Kapitel 1

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Von heute auf morgen machte mein Leben eine Wendung, die ich mir niemals hätte erträumen können. Ich sollte umziehen mit meiner Familie. Seit meine Eltern meinen drei großen Brüdern und mir die Neuigkeit eröffnet hatten, herrschte in unserem Haus angespannte Stimmung. Unser neues Zuhause war einige hundert Kilometer von unserem jetzigen entfernt. Wir sollten von dem schönen Bayern mit den Bergen, den schönsten Wäldern und den liebsten Menschen wegziehen in den hohen Norden. Unser neues Zuhause lag an der Nordsee mitten im Nirgendwo. Meine Großeltern besaßen dort ein eigenes Gestüt, und da meine Mutter schon lange davon träumte in ihre Heimat zurückzukehren, war dies die optimale Situation, da meine Großeltern eine Umstrukturierung geplant hatten. Momentan standen unsere Pferde noch in einem Stall hier in der Nähe bei unserem Trainer auf der Anlage. Als mein Vater uns jedoch eröffnete wann es los gehen sollte, waren wir mehr als entgeistert. In einer Woche stand uns allen der Umzug bevor. Also eine Woche um die letzten Erinnerungen zu sammeln und uns von unserem bisherigen Leben zu verabschieden.

Das erste was ich tat, war meine beste Freundin anzurufen. „Hallo hier ist die Mailbox von Hanna Huber, ich bin leider gerade verhindert, aber wenn ihr mir eine Nachricht hinterlasst, rufe ich gerne zurück", dies war jedoch alles was ich auf meine Anruf zu hören bekam. „Hey, hier ist Greta ruf mich bitte zurück, wenn du das hörst. Es ist wichtig", damit warf ich mein Handy niedergeschlagen auf mein Bett. Aus dem Zimmer nebenan hörte ich laute Musik. Meinem ältesten Bruder würde es am schwersten fallen von hier wegzugehen, dass wusste ich. Als ich leise zu ihm in sein Zimmer ging und die Zimmertür einen Spalt öffnete, gefror mir das Blut kurz in den Adern, ich hatte ihn noch nie so wütend wie in diesem Moment gesehen. Er schmiss all seine Sachen in Kartons aber mit einer Wut, die ich auch von hinten sehr gut erkennen konnte. Langsam wagte ich mich in sein Zimmer und als ich bei ihm angekommen war, legte ich ganz vorsichtig meine kleine Hand auf seinen breiten Rücken. Durch meine Berührung zuckte er zusammen. Hastig drehte er sich zu mir. Ich sah wie seine kalte Miene zusammenfiel und sanfter wurde. Seine Stimme jedoch war trotzdem kalt, sodass mir ein Schauer den Rücken hinunter lief als er sagte:" Oh ich dachte du wärst Mum. Was willst du?". Ich wusste keine Antwort auf seine Frage, da ich eigentlich nur sehen wollte, was er macht. Als er so vor mir stand, brach plötzlich die Erkenntnis über mir zusammen, wie fremd wir uns in den letzten Wochen geworden waren und so sammelten sich gegen meinen Willen Tränen in meinen Augen. Er schien dies zu bemerken, denn er nahm mich in den Arm und murmelte mir in die Haare, was denn los sei. Durch mein Schluchzen kamen keine vernünftigen Wörter geschweige denn Sätze aus meinem Mund. Als er es bemerkte drückte er mich einfach nur enger an sich und murmelte mir beruhigend zu. So standen wir da einige Minuten bis ich mich von ihm löste und ein „Danke" schniefte. „Dafür nicht Kleine", grinste er nur, da meine Brüder allesamt wussten wie sehr ich diesen Spitznamen hasste. Aber im Gegensatz zu sonst erwiderte ich nichts, sondern boxte ihm gegen die Schulter, was mir vermutlich mehr weh tat als ihm. Kopfschüttelt und leise lachend verließ ich also den Raum und fragte dabei meinen Bruder, ob er mit zu den Pferden käme. „Ich komme später nach, wollte mich erst um 17 Uhr mit Chris dort treffen, aber ich kann dich danach mit nach Hause nehmen, wenn du willst", war leider seine Antwort, dass heißt ich müsste wohl oder übel mit der S-Bahn fahren, da ich keine sieben Kilometer mit dem Rad fahren wollte bei minus neun Grad. Es würde im Stall schon kalt genug werden. In meinem Zimmer zog ich mir also warme Sachen an und schnappte mir meine Karte für die Bahn. Auf dem Weg nach unten, sah ich, dass meine beiden anderen Brüder sich gerade ihre Boots anzogen. Dementsprechend sprintete ich die Treppe hinunter und erntete komische und verwirrte Blicke von den Beiden. Außer Atem brachte ich nur ein „Könnt ihr mich mitnehmen?" heraus. Max antwortete nur mit einem Schulterzucken und meinte „Klar, aber hau rein". Also schnappte ich mir meine Boots und meine Jacke und schlüpfte schnell hinein, damit ich mich an den beiden vorbei drängeln konnte und als erste am Auto ankam, und mir somit den Platz auf dem Beifahrersitz sicherte. Paul verdrehte nur die Augen und nahm auf der Rückbank Platz, während Max uns mit einem Schmunzeln beobachtete, da dies ein Spiel zwischen Paul und mir geworden war über die Jahre. Ich machte auf dem Weg Musik an und sang mit meiner wunderschönen Stimme mit, was die beiden Jungs immer wieder zum Lachen brachte. Als wir die Hofeinfahrt passierten, stahl sich automatisch ein Lächeln auf meine Lippen. Ich riss die Tür schon auf, bevor der Wagen richtig stand, was mir ein „Ey vorsicht" von Max einbrachte, welches ich gekonnt ignorierte. Es war echt eisig, wenn man aus dem warmen Auto ausstieg. Schnell machte ich mich auf den Weg zu der Box von meinem Pony. „Na Mucki wie geht's dir?", begrüßte ich die kleine Ponystute. Sie streckte nur einmal kurz ihren Kopf über die Tür, suchte mich nach etwas essbarem ab und machte sich dann wieder über ihr Heu her. Da sie beschäftigt zu sein schien, machte ich mich auf die Suche nach meinen Brüdern. Sie standen auf der anderen Stallgasse und sobald ich nach draußen trat, peitschte mir der kalte Wind ins Gesicht. Wie sehr ich den Winter verabscheute. An den Boxen, der Pferde meiner Brüder, angekommen, waren beide nicht zu sehen. Somit begab ich mich in Richtung Halle, um auf dieser zu großen Anlage jemanden zu finden. Dort angekommen, sah ich sie auch schon von weitem, wie sie alle gespannt das Geschehen in der Halle beobachteten. Neben Max stand auch meine beste Freundin Hanna, welche schon seit wir klein waren in meinen Bruder verliebt war, jedoch sah Max sie nur als zweite kleine Schwester. Als ich endlich neben ihnen zum Stehen kam, öffnete sich mein Mund vor Staunen. Mein Trainer ritt ein wunderschönes, jedoch im Verhältnis recht kleines Pferd. Es schien nicht so sonderlich begeistert von der Idee des Reiters zu sein, da es immer wieder wie aus dem Nichts explodierte. Ich musste schmunzeln, denn genauso war es mir mit meiner Stute ergangen, als ich sie vor vier Jahren bekam. Ich als halbe Portion mit gerade mal elf Jahren auf einem vierjährigem Pony, welches den Reiter lieber auf der Erde als auf dem Rücken gesehen hatte, aber nach gefühlten tausend Stürzen, klappte es plötzlich und heute war sie das liebste Pony, was ich mir vorstellen konnte. Als der Blick meines Trainers auf mich fiel und er mein Schmunzeln sah, hielt er an und stieg ab. Mit mehr als nur genervtem Schritt kam er auf uns zu und als seine kalte Stimme die angespannte Stille zerschlug, wurde ich plötzlich blass. „Da du das ja witzig zu finden scheinst, kannst du uns ja zeigen, wie witzig das von oben ist. Rauf da Greta". Da ich solche Herausforderungen tief in mir drinnen liebte, zögerte ich nur kurz und öffnete die Tür. Als ich neben dem plötzlich nicht mehr so kleinen Pferd stand, freute ich mich ein bisschen. Mein Trainer reichte mir einen Helm und ich stellte die Steigbügel um. Als er mich hochwerfen wollte, fragte er noch einmal „Bereit? Der ist nicht ohne" „Klar" und so saß ich wenige Sekunden später im Sattel. Ich hatte gerade noch genug Zeit mit den Füßen die Steigbügel zu erfassen, als der Schimmel unter mir los schoss. Nachdem ich nach einiger Zeit dreimal unsanft auf dem Boden gelandet war, konnten wir zumindest im Schritt und Trab mehr oder minder entspannt außen rum reiten. Damit hielt ich in der Mitte an und dachte, dass es reichen sollte. Plötzlich stand mein Trainer hinter mir, was ich nicht bemerkt hatte, da ich in Gedanken vertieft war. Ich zuckte durch seine Worte zusammen „Ich wusste, dass ihr euch verstehen würdet". Bei diesen Worten wurde ich ein bisschen traurig, da wir in einer Woche den Stall verlassen müssen und ich somit nicht die Chance hatte den Schimmel öfter zu reiten. Denn auch wenn er explosiv und nicht einfach war, machte es Spaß ihn zu reiten. Mit einem Brummen verließ ich also mit dem Schimmel am Zügel die Halle. „Die Box neben deinem Pony", war das letzte was ich beim Verlassen hörte. Also brachte ich ihn in seine Box und hängte seine Sachen weg und nahm die von meinem Pony mit. Nachdem ich sie longiert hatte, machte ich mich auf den Weg ins Reiterstübchen. Als ich die Tür öffnete, wäre ich am liebsten wieder gegangen. Dort saß er. Felix Hoffmann.


Das Chaos meines LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt