Getrennte Welten

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Am Morgen, als Hermione die Schlagzeile gelesen hatte und der anfängliche Verdacht zur Gewissheit wurde, hatte sie bereits gewusst, an diesem Tag würde sie sehr tief in ihr Inneres blicken. Lange hatte sie es vermieden mit Ron zu sprechen, ihm irgendeine Erklärung für ihr Verhalten zu geben. Noch nie konnte sie sich eingestehen falsch zu liegen, viel weniger anderen gegenüber. Umso schlimmer, wenn es sich um Gefühle handelte.

Wiederholt ballte sie ihre Hände nervös, als ob sie sich selbst Mut machen wollte. Die entstandene Pause war ihr Zeichen, um die Worte zu sprechen, die Wochen zu spät kamen. Entschlossen setzte sie sich zu Ron auf die Couch. An seinem Gesichtsausdruck konnte sie sehen, dass diese Nähe für ihn überraschend war. Zeitgleich spürte sie, wie Harry sie stumm beobachtete. Es war mit Abstand, die beängstigendste Situation, die sie sich vorstellen konnte. Solange hatte sie gekämpft, um genau so etwas zu verhindern, alles vergebens. Sie hatte ihre Mutter noch im Ohr, damals bevor das zweite Schuljahr los ging, zwei Jungs als beste Freunde, einzige echte Freunde würde irgendwann zu Schwierigkeiten führen. Erst hatte sie gar nicht verstanden was sie gemeint hatte, dann, als sie begriff, abgetan als lächerlich. Umso älter sie wurde, desto mehr hatten diese Worte sie verfolgt. Ihre Mutter hatte letztlich vollkommen recht behalten.

»Ron, ich -« Sie kam nicht weit.

»Erklärst du mir jetzt, warum du nicht meine Frau werden willst?«, unterbrach Ron sie. »Das brauchst du nicht, ich weiß es längst.«

Angestrengt schloss Hermione ihre Augen. Durch ein Fenster schien das Sonnenlicht direkt in ihr Gesicht. Es reichte nicht, dass das Thema überaus schwierig für sie war, nein, Ron musste alles noch schwerfälliger machen mit seinen Vorurteilen. Oft, sehr oft, hatte sie das Gefühl sie lebten auf verschiedenen Planeten und sie sprachen nicht die gleiche Sprache. Nur ein weiterer Grund, warum sie so lange gebraucht hatte, um sich ihm zu stellen.
Jetzt war es einfacher, ihr schlechtes Gewissen wusste es. Mit seinen gelüfteten Geheimnissen sah es nicht mehr ganz so aus, als hätte sie alleine alles falsch gemacht. Die Wärme auf der Haut beruhigte sie und verhinderte, dass sie darauf ansprang. Ron hatte das Talent ihre Unsicherheit zu attackieren und sie somit schneller, als kaum wer anderes, dazu nötigte sich zu verteidigen.

»Das Eheversprechen -«, setzte sie erneut an, vergebens.

»Hermione, ich weiß, verdammt noch mal was die Ehe bedeutet. Du brau -«

»Ron! Lass sie ausreden.«, meldete Harry sich zu Wort.

Auch wenn Ron nun wütend zu ihm sah, ruhten Harrys Augen allein auf sie. Hinter den leicht spiegelenden Brillengläsern glaubte sie, enorme Gefühle ablesen zu können. Harry hielt sich zurück, versuchte ihr Raum zu geben. Hermione war ihm dankbar dafür. Selten genug hatte es ähnliche Momente gegeben, dass er sich auf ihre Seite gestellt hatte und jedes Mal hatte es die gleiche Wirkung auf sie gehabt. Hoffnung, eine so trügerische Hoffnung neben Dankbarkeit, die hin und wieder von Empörung abgelöst wurde, dass er glaubte ihr jetzt bei zu stehen, wenn sie doch sonst alleine kämpfen musste. Heute, jedoch, überwog die Dankbarkeit.

»Ich konnte Dir solch ein Versprechen nicht geben. Nicht, weil ich eine Affäre hatte, sondern weil ich nicht länger leugnen konnte, was offensichtlich war.«, Hermione stockte. »Ich liebe dich nicht so, wie es eine Ehefrau tun sollte, Ron. Du verdienst mehr, jemanden der dich liebt, an dessen erster Stelle du stehst. Dies könnte ich nie sein.«
Hörbar schluckte Ron.

»Hatte ich je eine Chance gegen Harry Potter?«

Hermione biss sich auf die Lippen.

»Was ist ein Name? Was uns Rose heißt, wie es auch hieße, würde lieblich duften.«, flüsterte sie.

Der verständnislose Blick von Ron machte all zu deutlich, dass er ihr nicht folgen konnte, wie auch? Harry hingegen schien sie mit den Augen durchbohren zu wollen. Dabei sah sie ihn nicht einmal an, sie spürte es einfach. Hermione wandte ihren Blick von Ron, dass ihr nichts besseres einfiel auf seine Frage hin, war beschämend.

»Keines, wenn dir eines missfällt.« Entfernt vernahm sie die Worte, hob den Kopf und ein verschmitztes Grinsen war auf Harrys Lippen zu finden.

Trotz der Situation konnte sie nicht verhindern, wie sich ihre eigenen Mundwinkel nach oben zogen. Die Reaktion von Ron ließ nicht lange auf sich warten.

»Freut mich, dass ihr auf meine Kosten Spaß habt!«, rief er auf.

»Es ist nur ein Zitat, Ron, bloß ein Muggelzitat.«, versuchte Hermione ihn zu beschwichtigen, ohne Erfolg.

»Na wenn das so ist, dann ist es ja in Ordnung, wirklich Hermione?«, verletzt und vorwurfsvoll sah er sie an.

»Es tut mir leid. Ich dachte, es würde funktionieren, dass meine Gefühle für dich reichen, aber ich lag falsch.« Ihr standen die Tränen nun in den Augen. »Verstehst du, Ron, ich, ich konnte nicht länger verleugnen, dass wir so nicht funktionieren konnten. Ich habe es versucht, aber -«

»Ich bin nicht Harry.«, stellte er bitter fest.

»Nein.«, ihre Stimme brach leicht und sie sah weg.

Inständig hoffte Hermione, Ron würde verstehen, doch als sie in sein gerötetes Gesicht sah, wusste sie, er verstand nichts.

»Nicht gut genug.« Hohn klang heraus, als habe er es immer gewusst.

»Bitte, tu nicht, als sei es eine bewusste Entscheidung von mir, Ron.«

Im Augenwinkel sah Hermione, wie Harry an eines der großen Fenster ging und hinaus sah. Violet machte sich auch bemerkbar, es würde nicht lange dauern und das Kind würde aufwachen.

»Es war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, das weißt du so gut wie ich.«, sprach sie, nachdem sie tief eingeatmet hatte.

»Spätestens, als ich euch im Stich ließ.« Gab Ron zögerlich zu.

Intensiv sah Hermione ihn an, wagte aber nichts zu sagen. Es entsprach mehr der Wahrheit, als sie sich selbst eingestehen wollte. Selbst unter dem Einfluss des Slytherin Medaillon war seine Entscheidung zu gehen nicht ohne Konsequenzen geblieben. So sehr sie es nachempfinden konnte, so war sie nicht im Stande ihm zu verzeihen, dass er sie in diese Lage gebracht hatte. Jegliche Chance, die sie je hatten, starb an jenem Tag, als Ron das Zelt verließ.

»McGonagall wartet auf mich. Ich geh jetzt besser.«

Hermione nickte nur. Eine unfassbare Schwere machte sich in ihr breit. Seit der Krieg vorbei war, seit Voldemort nicht mehr lebte, war es, als ob Stück für Stück von ihrem Panzer abfiel. Ohne die Zeit alles zu hinterfragen, waren sie durch die Jahre gehetzt, um zu überleben. Alles wurde ertragen, alles durchgestanden. All dies hatte die Wucht eines Bumerangs, dessen Aufschlag sie jetzt am wenigsten erwartete. Mit aller Gewalt schloss sie die Augen und konnte nicht verhindern, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Sie hörte nicht, wie Ron mit Violet den Gemeinschaftsraum verließ, nicht wie Harry sie ansprach. Alles was sie wahrnahm war ihr eigener Atem, wie sie versuchte sich selbst zusammenzuhalten.

Die Anwesenheit von Harry, seine plötzliche Nähe bemerkte sie jedoch. Sachte, ganz flüchtig berührte er ihre linke Wange, dann hatte er sich nur neben ihr hingesetzt und geschwiegen.

»Wieso?« Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter. »Muss es so weh tun?«

Anstatt einer Antwort nahm er ihre Hand in die seine. Behutsam strich er mit seinem Daumen, wie zum Trost, über ihren Handrücken. Sie ließ ihn gewähren. Ihr fehlte die Kraft, Harry, aber vor allem sich selbst, diese Nähe zu verwehren.

»Niemals hätte ich damals, als ich erfuhr, ich bin eine Hexe, gedacht solche Entscheidungen treffen zu müssen.« Sie pausierte, bevor sie mit dem Aufzählen begann.

»Zwischen magischer oder nicht magischer Welt. Familie oder Freunde.« Er stoppte seine Berührung und sie bemerkte, wie er seinen Kopf zu ihr drehte.

Hermione sah von seiner Schulter auf, in sein Gesicht.

»Meine Eltern begriffen viel eher, als ich, was es bedeuten würde, wenn ich Hogwarts besuche. Eine fremde Welt in der ihre einzige Tochter aufwachsen würde ohne dass sie sie anleiten oder beschützen könnten.«

Mit Leichtigkeit konnte sie immer noch unzählige, wenn nicht gar mehr Fragen ablesen, die ihm durch den Kopf gingen. Nie hatte sie davon gesprochen, es gab nie die Notwendigkeit dafür.

»Muggel haben kaum Rechte in der magischen Welt. Eltern werden nicht informiert, wenn ihre Kinder erkranken. Sie dürfen Hogwarts und somit auch nicht ihre Kinder besuchen. Es wird alles dafür getan, dass junge muggelstämmige Zauberer oder Hexen sich für die magische Welt entscheiden. Seit meinem zwölften Lebensjahr bin ich so gut wie volljährig gewesen, Harry. Selbst wenn meine Eltern irgendwann ernsthaft mich von Hogwarts nehmen wollten, hätten sie es rechtlich nie ohne meine Einwilligung tun können.«

Die Informationen nahm er langsam auf. Es war faszinierend Anzusehen, wie nach und nach sein Blick sich veränderte, als er die enormen Auswirkungen verstand.

»Warum hast du nie ein Wort gesagt, Hermione?« Seine Stimme war rau.

»Ich konnte nicht. Da war immer soviel los, es erschien mir klein und unbedeutend im Vergleich.« Sie biss sich auf die Lippen.

Er schüttelte den Kopf, offenbar war er anderer Meinung.

»Schon immer war ich sehr ernsthaft und selbstständig, umso leichter war es wohl für meine Eltern mich gehen zu lassen.«

»Nichts ahnend, dass du dich mit Ron und mir befreunden würdest und du mehr gefahren ausgesetzt sein würdest, als ihnen lieb sein konnte.« Er klang amüsiert.

»Wohl weißlich hatte ich ihnen nicht alle Details erzählt.« Sie hielt ihren Atem. Hermione wusste, er konnte es ihr jetzt ansehen, dass ein Aber folgte.

»Bis meine Mutter die Narbe sah. Sie hatte sofort gewusst, wie sehr mein Leben in Gefahr gewesen ist. Danach hatte ich Ihnen alles erzählt. Ich musste ihnen versprechen nichts Unbedachtes mehr zu tun.«

»Auch-« Harry strich ihr abermals über ihre Wange.

»Alles, Harry!«, bekräftigte sie. »Ich hatte keine Ahnung wie schwer und gleichzeitig falsch es sein würde mein Versprechen zu halten. Ich musste mich entscheiden und das habe ich.«

Im Namen der LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt