Ausgegraben

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Die Wahrheit ist eine unzerstörbare Pflanze. Man kann sie ruhig unter einen Felsen vergraben, sie stößt trotzdem durch, wenn es an der Zeit ist. – Frank Thiess

Tausende einzelner Erinnerungen schwirrten Harry durch den Kopf, während er vom Denkarium wieder auftauchte. Wie viel von seinem Leben war eine Lüge und was, wenn überhaupt, entsprach der Wahrheit? Eine unbändige Wut durchdrang ihn, eine die sich beim Anblick des immer noch leeren Porträts von Albus Dumbledore manifestierte. Mit Wucht schleuderte Harry das Glasfläschchen durch den Raum, es prallte am Holzrahmen ohne erkennbare Spuren zu hinterlassen ab und landete in seine Einzelteile vorm Schreibtisch.

„Potter, sie haben sich kein bisschen verändert, immer noch der gleiche eingebildete Narr. Glauben sie wirklich, dass sie ein magisches Porträt so einfach beschädigen könnten?", kommentierte gelangweilt Professor Snape.

Blitzartig wirbelte Harry mit gezogenem Zauberstab herum und starrte seinen ehemaligen Professor an, der mit hochgezogenen Brauen von der Leinwand das Geschehene beobachtete.

„Snape!", entfuhr es Harry und er hätte ihn am liebsten verhext.

Doch Snape sah nur an ihm vorbei zum Denkarium, wo noch immer die Erinnerung von Hermione herumwirbelte. Hin und wieder erschien geisterhaft ihr Gesicht an der Oberfläche und man konnte sie sagen hören, dass sie für Harry alles täte.

„Professor Dumbledore hatte zweifelsohne ein Talent Menschen dazu zu bringen alles aufzuopfern für die Liebe.", ungewöhnlich nachdenklich, fast traurig klang Severus Snape.

„Was wissen sie schon darüber?", zischte Harry verächtlich.

„Lily – „, begann Snape, wurde jedoch von Harry je unterbrochen.

„Sie glauben doch nicht, dass ihre krankhaften Besitzansprüche gegenüber meiner Mutter, auch nur im Entferntesten, etwas mit Liebe zu tun hatte? Sie haben sie, meine ganze Familie an Voldemort auf dem Silbertablett ausgeliefert. Haben sie wirklich angenommen, dass meine Mutter ohne Gegenwehr mich geopfert hätte und dann in ihre Arme gerannt wäre, nachdem sie ihre ganze Familie auf dem Gewissen gehabt hätten?", schrie er ihn im blinden Zorn an.

Mehrfach versuchte Snape, etwas zu erwidern, doch besann sich und schwieg stattdessen. Harry hingegen griff sich frustriert ins Haar, selbst seinen verhassten ehemaligen Professor anzuschreien diente nur mäßig, um den verwirrenden Gefühlen in sich Herr zu werden.

„Vielleicht haben sie recht, Potter, und ich verstehe wirklich nicht, was Liebe ist, aber genauso wenig wissen sie es. Statt ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen, stehen sie hier und bemitleiden sich selbst. Noch immer genauso blind wie zuvor.", kam schließlich doch noch eine Reaktion von Snape, bevor er sein Porträt verließ.

Für einen Augenblick hielt Harry inne, bevor sich seine Füße sich in Bewegung setzten. Die Korridore waren verwaist, bis auf einzelne Gespenster, die im Schloss herumschwirrten. Einige versuchten die Aufmerksamkeit vom Schulsprecher zu erlangen, doch er nahm sie überhaupt nicht wahr. Umso länger Harry zum Gemeinschaftsraum der Schulsprecher brauchte, desto weniger begriff er, was eigentlich vor sich gegangen war in den vergangenen zwei Jahren.

War Hermione nur mit Ron zusammen wegen ihm? Harry ahnte die Antwort, er hatte selbst erlebt, wie Ron, nur beim bloßen Glauben daran, dass Harry und Hermione etwas miteinander haben könnten, ausgeflippt war und sie beide im Zelt zurückgelassen hatte. Es machte alles auf eine bizarre Weise Sinn, sogar wie Hermione Tage lang völlig neben der Spur gewesen war, als ob sie in allem versagt hätte. Harry schüttelte den Kopf, er hatte die ganze Zeit geglaubt, sie wäre wegen ihrer Gefühle zu Ron so depressiv gewesen, stattdessen war es die unmenschliche Aufgabe, die ihr Dumbledore gegeben hatte.

Im Namen der LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt