Kapitel 2: Auch nur ein Mensch.

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-"Gib mir Tilidin, ja, ich könnte was gebrauchen, Wodka-E, um die Sorgen zu ersaufen. Alles, was ich weiß, Liebe kann man sich nicht kaufen und das Leben ist zu kurz, um nicht zu rauchen."-

Eins musste ich Marcella lassen, sie ließ meine Klickzahl wirklich durch die Decke gehen, aber trotzdem hatte mich ihr Verhalten nach unserem Dreh gestört. Nicht einmal eine Woche danach saß ich mit Bella und Nico bei den beiden am Esstisch. Sie hatten mich zum Essen eingeladen und leider nunmal auch sie. Ich hatte wohl keine Ruhe vor ihr und das drückte mir auf den Magen. Schon als sie ankam, schien sie irgendwie neben sich zu stehen, als hätte sie irgendwas genommen. Auf Nicos Frage, ob es ihr gut ginge, antwortete sie mit einem breiten Lächeln - zu breit meiner Meinung nach - und einem Kopfnicken. Sie hatte tiefe Augenringe, als hätte sie länger nicht richtig geschlafen. Auch wenn es mich eigentlich nicht interessieren hätte sollen, machte ich mir Gedanken darüber, wie es ihr wirklich ging. Marcella war eine sehr gesprächige Person, es war also absolut nicht normal für sie, dass sie einen halben Abend lang kaum etwas sagte und als sie mich auch kein einziges Mal beleidigte, wusste ich, dass irgendetwas nicht stimmte. Es dauerte nicht lange, bis sie das erste Mal eine rauchen ging und ich folgte ihr auf den Balkon. "Geht's dir gut?", fragte ich leise. Nico und Bella waren mit dem Abwasch beschäftigt, aber ich wollte trotzdem nicht, dass sie mitbekamen, dass ich mir tatsächlich Sorgen um Marcella machte. "Ja.", bekam ich ziemlich leise als Antwort. Ich beließ es dabei, da ich keinen Streit provozieren wollte.

Etwas später hatten wir uns im Wohnzimmer auf das Sofa gesetzt. Bella bot uns Wein an. Da ich mit dem Auto da war, lehnte ich ab. Zwar ich hätte ich es auch stehen lassen können, aber mir war einfach nicht nach Alkohol and diesem Abend. Marcella dagegen fragte direkt nach etwas stärkerem. Verblüfft sah ich dieser schlanken Frau zu, wie sie ein Glas Wodka-E nach dem anderen kippte, ohne dabei auch nur eine Miene zu verziehen. "Mach mal langsam!", sagte Nico, also sie sich das fünfte Glas einschenken wollte. Sie trank normalerweise nicht und wenn dann wirklich langsam und auch nicht viel, aber an diesem Abend schien ihr Ziel zu sein, sich tot zu trinken. Als sie das nächste Mal rauchen ging, begleitete ich sie erneut. Ich machte mir immer noch Sorgen und empfand sogar so etwas wie Sympathie für sie. "Wirklich alles gut?", wollte ich erneut wissen. Marcella nickte und zog verdammt kräftig an ihrer Kippe. "Sicher?", hakte ich nach, denn ich glaubte ihr nicht. "Ja, es ist alles gut. Kümmer dich um deinen eigenen Scheiß.", schnauzte sie mich lallend an. Die kurzzeitige Sympathie verschwand sofort wieder. Sobald ihre Kippe zu Ende geraucht war, zündete sie sich die nächste an. Das tat Marcella nur wenn sie betrunken war. Im Anbetracht ihrer zierlichen Figur, der geringen Menge an Essen, die sie zu sich genommen hatte, und der Menge an Wodka, die sie bereits intus hatte, wunderte mich das kein bisschen. Während ich etwa fünf Minuten für meine Zigarette brauchte, hatte sie in der gleichen Zeit zwei geraucht. Mit zittriger Hand öffnete sie die Balkontür für uns und trat ins Wohnzimmer. Sie setzte sich wieder auf ihren Platz auf dem Sofa und goss sich das nächste Glas ein. Mittlerweile wollte auch Nico wissen, ob es ihr gut ging, aber sie wimmelte ihn ab, indem sie ihm ein schroffes "Ich will jetzt nicht reden" an den Kopf knallte. Nach ihrem sechsten Glas stand Marcella auf. Es war offensichtlich, dass sie in Tränen ausbrechen würde, also wollte sie an mir vorbei. Sie kam genau drei Schritte weit, dann klappte sie zusammen. Ich konnte sie gerade noch auffangen, bevor sie sich wehtun konnte. "Kannst du sie nach Hause bringen?", fragte Nico zögerlich. Ich war der einzige von uns, der nichts getrunken hatte, also nickte ich stumm. Marcella war nicht ohnmächtig, aber ihre Beine gaben immer wieder nach, weswegen ich sie hochhob und nach unten trug. Nachdem ich sie in meinem Auto abgesetzt hatte, ging ich noch einmal nach oben, um ihre und meine Sachen zu holen. Sie hatte ihre Augen geschlossen, als ich mich auf den Fahrersitz setzte.

"Lass mich runter!", protestierte Marcella, als ich sie zu ihrer Wohnung trug. Sie hatte versucht zu gehen, aber ihre Beine hatten immer und immer wieder nachgegeben, weswegen ich sie wieder hochgehoben hatte. "Ohne Scheiß, Sascha, mir geht's gut. Lass mich runter!", sagte sie erneut. Ich dachte nicht einmal daran, sie runterzulassen, da sie betrunken war. Vorsichtig schloss ich ihre Wohnungstür auf. Erst in ihrem Wohnzimmer setzte ich sie auf der Couch ab. Sie schniefte immer noch, denn auf der Fahrt hatte sie leise vor sich hin geweint. "Willst du mir vielleicht sagen, was los ist?", fragte ich nach, als ich sie abgesetzt hatte. Vehement schüttelte sie den Kopf, also seufzte ich und verdrehte meine Augen. Ich konnte es nicht leiden, wenn jemand offensichtlich jemanden zum Reden brauchte, aber lieber alles in sich hineinfraß. "Dann sag mir wenigsten, ob du jetzt alleine klarkommst oder nicht.", sagte ich genervt und sah sie ungeduldig an. Marcella sah zu mir hoch. Ich konnte sehen, wie sich wieder Tränen in ihren Augen bildeten und es dauerte nicht lange, bis der nächste Weinkrampf über sie kam. Da ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte, stand ich erst einfach nur da. Sollte ich sie in den Arm nehmen? "Wie kommt ihr mit dem ganzen Hate klar?", fragte Marcella schluchzend. Zunächst wusste ich nicht, was sie meinte, bis ich daran dachte, dass viele ihr unterstellten, sie wäre nur mit Nico und Co. befreundet, um ihren Kanal zu pushen. Meiner Meinung nach war das absoluter Quatsch. Ja, ich hasste sie und ich kannte sie auch bei Weitem nicht so gut wie die Anderen, aber das hätte selbst ich ihr nicht zugetraut. Anscheinend hatte sie mal wieder einen Shitstorm abbekommen und dieses Mal hatte sie es nicht ignorieren können. "Wir hören einfach nicht hin.", antwortete ich, bevor ich mich neben sie auf die Couch setzte. Nickend griff sie nach der Taschentuchverpackung, die auf dem Wohnzimmertisch lag und nahm ein Taschentuch heraus. "Du gewöhnst dich da noch dran. Irgendwann ist das genauso normal, wie alles andere auch.", sagte ich, um sie irgendwie zu trösten. Auch wenn ich sie nicht leiden konnte, wollte ich sie nicht weinend sehen. Sie gefiel mir gut gelaunt und gemein viel besser, als so zerbrechlich. Nachdem sie ihre Tränen weggewischt und sich die Nase geputzt hatte, drehte sie ihren Kopf zu mir. Wir sahen uns einige Momente lang schweigend an, bis ich mich räusperte und dann ging. Sie bedankte sich bei mir, bevor ich durch die Tür ging. Ich wusste, dass dieser Abend nichts zu bedeuten hatte, wir hassten uns immer noch und das machte sie mir in einer WhatsApp-Nachricht deutlich klar. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen fuhr ich nach Hause.

Soltera. (UnsympathischTV)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt