Offenbarung

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Die Dunkelheit war absolut. Obwohl der Frühling sich zum Ende hin neigte, war es immer noch so frisch, dass der Atem sichtbar wurde. Kleine Dampfwolken umgaben ihn bei jedem ausatmen. Weit in der Ferne am Horizont war zu erahnen, dass der Tag nicht mehr lange auf sich warten ließ. Harry hatte wenig Sinn dafür, zu sehr plagte ihn ein aufkeimendes Gefühl, vielmehr eine Erkenntnis die er nicht begriff. Es hatte schon eine ganze Weile in ihm gelodert, dabei war es immer diffus geblieben. In den letzten Tagen wurde es immer klarer und doch bot das neue Wissen keine Erleichterung, ganz im Gegenteil.

Die UTZ Prüfungen waren geschrieben, nun würde Harry bald ein letztes Mal in die Rolle des Suchers für Gryffindor schlüpfen, bevor es zur Verabschiedung vom siebten Jahrgang kam. In nicht einmal einer Wochen würde er Hogwarts verlassen und er hatte keine Ahnung was ihn erwartete. Zwar stand fest, dass er sich zum Auror ausbilden lassen würde, aber wo würde er leben, mit wem würde er Zeit verbringen? Seit Harry den ersten Schritt in die Hallen von Hogwarts getan hatte, war sein Leben einem Plan gefolgt, viel mehr sogar als ihm bis vor einem Jahr bewusst war.

Bald würde er alleine voran gehen müssen und es jagte ihm eine unsägliche Angst ein. Vieles war noch ungeklärt und sobald das Schuljahr vorbei war, so befürchtete er, würde es umso schwieriger werden die Dinge, vor allem zwischen ihm und Hermione, zu klären.


»Hermione.« Schwer ging der Name über seine Lippen.


Vom Astronomieturm aus konnte er am Horizont den ersten Silberstreifen des jungen Tages sehen. Ringsum hingen die Wolken dicht und ließen keinen einzigen Stern durch. Seit Rons Geburtstagsfeier war Harrys Welt durcheinander. Geheimnisse wurden gelüftet, selbst die Natur der Freundschaft, die ihn mit Hermione verband, wurde in Frage gestellt. Er selbst hatte sie geküsst. Völlig impulsiv hatte er damals gehandelt, ohne zu wissen was dadurch in Gang gesetzt wurde.

Wenige Wochen war es her da wurde abermals alles auf den Kopf gestellt. Nicht weil irgendetwas gesagt oder getan wurde, sondern weil er zu verstehen begann. Die Worte, die Hermione damals gesprochen hatte, sie sei nicht was er sicherlich vermissen würde, veranlassten ihn zu überlegen, worauf sie überhaupt Bezug nahm. Erst als das Sonnenlicht im kleinen Gemeinschaftsraum ihr Gesicht streichelte, erinnerte Harry sich. Im geistigen Auge konnte er sie wieder vor sich sehen, wie sie am Seegrund vor ihm gefesselt war und er verzweifelt versuchte sie zu retten. Nie hätte er gedacht, dass irgendwer, am aller wenigsten Hermione, die zweite Aufgabe des trimagischen Turniers so verstehen würde. Keiner hatte ihn gefragt, die Wahl wurde für ihn getroffen. Höchst wahrscheinlich Dumbledore selbst hatte für ihn entschieden, wie so oft. Harry wäre überhaupt nicht in der Lage gewesen zu entscheiden ob ihm Ron oder Hermione wichtiger war. Jetzt mittlerweile wusste er ohne Ron konnte Harry überleben, aber ohne Hermione wäre er nicht im Stande zu sein.

In dieser Sekunde, als er verstand, fühlte er, als ob er vor sehr langer Zeit in eine Art Sumpf gelaufen war und erst jetzt merkte, dass er dem unvermeidlichen nicht entkommen konnte. Gebannt hatte Harry sie angestarrt, während sie Ron versuchte zu erklären und Harry wusste nicht warum er erst jetzt die Antwort erahnte. Bei Cho war es nur Sekunden gewesen und er war in sie verliebt oder zumindest hatte er es geglaubt zu sein. Erst nach seinem fünften Schuljahr hatte er Augen für Ginny, aber auch ihr verfiel er von einem Tag auf den anderen. Umso unverständlicher, völlig anders war es jetzt. Langsam und so unvorbereitet versank er, trotzdem wusste er dieser Prozess hatte schon so viel früher begonnen.

Dann gab Hermione Shakespeare wieder, überraschender Weise kannte Harry das Stück sogar. Es war in der Muggelwelt in aller Munde, selbst Dudley Dursely war unfähig gewesen den Hype um die Neuverfilmung von Romeo und Julia zu entgehen. Nicht nur im Fernsehen wurde Werbung mit eben dieser Szene gemacht, sondern auch in der Highschool von Big D wurde das Drama gelesen und das Buch war einfach so achtlos im Haus auf dem Boden gelegen. Kurz vor Harrys 17. Geburtstag hatte er es gefunden und sich gewundert wie solch ein Schriftstück freiwillig den Weg gefunden hatte.

Es hatte gedauert bis Harry wusste, woher er das Zitat kannte, bevor er ihr geantwortet hatte. Dies trug nicht viel zu seinem Erstaunen bei, dass Hermione ausgerechnet Romeo und Julia resezierte. Viel mehr bewies es, dass sie genauso wie alle anderen ein Teenager war und offenbar den Film gesehen hatte, obgleich Harry wusste, dass sie ziemlich sicher das Stück schon zuvor kannte. Die Vorstellung, dass Hermione irgendwann nachdem sechsten Schuljahr im Kino war, für wenige Stunden eine normale junge Frau sein konnte, die nicht kurz vor der schwierigsten Zeit ihres Lebens stand, war im Nachhinein tröstend und zu gleich absolut faszinierend. Es eröffnete ihm ein ganz andere Sicht, dass er so viele Facetten von ihr überhaupt nicht kannte.

Vielleicht war es dann jener Moment, als Harry sich bewusst wünschte Hermione Granger im Ganzen kennenlernen zu dürfen. Tief seufzte er, ihm war es unmöglich, eine genaue Definition zu finden für das, was er für seine beste Freundin eigentlich empfand. Ron hatte ihm einst die Pistole auf die Brust gesetzt und schon damals war es so absolut unvorbereitet gewesen. Harry hatte bis zu jenem Tag nie wirklich darüber nachdenken müssen, was Hermione in seinem Leben war. Eine gute, gar beste Freundin? Nein, dies beschrieb nur unzureichend, was er mit ihr inzwischen verband. Er hatte sich für Familie, Schwester entschieden, weil egal was war, egal ob sie sich stritten oder in der miserabelsten Situation waren, er musste nie befürchten sie zu verlieren. Tatsächlich hatte Harry keine richtige Familie, niemanden der im Ansatz ihm so nah war, auf den er sich verlassen konnte. Selbst jetzt klang es für ihn noch logisch, obwohl ihm Hermiones Erinnerungen mehr als deutlich gemacht hatten, dass er falsch lag. Sie liebte ihn nicht wie einen Bruder, einen Verwandten, sondern wie einen Mann. Die wahre Natur ihrer Gefühle für ihn war so gewaltig für Harry gewesen, dass er es am eigenen Leib erfahren, spüren musste. So tat er, was er immer getan hatte, ohne nachzudenken, ohne abwägen, einfach agieren. Das Resultat war völlig anders als erwartet, wie getroffen von einem Klatscher hatte Harry sich gefühlt, als ihm klar wurde, dass umso mehr er sie küsste, berührte, wie Freunde es nun mal nicht taten, er dem Drang, den Verlangen es wieder zu tun nur schwer entkommen konnte.
Umso länger dieser Zustand nun anhielt, diese veränderte Sichtweise, desto mehr verstand er nicht, wieso er sich nicht vorher von ihr so angezogen fühlte? Es machte für ihn keinen Sinn, egal wie sehr er sich den Kopf darüber zerbrach, dass sie nicht früher an dieser Stelle ihrer Beziehung gestanden hatten. Immerhin hatten sie über Wochen alleine im Zelt miteinander verbracht. Ein einziger Moment stach in seinen Erinnerungen heraus, dieser Spannung geladener Blick, nachdem er mit ihr völlig ungeschickt getanzt hatte. Die Anziehung war da gewesen, nur keiner von beiden hatte darauf entsprechend reagiert und er verstand es im Nachhinein nicht.
Erst jetzt da Voldemort besiegt war und Harry eine Zukunft ohne dem immer wehrendem Schatten vor sich hatte, änderte sich sein Empfinden für den wohl wichtigsten Menschen in seinem Leben. Denn nichts anderes hatte Harry damit gemeint, als er Ron sagte er liebe Hermione wie eine Schwester.

Langsam schob sich die Sonne empor, durch die dichte der Wolken, war alles rosarot angemalt. Man konnte den Feuerball allenfalls erahnen. Das Licht, der Schein der morgendlichen Sonne drang lediglich streifenweise zu ihm. Der Anblick erinnerte Harry, mehr denn je, wie sehr Hermione mittlerweile seine Gedanken in Anspruch nahm. Nicht nur weil ihre Freundschaft inmitten eines Wandels war, sondern weil er sie regelrecht im geistigen Auge sah. Ihr Gesicht, wie es von abendlichen Sonnenstrahlen erhellt wurde und sie die Wärme sichtlich genoss oder wie er im Stande war trotz allem sie zu einem zaghaften Grinsen zu verhelfen. Im nächsten Moment jedoch, wie sie eng umschlungen auf der Couch saßen und mit einer rasenden Geschwindigkeit gen Abgrund gingen. Bei all dem war es das, was er dabei empfand, was ihn am meisten erschreckte.

Das plötzliche Aufschlagen der Tür, die zum Turm führte, ließ Harry herumwirbeln. Schlagartig hatte er seinen Zauberstab in der Hand und schon den ersten Spruch auf den Lippen, bevor er erkannte, dass kein Angriff bevorstand. Verträumt und höchstwahrscheinlich völlig harmlos sah er sich Luna Lovegood gegenüber. Sein Herz raste immer noch. Dieser Ort, Harry wusste nicht, warum es ihn ausgerechnet immer hier hinzog. Hier hatte vor knapp zwei Jahre alles begonnen, als Dumbledore starb.
»Luna!«, rief er erleichtert aus.

Sie hingegen schien ihn erst überhaupt nicht zu beachten und sah sich um, als suchte sie etwas. Amüsiert steckte Harry den Zauberstab weg. Auf den ersten Blick hatte Luna sich von der Gefangenschaft gut erholt. Sie war wie zuvor auch oft verträumt und vertrat die komischsten Ansichten.

»Ah, Harry.« Sie unterbrach sich selbst, als sie sich die Zeit nahm und ihn intensiv betrachtete.

»Habe ich irgendetwas im Gesicht?«, wollte Harry genervt wissen.

Sie ignorierte seine Frage und sah ihn stattdessen weitere unendlich lange Sekunden ohne zu blinzeln an.

»Du bist endlich aufgewacht.« Zu seiner Überraschung klang sie zwar erfreut, aber überaus ernst.

»Natürlich.«, erwiderte er verwirrt.

Erneut beobachtete Luna ihn, als sei er eins ihrer exotischen Tierwesen, die nur sie sehen konnte.

»Ich kenne niemanden, der es mehr verdient hat als du, Harry.« Sie strahlte ihn nun regelrecht an.

»Ich verstehe nicht, Luna.« Er kam nicht umhin selbst zu Lächeln.

Das Ganze war absurd für Harry. Ganz spontan änderte sich ihre Stimmung und sie nahm eindringlich seine Hände in ihre.

»Aber du musst Geduld beweisen. Ein gezwungenermaßen verschlossenes Herz ist schwer zu öffnen.«

Mit halb geöffnetem Mund war er es nun, der sie angaffte. Bevor Harry auch nur ein Wort hervorbringen konnte, lächelte Luna ihn nur zuversichtlich an.

»Es ist was es ist.«, rief sie nur ausgelassen, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und tänzelte von ihm weg.

Im Namen der LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt