Kapitel 4 ♛ „Falls es dir noch nicht aufgefallen ist...ich bin lesbisch."

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: Fire on Fire - Sam Smith

NINA
Sozialwissenschaften war wohl eines meiner liebsten Fächer. Ich empfand es einfach für extrem wichtig darüber Bescheid zu wissen, was die Oberschicht mit der Macht unserer Leute - ihren Wählern - anfingen. Es kam ja nicht selten dazu, dass es bei den Politikern zu Vertuschungen und Korruptionen kam. Bei der ganzen Propaganda, die ich schon bei uns im Blake South College erlebt hatte, überlegte ich bereits ob ich nicht meine eigene Nina-Simonetti-Partei gründen wollte. Luna wäre sicher sofort dabei. Aber nur wegen Vorstellungen von dem perfekten Mädchen, versteht sich.

Ich seufzte lautlos und kritzelte einen weiteren Strich auf den Rand meines Collegeblocks für eine vergangene Minute. Eigentlich debattierte ich liebend gerne mit den Lehrern - vor allem in Politik - aber heute stand ich mit meinem Kopf irgendwie ganz woanders. Es war nichtmal eine Woche her, dass Luna als Ich 2.0 aufgetreten war und trotzdem schien die Zeit schneller zu verstreichen als ich es wollte und auch vertrug. Vielleicht war aber auch das Thema der Rente und der Besorgnis über die schrumpfende Population einfach nicht so mein Fall. Ich konzentrierte mich lieber aufs Hier und Jetzt als auf die Zukunft. Nicht, dass es schlecht wäre jetzt bereits gewisse Konsequenzen abzuwägen, aber ich hatte bereits mit sieben den perfekten Entwurf für mein Leben gefunden. Jura. Genau wie meine Mutter. Es war kein schlechtes Geld und ein Beruf, der nicht einfach im Nichts verschwinden würde. Irgendjemand würde sich immer streiten. Ich hoffte, ich würde sie wenigstens damit einmal stolz auf mich machen können.

Ich stieß erneut angespannt die Luft aus und zog einen Schrägstrich für die nächsten verstrichenen fünf Minuten. Die Zeit rannte, ich sag's ja.

Ich war gerade wirklich am Überlegen, ob ich einfach meinen Kopf auf meinen Tisch legen und ein Nickerchen auf meinem Platz in der ersten Reihe halten sollte, während unser Lehrer Señor Martín irgendwelche wirren Zeichen und Bilder an die Tafel kritzelte, als mich eine, einfach in den Raum geworfene, großspurige Aussage hellhörig werden ließ.

„...Warum gibt's denn dann in Afrika eine stetig wachsende Populationsrate? Ist ja nicht so, als ob die irgendeine Rente bezahlen könnten!" Ich brauchte mich gar nicht umwenden um dieses Gröhlen, als das vom großkotzigen Matteo Balsano höchstpersönlich zu identifizieren. Dieser Junge kümmerte sich noch mehr um sein Aussehen, als Gastón und das sollte etwas heißen. Ich wusste nicht mal so recht, wieso ich meinen Sowi-Fortgeschrittenen-Kurs nicht bereits abgewählt hatte. Matteo schaffte es nämlich tatsächlich immer wieder solche Aussagen zu bringen, wobei ich mir am liebsten gleich die Stirn blutig schlagen würde.

Vielleicht weil mich das Fach so interessierte und mein Lehrer es so gut gestaltete.
Oder es sich einfach gut auf einer Bewerbung machte...

Ich schnaubte nur leise und malte zwei weitere Striche in tintenblau auf mein vergilbtes Recyclingpapier. „Oder sonst irgendwas...", murmelte ich mir kaum hörbar selbst zu und dachte unwillkürlich an die Erzählungen meiner Tante Mora zurück, die für eine ihrer Modelinien mal nach Südafrika gereist war und ‚Safari-Soul' erschaffen hatte.

„Señor Balsano in Afrika existiert die Rente nicht. Wenn es hart aufs hart kommt ist dort jeder für sich selbst verantwortlich.", räusperte unser Lehrer sich nur kurz und fuhr sich durch das wirre kastanienbraune Haar - er besaß wahrscheinlich nicht mal eine Bürste weil er seine Frisur beim Nachdenken sowieso immer so verwüstete - als er sich zur Klasse umwandte. Ich verspürte kurz eine Erleichterung darüber, dass ich meinen Mittagsschlaf auch wirklich auf die Mittagspause verschieben wollte, ehe der nächste kluge Satz von Matteo kam. „Also sind Kinder nur da, damit die Eltern nachher ein laues Leben haben?"

Ich wusste zwar nicht wie alt Señor Martín war, aber er sah sicher älter als. Kein Wunder bei den tiefen Furchen, die man von dem ganzen Stirnrunzeln bekam, wenn man Schülern wie Matteo zuhören musste, die nur in diesem Kurs saßen um ihre fehlenden - ich sagte lieber geschwänzten - Stunden zum Abitur noch vollzukriegen.

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