9. Flackernde Schatten

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»Zafir«, stößt Calen aus. Schuld durchzuckt ihn eisig, als er daran denkt, dass seine Eltern ihn in Sicherheit gebracht hatten und an dem Schicksal von Zafir Schuld tragen. Er hätte sie überzeugen müssen, ihn auch zu retten.

»Es tut mir leid«, murmelt er kraftlos, wissend dass seine Worte Nichts bewirken. Mit kalten Augen steht sein Bruder da, nur der Hass tobt in ihnen. Schwarz verfärbt sind sie durch die Dunkelheit, die sein Herz einnahm, das nun ebenso schwarz ist, wie auch seine Haare. Dunkle Runde schimmern schwarz auf der Haut, künden von dem Unheil, das er zu vollbringen vermag.

»Ich bin nicht alleine«, kein Zittern ist in der Stimme Zafirs zu hören.

Frost setzt sich an den Bäumen an, als die dunkle Gestalt aus dem Schatten des Waldes tritt. Sie überragt Zafir um einen Kopf und aus den Nüstern kommt Luft, kälter als Eis, die die eben noch warme Luft durchschneidet.

Die Lichter frieren in der Bewegung ein, unfähig hell und warm genug zu leuchten, um gegen den Schattenfürsten anzukommen. Jene Kreatur, die den ersten Schatten in das Land brachte. Eiskristalle bedecken das eben noch saftig grüne Gras, das nun trocken erscheint und lassen das Licht sich in ihnen spiegeln, als der Himmel sich auch schon verdunkelt und schwarzer Schnee zu Erde niederfällt, wie ein Regen aus Asche.

Schwarze Augen, schauen auf die kleine Truppe. Sie sind von einem tieferen Schwarz, als man jemals dachte, es könnte existieren, so schwarz, dass noch nicht mal der letzte Sonnenstrahl es wagt, sich in ihnen zu spiegeln. Der Atem von den Drei auf der Wiese bläst kleine Wolken in die Luft und vertreibt für einen Moment die Kälte, um gleich in der Kälte verloren zu gehen. Sie stehen dort zugleich zitternd und zu vor Angst erstarrt.

Bedrohlich atmet der große Wolf aus, dessen Fell schwärzer ist, als die dunkelste Nacht. Marie kennt die Geschichten und Legenden, die sich um jenes Geschöpf ranken. Calen hatte ihr diese erzählt, nie hätte sie oder er gedacht, geglaubt dass sie wahr sind, noch sich gewünscht diesem Wesen jemals gegenüberzustehen. Denn wo es aufkreuzt, folgt der Tod. Eine ganze Zivilisation soll schon gestorben sein, als es das letzte Mal erschien.

Ungläubig blickt Calen seinen Bruder an, hofft auf Güte und Reue, die sein Herz bereinigen werden, doch seine Augen bleiben so kalt, so leer, wie sie es waren. Keine Reue, kein Gewissen blitzt in ihnen auf.

»Eure kleine Prinzessin wird sterben, ehe sie den Thron besteigen kann, um die Armee zu vereinen und uns zu besiegen. Euer Land wird untergehen, so wie alles was hier lebt und liebt, bis nur noch die Schatten bleiben und kein Licht mehr existiert.« Hass und Abscheu blitzt in seiner Stimme während er seinem Bruder verächtlich in die Augen schaut, so dass jenem ganz Bange wird.

Mit Schrecken registriert Marie, wie Nannette neben ihr fällt, jeglicher Kraft durch die Kälte beraubt und auch ihre eigene Kraft beginnt zu schwinden. Kaum noch kann sie sich auf den Beinen halten und auch Calen lehnt an einem Baum, auch wenn er immer noch nicht glauben kann, wie kalt sein Bruder ist.

Marie blickt dem Ende entgegen, noch einmal sieht sie die schönsten und lustigsten, aber auch traurigsten Momente ihres Lebens an sich vorbeirauschen. Das hier könnte ihre letzte Minute sein und niemand wird ihre Leiche jemals finden, niemand den sie kennt. Denn sie ist in einer fremden Welt, die erfüllt ist mit Magie, Magie, an die die Menschen schon lang den Glauben verloren haben, weshalb sie nicht mehr durch das Portal schreiten können, denn sie haben das Staunen verlernt, was Kinder noch an den Tag legen, den Glauben an Magie verloren.

Unbemerkt von den Blicken der anderen blüht eine Blume auf. Langsam hat sie sich den Weg durch das Eis und den Frost gebahnt, bringt ein Stück Wärme und Licht auf die Lichtung zurück. Ihre kirschroten Blütenblätter bringen Farbe auf den dunklen Boden, auf dem selbst der Schnee schwarz glänzt, weil er aus der Asche grausam gestorbener Seelen, die zu ewigem Unfrieden verdammt sind, besteht.

Aus den Augenwinkeln entdeckt Marie die Blüte, denkt erst, ihre Augen hätten ihr einen Streich gespielt, doch dann klammert sich ein Funke Hoffnung an die Blume, Hoffnung, dass noch nicht alles vorbei zu sein scheint.

Da erklingt ein Heulen. Nicht düster und gefährlich hallt es durch den Wald, nein sanft, beruhigend, wunderschön. Es fährt ihr durch alle Glieder, schenkt ihr Hoffnung und Mut sowie Kraft und Glauben, Glauben an das Licht, das auf dieser Lichtung bereits erloschen war. Der dunkle Wolf legt die Ohren zurück, knurrt. Noch hat er Angst vor seiner Gegenspielerin, noch ist er schwach. Ist er nicht eben erst aus dem Gefängnis entkommen, das sie ihm vor tausend Jahren wob, dass ihm seiner Kraft beraubte?

Das Knirschen von Zweigen und Trommel von Pfoten halt durch den Wald. Während sie näher kommt, nimmt sie die Kälte fort und bringt die Wärme und das Leben wieder. Ihr weißes Fell schenkt Licht und Hoffnung, während sie weiter auf die Lichtung zuhält.

Eine weiter Blume blüht auf der Lichtung auf. Gelb sind ihre Blätter, wie die Sonne, wenn sie hell auf den Wald nieder scheint. Noch kurz zögert der dunkle Wolf, kann schon ihr weißes Fell erahnen, dann wendet er sich ab und prescht in den Wald davon, die Kälte ihm auf den Versen und auch Zafir wendet sich ab und verschwindet.

Diesen Kampf mögen sie verloren haben, doch noch ist die Schlacht erst am Anfang. Es war bloß das erste Aufeinandertreffen und er würde dafür sorgen, dass es nicht das letzte bleibt.

Schnaubend kommt die weiße Wölfin auf der Lichtung zum Stehen, vertreibt auch den letzten Rest Kälte.

Mein Name ist Aiovena, junge Prinzessin.

Sanft scheint ihre Stimme in der Luft zu klingen, wie die Melodie eines Liedes, das so wunderschön ist, dass man sich in den Tönen verliert und nie wieder hinauszufinden vermag. Aiovena, die Lichtbringerin, wenn man die alte Sprache, die den Fluss der Magie beschreibt, zu übersetzten vermag, beugt leicht den Kopf hinunter und schaut mit den wunderschön blauen Augen, die wie Spieglungen des Himmels an dem schönsten Sommertag erscheinen, das 14-jährige Mädchen an.

Es ist Zeit das Ihr Euren Platz, als Königin einnehmt und die Ritter zusammenruft, damit Ihr das Königreich schützen könnt. Mammon wird nicht aufgeben und so wie er nun Zafir zur Seite steht, werde ich euch zur Seite stehen.

Erzählt sie und hinter ihr tauchen zwei weitere Wölfe auf. Ihre Köpfe reichen gerade mal bis zur Schulter der Lichtbringerin.

Mammon, der Schattenbringer und sie sind die ältesten Geschöpfe, die auf dieser Welt wandeln, das weiß auch Marie und fühlt sich geehrt vom dem Angebot, das die Wölfin ihr unterbreitete.

Langsam regt sich auch Nannette wieder, blinzelnd blickt sie zu der Wölfin, kann ihren Augen nicht trauen. Genauso wenig wie Marie, als Aiovena ihren Körper zu Boden neigt.

Steig auf und deine beiden Gefährten können auf Luisjana und Malerio reiten, wir bringen euch zur alten Burg des Lichts, seit Jahrhunderten wartet sie auf ihre neue Königin.

Ehrfürchtig steigen die drei auf die Wölfe, die los preschen, auf zu der Burg, die schon im letzten Krieg dem König eine Zuflucht bot.

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