Kapitel 9 ♛ Wie ich mit 16 eine Mid-Life-Crisis bekam.

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: Capsize - Frenship ft. Emily Warren

NINA
Der Kugelschreiber, den meine Finger führten, glitt hektisch und energisch über das gelbe Recyclingpapier um den letzten Satz, den ich geschrieben hatte, wieder aus meinem Notizbuch auszulöschen. Naja - so gut es eben ging ihn auszulöschen. Eine gewisse weiße Flüssigkeit wäre sicher nützlicher gewesen - Tipp-Ex! Leider war so ein Teil teurer als mein Leben.

„Also...hm..." Ich sah von meinem Buch auf und legte den Kulli zwischen die Lippen um nach vorne zu blicken und Eric meine komplette Aufmerksamkeit zu widmen. Man musste sich wirklich dabei konzentrieren ihn genau zu verstehen, da er einen dieser sündhaften runden Lutscher - die er so liebte - im Mund hatte. Dieser war rot und hatte schon einen tollen Lippenstift für seinen Mund abgegeben. Sein geliebter Michel, der neben meinem Mitbewohner - obwohl ich den Venezolaner beinahe auch schon so nennen konnte, da Eric und er sich schon seit Tagen in ihrem Liebesnest bei UNS zuhause verschanzten - auf dem Fahrerplatz seines kleinen, aber geschätzten silbernen Volvos saß, hatte auch gewisse Spuren von Rot in seinem Gesicht. Am liebsten wäre ich gefahren, aber erstmal hatte ich das schon seit Ewigkeiten nicht mehr getan und das letzte Mal beim Einparken fast ein anderes Auto gerammt, und zweitens ließ der widerspenstige Schwule am Steuer niemanden selbst heran. Und Eric musste mitkommen, weil er nun mal eben Eric war. Und trotzdem war Auto fahren mit ihm fast eine Tortur, allein schon wie er den Fahrer halb abschleckte und die Beine großzügig ausgestreckt auf dem Armaturenbrett vor sich platziert hatte. Wenigstens strengte er für diese Risiko, was ich hier auf mich aufnahm, seine wenigen aber effektiven Gehirnzellen an. Meine waren nämlich nicht mehr so wirklich funktionstüchtig, seitdem meine Hormone entschlossen hatten das Ruder herumzureißen.

„...ich glaub' der will dich flachlegen, Nina-Baby. Aber - man! - ich kann wirklich nicht in den Kopf eines Heteros schauen..." Ja. Mit 'der' und 'Hetero' war in diesem Fall tatsächlich Gastón gemeint. Ich bereute es zwar jetzt schon meinem überdrehten Kumpel meinen WhatsApp-Verlauf gezeigt zu haben, aber andererseits hatte ich mich in meiner Verzweiflung an den einzigen verfügbaren Strohhalm geklammert. Ámbar oder Luna wären wohl kaum geeignete Gesprächspartner gewesen, wenn es um Gastón ging. Nicht um diesen Gastón. Verflucht jetzt wurde ich noch schizophren auf die Luna-Art. Gastón war keine Option - das war doch klar, oder?

„Gib mal her!", stöhnte nur die Mexikanerin neben mir - ja Daniela war mit von der Partie, verrückter ging es also wirklich kaum - und beugte sich über die Mittelkonsole nach vorne, um ihrem besten Freund fast gewaltsam mein Smartphone aus der Hand zu reißen. „Ich - als heterosexuelle Frau - ..." Sie warf erst ihm und dann mir einen bedeutungsvollen Blick zu, ehe sie wie wild auf meinem Handy herumtippte. „...kenne mich gewissermaßen auch mit heterosexuellen, verwirrenden Kerlen aus. Mein Dozent ist genauso einer!" Sie schnaubte und ich wandte den Blick schnell vor Scham ab, als ihre sonst so undurchdringliche Maske von Ekel zu Überraschung und Wut innerhalb von nicht einmal drei Sekunden wechselte, als Gastóns und mein Chatverlauf vor ihr aufleuchtete.

War es eine gute Idee gewesen ein Notfall-Meeting einzuberufen? Ich war nicht fähig dazu einen einzigen Typen auszumachen und zu verstehen und deswegen ging ich fast direkt in eine Mid-Life-Crisis über. Es war wirklich zum Haare ausreißen!

„Also ich lese nur alle zwei Sekunden was von Hammer Body, schöne Beine und- ... ah, ich glaube er mag deine Augen." Obwohl Daniela das absolut fachmännisch und neutral vor mich trug, brannte mir doch in Windeseile die Schamesröte auf den Wagen. Und dafür wollte ich mich gerne selbst vor die Hunde werfen.

Ich meine, mir war schon klar, dass es Nichts tiefgreifendes war, was meine Hormone gegenüber Gastón geweckt hatte. Wahrscheinlich war es einfach nur eine natürliche Anziehung. Sein Sexappeal und ultimatives Selbstvertrauen überstrahlten mir zwar nicht seine Persönlichkeit, aber diese Ausstrahlung reichte meinem Körper, um mich in ein tollwütiges Sexmonster zu verwandeln. Ich hatte eigentlich nie das Verlangen gehabt mit irgendwelchen Typen zu schlafen und hatte gewissermaßen auch nicht vor künftig mit Gastón - gerade nicht mit ihm! - in die Kiste zu steigen. Aber ich gönnte es ihm nicht eine derartige Kontrolle über mich zu haben: Dass ich anfing zu Stottern wenn er meinen Arm berührte oder mein Puls in die Höhe raste, weil er mir ein Kompliment machte, was mich eigentlich total objektivierte und die Emanzipation um 100 Jahre zurück warf. So ein Mädchen war ich nun mal ganz und gar nicht. (Eigentlich.)

Prince Asshole Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt