vollbringe, wenn ich das Gefühl habe ein gewaltiger Klos würde sich in meinem Hals breit machen.

"May, du machst mir Angst. Nun sag schon, wen ich gesehen haben soll." Dad merkt wahrscheinlich gar nicht, dass er sich über den halben Tisch zu mir gebeugt hat.

"Ich habe Lance letzte Woche wiedergesehen." Den aufkommenden Klos schlucke ich gekonnt runter. Erstaunlich, dass ich solche Angst davor habe über ihn zu reden, sein Name mir aber von den Lippen gleitet, als hätte ich die letzten Jahre nichts anderes gesagt.

"Lance Johnson?", mein Dad klingt überrascht. "Er ist wieder hier?"

"Jap. Habe ich auch nicht gewusst, bis er letzte Woche plötzlich vor mir stand", ich nippe an meinem Glas um das Innere meines Mundes zu befeuchten.

Mein Vater lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Er scheint sich seine Worte gut zu überlegen, womöglich aus Angst, das Falsche zu sagen. Eine Eigenschaft, die ich an ihm liebe. Normalerweise hätte ich mich vor zwei Jahren bei meiner Mutter ausgeheult, weil ich aber nicht ganz so gut mit ihr klarkomme, wie mit meinem Dad, musste er dieses Opfer bringen und durfte mich Abende lang im Arm halten um mich zu trösten.

"Weißt du, wie du das findest? Dass er wieder hier ist meine ich. Oder musst du dir darüber noch klar werden?", fragt Dad dann vorsichtig. Ich seufze erneut und zucke dabei kaum merklich mit den Schultern.

"Er ist Vergangenheit oder? Eigentlich sollte es mich gar nicht interessieren." Ich raufe mir die Haare und schaue aus dem Fenster. Atlanta ist im Herbst am schönsten. Bunte Blätter schmücken die Bordsteinkanten und Menschen gehen eingepackt in Mantel und Schal spazieren, um sich am Abend eine heiße Schokolade zu gönnen.

"Es interessiert dich aber, May", stellt mein Vater fest bückt sich, um Winnie hochzuheben und ihn auf seinen Schoß zu setzen. Der Kleine streckt mir die Zunge entgegen und blickt mich neugierig an. Automatisch wandert ein Lächeln auf meine Lippen. "Naw, er ist wirklich niedlich. Ich wette, du hast dir den Süßesten ausgesucht."

Mein Vater beginnt zu lachen. "Du glaubst es nicht. Ich habe den kleinen Racker genommen, weil er Mrs Jefferson am meisten Arbeit gemacht hat und in ihre Hausschuhe gekackt hat. Ich wollte ihr damit einen Gefallen tun, bereue die Entscheidung aber in keinster Weise."


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my heart I surrenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt