Zara

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An mein Zimmer grenzte ein kleines, altmodisch eingerichtetes Badezimmer an. Die altrosa Kacheln an den Wänden schienen auch schon bessere Tage gesehen zu haben und ich fragte mich, wer zur Hölle glauben konnte, dass es eine gute Wahl war, einen quietschgelben Badevorhang zu kaufen. Nachdem ich mich schnell abgeduscht hatte – den Duschvorhang dabei so gut es ging ignorierend -, beschloss ich, meine Sachen doch schon auszusortieren, bevor ich vor Langeweile einging.
Nicht gerade ordentlich stopfte ich meine T-Shirts und Hosen in die Schubladen der Kommode und ich konnte es nicht verhindern, daran zu denken, dass Mom in Ohnmacht gefallen wäre, hätte sie gesehen, wie die Stoffe zerknitterten.

Mit schwerem Herzen verstaute ich schlussendlich auch meine PS4 inklusive sämtlichen Spielen in die letzte Schublade. Dennoch regte sich die naive Hoffnung in mir, dass es vielleicht einen Aufenthaltsraum gab, in dem auch ein Fernseher vorhanden war. Ich beschloss, Delores beim Mittagessen darauf anzusprechen.

„Dann wollen wir mal", murmelte ich vor mich hin, als mein Blick das nächste Mal auf den kleinen Wecker fiel, der auf dem Nachtschränkchen stand. In wenigen Minuten würde es Essen geben und mein Magen erinnerte mich mit einem wütenden Knurren ein weiteres Mal daran, dass meine letzte Mahlzeit bereits beachtlich in der Vergangenheit lag.

Als ich mein Zimmer verließ und den Flur entlang lief, betete ich inständig, dass ich mich nicht in diesem Wirrwarr aus Gängen verirren und schlussendlich irgendwo verhungern würde. In regelmäßigen Abständen hingen an den Wänden kleinere und größere Gemälde und Fotografien, an denen ich mich orientieren zu versuchte.
Doch keines schien mir recht bekannt vorzukommen und nachdem ich nach zwei weiteren Minuten unsicheren Herumirrens immer noch nicht zu der Treppe zurück gefunden hatte, blieb ich stehen.

Erneut verfluchte ich meine Eltern, diesen Sommer und die Tatsache, dass ich elendig lange acht Wochen hier verbringen müsste.

Gerade, als ich beschloss, einfach den Weg in mein Zimmer wieder anzutreten und zu hoffen, dass Delores mich schon aufsuchen würde, wenn ich nicht zum Mittagessen erscheinen würde, hörte ich etwas.
Erneut verharrte ich und spitzte meine Ohren. Im ersten Moment dachte ich, dass ich es mir nur eingebildet hätte, doch dann ertönte es erneut.

Leise folgte ich dem Ton, welcher sich als eine Art Melodie entpuppte. Sie war von sanfter Natur, doch nicht vergleichbar mit irgendetwas, das ich bisher gehört hatte. Immer weiter schwellte sie an, bis ich schlussendlich vor einer Tür stand, die sich von all den anderen Türen, an denen ich bisher vorbeigelaufen war, unterschied. Einerseits lag es daran, dass sie schneeweiß war, doch hauptsächlich daran, dass sie mit dutzenden von kleinen Zetteln und bunten Post-its beklebt war.

Unsicher blieb ich vor der nur angelehnten Tür stehen und spitzte meine Ohren.
Ich war weder musikalisch, noch hatte ich mich jemals groß für Musikinstrumente interessiert, doch ich war mir ziemlich sicher, dass es eine Violine war, die diese Töne entstehen ließ. Und die Abfolge von diesen Tönen war etwas schier Unglaubliches.
Wie von selbst beschleunigte sich mein Herzschlag und ich wurde in die Mischung aus Eleganz, Trauer und Schönheit gerissen, die das Lied mit sich brachte.

Während ich wie versteinert dem Musikstück zuhörte, betrachtete ich die Zettel, die die Tür schmückten. Sie alle waren beschrieben. Auf manchen standen ganze Sätze, die mir sofort ins Auge sprangen.

Zara mag keine Klugscheißer, merkt euch das.
Zara ist wie alles und nichts.

Andere hingegen zierte nur ein einziges Wort.

Blumen
Sterne
Himmel
Luft
Lachen
Tanz
Dach

Verwirrt runzelte ich die Stirn und versuchte zu verstehen, was diese sinnlose Aneinanderreihung aussagen sollte. Ich meinte mich zu erinnern, dass Delores bereits den Namen Zara genannt hatte, doch ich war mir unsicher, ob ich es mir vielleicht auch nicht nur einbildete, bei der Fülle an Informationen, die sie von sich gegeben hatte.
Doch auch nach weiteren Sekunden des an-die-Tür-Starrens wurde ich nicht daraus schlau und ich beschloss, mich wieder dem eigentlichen Problem zu widmen: Nämlich wie ich zum Speisesaal fand.

Das Mädchen aus GlasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt