Wahrheiten

12.5K 1.3K 40
                                    

„Was ist los, Max?"
Wir saßen alle zusammengepfercht auf meinem Bett, da mein Koffer noch immer den größten Teil davon in Anspruch nahm. Die Zerstörung nahm ich fast gar nicht mehr wahr, auch wenn ich wusste, dass ich es so definitiv nicht hinterlassen konnte.
„Max?"
„Hm?" Mein Kopf schoss zu Amy und Dean, welche mich beide voller Sorge und Neugierde ansahen. Sie warteten darauf, dass ich sie darüber aufklärte, warum ich unbedingt mit ihnen sprechen wollte. Auf einmal bildete sich ein Kloß in meinem Hals und mir wurde speiübel.

Ich wollte unsere Freundschaft nicht beenden, doch ich sah ein, dass ich sie bereits längst aufs Spiel gesetzt hatte. Ich war es ihnen schuldig die Wahrheit zu erzählen und alles, was danach folgen würde, lag in der Entscheidungsgewalt von Amy und Dean.
Mir wurde heiß und im nächsten Moment kalt. Meine rechte Hand fing an zu zittern und ich versteckte sie unter meinen zerknautschten Kissen, damit es die beiden nicht sahen.

„Was ist denn los?" Amys Stimme klang sanft und vorsichtig strich sie mit ihrer Hand über meinen Rücken. Zittrig atmete ich ein, hatte diese sanfte Stimme, diese liebevolle Geste doch gar nicht verdient. Wenn ich ihnen jetzt die Wahrheit sagen würde, würden sie mich jemals wieder so ansahen, wie sie es jetzt taten?
Würden sie mich überhaupt jemals wieder anschauen?
Ich schüttelte den Kopf, denn ich hatte meine Entscheidung getroffen und würde sie nicht noch einmal aus purem Egoismus ändern.

Stammelnd setzte ich an: „Bevor- bevor ich es euch jetzt erzähle... ich verstehe es, wenn ihr mich hassen würdet, aber..."

Amy runzelte die Stirn und schüttelte einmal den Kopf. Dean tat es ihr gleich, doch ich wusste, dass sie anders reagieren würden, sobald sie die Wahrheit erfahren würden.

Und dann konnte ich es nicht mehr verhindern, dass die Wörter nur so aus meinem Mund kamen. Ich wollte es einfach so schnell es ging hinter mir haben. „Es tut mir so leid. Ich habe es euch verschwiegen. Am Anfang unabsichtlich, dann aber aus purem Egoismus. Denn ich wollte euch nicht verlieren... Unsere Freundschaft..." Zittrig holte ich Luft. „Aber die Tatsache ist, dass genau das wahrscheinlich nun passiert, denn ich kann euch nicht weiter an dieser Ungewissheit zerbrechen sehen." Ich starrte an die Decke, wich absichtlich den Augen der anderen aus. „Denn ich weiß, was damals passiert ist. Damals als sie auf das Dach geklettert ist. Erinnert ihr euch noch daran, wie du, Dean, mich gefragt hast, ob ich auch einen Kakao möchte? Ich wollte nicht und bin gleich zu Zara gegangen. Wir haben uns darüber unterhalten, sie hat mir meinen tieferen Sinn erzählt und sie hat Andeutungen über ihre Vergangenheit gemacht..." Ich schloss meine Augen bei der Erinnerung. „...und wir haben uns geküsst, danach wollte sie alleine sein und ich Vollidiot habe es zugelassen." Zittrig holte ich Luft und fing an den Kopf zu schütteln. Nichts sehnlicher wünschte ich mir, als die Zeit zu diesen Tag zurückspulen und alles retten zu können. „Ich bin einfach in mein eigenes Zimmer gegangen und dann... dann war sie auf dem Dach und dort... ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was dort oben passiert ist!" Die Worte sprudelten in einem Schwall aus mir heraus. „Verdammt, ich weiß nicht, ob sie gesprungen oder gestürzt ist, aber ich glaube nicht, dass sie es selbst getan hat und wisst ihr auch warum? Wir hatten uns doch verabredet, sie schien auf einmal so glücklich und... Nein..."

Unbewusst fing ich leise an zu weinen, redete jedoch schnell weiter, damit mich die Bilder von Zara, welche in meinem Kopf immer wieder hochgeschleudert wurden, mich nicht noch mehr zu Boden rissen. Und damit Amy und Dean nicht etwas sagen konnten, bevor ich zu Ende geredet hatte. „Und dann... Dann kam alles andere: die Erinnerungen, die Beerdigung... Ich habe es nicht mehr ausgehalten und bin zu der gläsernen Statue gegangen. Zu Amys Ballerina. Delores hat mich dort gefunden und hat mir etwas über Zaras Vergangenheit erzählt..."
Ich stockte. Es war immerhin Zaras Vergangenheit.
Zaras Vergangenheit, welche noch immer ein unfertiges Puzzle war.
Wollte ich sie mit ihnen teilen? Immerhin hatte Zara sie immer tief in ihr eingeschlossen und dies aus einem bestimmten Grund...

Wütend auf mich selbst schüttelte ich den Kopf.
Wenn jemand das Recht dazu hatte, sie zu erfahren, dann waren es Amy und Dean. Für wen hielt ich mich denn, jetzt doch noch ein Rückzieher machen zu wollen?

„Zara hatte bei einem Autounfall, an dem sie Schuld war, ihre Eltern verloren. Ihre Mutter war Künstlerin und diese gläserne Statue von ihr hatte den Autounfall als einziges neben Zara überlebt. Delores fand sie und ein paar Wochen später ist sie hier her zu ihr gezogen. Aber Zara hatte noch so viel mehr Geheimnisse, die nie jemand lösen könnte, außer Zara selbst. Es tut mir so leid, ich will mich nicht rausreden und ich kann verstehen, wenn ihr mich nun nie wiedersehen wollt." Ich vergrub meinen Kopf in meine Hände und wartete ein paar Sekunden.

Es blieb still, wahrscheinlich waren sie viel zu geschockt von den ganzen Offenbarungen.
Die Offenbarung der Wahrheit.
Zaras Vergangenheit.
Diese Vergangenheit, welche ich früher als Amy und Dean erfahren hatte und welche Zara für so lange Zeit in sich verschlossen hatte.

Ich hielt es nicht länger in dieser Stille aus und sprang vom Bett auf. Mitten auf den kaputten Stuhl, aber ich fühlte immer noch keinen Schmerz und schuld daran war das riesige schwarze Loch, welches Zara hinterlassen hatte, als sie aus diesem Leben gerissen wurde.
Aus meinem Körper gerissen wurde.
Beinahe brach ich zusammen, wenn ich an Zaras Lächeln dachte.
Zittrig atmete ich einmal tief ein und wollte schnell zu der Tür gehen, damit ich nicht in die Gesichter von Amy und Dean blicken mussten, die mich nun wahrscheinlich voller Verachtung musterten.

Ich war nicht dafür gemacht Freunde zu haben. Noch nie war ich es gewesen und würde es ich auch nie sein. Ich war schon bei der Tür, als ich auf einmal ein Geräusch hörte und sich im nächsten Moment zwei schlanke Hände um meinen Oberkörper schlangen.
„Max, bleib hier", flüsterte Amy. Immer noch sanft.

Überrascht drehte ich mich zu ihr um. Ihr Gesicht zeigte Trauer, Schmerz und Sorge, aber erstaunlicherweise keine Verachtung.
Musste ich es verstehen?

„Warum?", krächzte ich und sah, wie Dean nun auch mit dem gleichen Gesichtsausdruck wie Amy an uns herantrat. „Du bist immer noch unser Freund, Max. Denk an Zaras Worte. Wir sollen immer für einander da sein, dieses Versprechen hat sie uns abgenommen... Jeder baut manchmal Mist, aber du hast es uns erzählt und wir hätten es in deiner Situation nicht anders gemacht."

Dies war zu viel für mich und ich rutschte an der Tür herab auf den Boden. Amy und Dean setzten sich neben mich und nun saßen wir wie auf der Beerdigung.
„Ich habe es nicht verdient", hauchte ich und weinte.
Ich konnte es nicht verhindern, denn ich hatte es wirklich nicht verdient. Erneut spürte ich Amys Umarmung und ein viel stärkerer Weinkrampf überkam mich. Womit hatte ich solche Freunde wie die beiden verdient?

„Vor allem du hast es verdient, Max. Wir... Wir wussten nichts von dir und Zara. Aber wir wissen, wie du dich fühlst, wir fühlen das gleiche, bloß auf eine andere Weise..." Amy stockte und schien zu überlegen, wie sie ihre Gedanken aussprechen konnte. Deswegen übernahm Dean für sie: „Zara hat uns ein Versprechen abgenommen, so als hätte sie vielleicht schon etwas geahnt: Wir sollten es für sie einhalten. Sie hätte es nicht anders gewollt."

„Sie hätte auch gewollt, dass wir nun zusammen diese Zerstörung aufräumen, denn darin würde sie keinen tieferen Sinn finden, findet ihr nicht auch?", fügte Amy schlussendlich noch hinzu und mit einem Blick in ihr Gesicht, konnte ich ein leichtes Lächeln erkennen.

Sie brachte mich dazu, es schwach zu erwidern und nickend wischte ich mir die Tränen aus den Augenwinkeln. „Ja, du hast Recht, Amy. Und danke. Danke, dass ihr für mich da seid, ihr seid die besten Freunde, die man sich wünschen kann."
Ich bedankte mich dafür, denn in genau diesem Moment wurde mir bewusst, dass Amy und Dean mich nicht nur als einen Freund von Zara sahen. Ich gehörte schon zu ihrem Freundeskreis dazu, so wie ich immer Angst hatte, es nicht zu tun.

Sie antworteten nicht, sondern starrten schweigend auf die Zerstörung vor uns, bis Dean aufstand und anfing die Papierschnipsel aufzusammeln. Amy folgte seinem Beispiel und schmiss meine zerrissenen Klamotten in den Mülleimer.

Und ich hielt wieder einmal den Stein der Wünsche in der Hand und fragte mich, ob er vielleicht doch noch eine Spur Magie in sich hatte und meinen Wunsch ein bisschen umgeändert hatte, indem er mir nicht Zara, sondern meine besten Freunde zurück gebracht hatte.

Oder war es Zara selbst gewesen, die es so eingefädelt hatte?
Ich traute ihr alles zu, auch wenn sie nun im Süden ihres Lebens stand.
Oder im Osten, woher sollte ich es denn schon wissen?

Das Mädchen aus GlasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt