15. Nicht vertrauenswürdig

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Soundtrack: Max Richter - Openings aus dem Taboo OST. In den Top Ten meiner Lieblingsserien neben Black Sails und Peaky Blinders. Meine Güte.

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Das Sanatorium sollte nach Toten stinken, fand Attica. Doch es tat es nicht. Einzig ein Hauch von Desinfektionsalkohol schimmerte durch das emotionslose Nichts. Betten säumten die Gänge, Licht flutete durch hohe, schmale Fenster in die Säle. Die Laken waren blendend weiß, die Wände hellblau. Eine kalte, sterile Welt. Männer und Frauen aller Rassen lagen in den metallenen Betten, manche kaum zu erkennen unter den Entstellungen, die ihre Krankheiten mit sich brachten. Blut befleckte den weißen Stoff unter ihnen. Einige wenige humpelten, gestützt von einschüchternd schönen Frauen und feingliedrigen Männern in den gestärkten weißen Uniformen der Pfleger, über die Gänge. Attica ahnte, dass keiner der Pfleger menschlich war. Die Stimme einer Frau klang aus einem Grammophon und sang von Liebe, grünen Auen und warmen Sonnenstrahlen. Es war beinahe makaber, die süßen Worte in diesem Ort zu hören.

Eleuthera schritt bedächtig durch die Reihen der Betten, ihr Kleid nun ebenfalls hellblau und bestickt mit bunten Vögeln und goldenen Blumen, die Haare zu einem unordentlichen, doch eleganten Knoten gebunden. Doch sobald Attica aus dem Augenwinkel zu ihr sah, schimmerte das Dunkelviolett ihres alten Kleides durch die leichte blaue Seide. Ein faustgroßer Beutel aus einem Fetzen ihres Kleides hing an ihrer Hüfte, dunkel verfärbt von den Sekreten des Herzens darin. Tiefe Falten zeigten sich in ihrem Gesicht und an ihren Händen. Attica hätte keine zehn Aurai für einen Ritt auf ihr verlangen können.

Bei manchen Patienten blieb Eleuthera stehen. Sie sprach kurz mit ihnen, legte ihnen die Hand auf die Stirn, befeuchtete nasse Aufschläge neu. Mit jedem von ihm wurde das Trugbild stärker, ihre Falten schwanden, das Violett verschwand unter dem sanften Hellblau. Ihre weißblonden Haare glänzten silbern im Licht der Sonne. Einigen flößte sie Medizin ein, zauberte aus dem Nichts Blumen hervor und reichte sie alten Frauen und von der Seuche geblendeten Männern. Sie küsste Kinder auf die Stirn und hielt einem Sterbenden die Hand, bis er seinen letzten Atemzug tat. Mit gesenktem Blick zog sie das Laken über sein Gesicht. Als sie wieder aufsah, war sie ebenso wunderschön wie die Pfleger. Ihre Haut war adelig hell, Schminke beschattete Ihre Augen. Wie Smaragde schimmerten sie in Seen aus Schwärze. Die Aura, die sie verströmte, nahm Attica den Atem.

Sie begriff, warum Eleuthera die Anführerin des Zirkels war. Die Seuchenvettel war mächtiger als Ibo Lele, der neben der Hexenmagie auch Nekromantie nutzte. Sie hätte ihn mit einem Blinzeln töten können, langsam und qualvoll. Ein Fingerzeig reichte aus, und sie könnte alle in diesem Sanatorium mit ihren Krankheiten umbringen können, um vollgesogen mit ihrer finsteren Magie die Welt zu übernehmen.

Plötzlich hasste Attica diesen Ort noch mehr. Mit zusammengebissenen Zähnen umklammerte sie den Griff des schwarzen Schwerts, der einzige Gegenstand, der ihr das Gefühl gab, nicht gänzlich machtlos zu sein. Der Mantel, benäht mit dem Fell des Karrs, schien nicht genug für die Kälte, die Eleuthera verströmte. Sie ahnte, dass ihre Männer, Norren, Toby Dunne und Durag sich noch schlimmer fühlen mussten, nur bewaffnet mit gewöhnlichen Säbeln, Gewehren und Messern.

Eleuthera winkte sie hinter sich her, auf eine hohe, ziselierte Glastür zu. Wachen in dunklen Uniformen standen davor, Maschinengewehre in den Händen. Beim Anblick der Hexe nahmen sie Haltung an, einer von ihnen öffnete die Tür.

Sie überquerten eine hohe Brücke, Statuen säumten den Weg. Weit unter ihnen, am Fuß des Hügels, auf dem die Burg des Vampirfürsten stand, ergoss sich Cinderport, ein Gewirr aus backsteinernen Gebäuden und engen Gassen, das nach einigen hohen Lagerhäusern abrupt endete. Kirchentürme ragten in die Höhe wie stachelige Speere. Der Rauch von einigen wenigen Fabriken stieg wie der Qualm der nahen Vulkane in den Himmel. Lange Kais voller Kriegsschiffe säumten die Kante, dunkelgraue, stählerne Bestien, mit vorspringenden Bugen und unzähligen Kanonen. Atticas Finger zitterten allein bei dem Gedanken, ein solches Ungetüm ihr eigenes zu nennen. Bald wäre es so weit.

Die Hexen der EleutheraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt