Ernüchterung

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Kapitel 12

Luna
Als Luna endlich wieder aus der schweren Lethargie erwachte, dachte sie schon das alles geträumt zu haben. Der vertraute Geruch ihrer Bettlaken erfüllte ihren Verstand und als sie die Augen öffnete, sah sie an die Decke ihres Zimmers. Doch nachdem ihr Verstand wieder langsam in Fahrt kam und sie begriff was passiert war, spürte sie es genau.
Das untrügliche wunde Gefühl zwischen ihren Beinen war eindeutig und sie stöhnte frustriert, da sie sich nicht einmal daran erinnerte wie sie überhaupt nach Hause gekommen war. Hatten Zed und Colin sie tatsächlich in ihre Wohnung gebracht oder war sie vollkommen benebelt von dem Sex mit gleich zwei Männern selbst nach Hause gegangen und konnte sich nur an nichts erinnern? Sie wusste es nicht und würde auch nicht darauf warten, dass sie sich an irgendetwas erinnerte. Dennoch blieb sie die ersten Minuten in ihrem Bett liegen, registrierte dass ihre Kleidung ordentlich zusammengefaltet auf ihrem abgenutzten Sessel lag und sie selbst ein Hemd trug, das wohl einem der Männer gehören musste. Aber das war nicht alles, was sie trug.
Als Luna sich aufsetzte und sich den Schlaf aus den Augen rieb, spürte sie etwas metalisches an ihrer Kehle. Ein Band mit zwei kleinen Anhängern lag eng um ihren Hals und noch während Luna das kühle Metall befüllt, sah sie auf ihren Berg aus Sachen nicht nur ihre Handtasche, sondern auch einen schwarzen Briefumschlag, auf den ebenfalls zwei Zahlen standen. Sechs und Sieben. Oder siebenundsechzig. Egal wie man es las, sie wurde daraus nicht schlau und erhob sich mühevoll aus ihrem Bett um sich erst einmal einen Kaffee zuzubereiten.Veronicas Zimmertür war immer noch geschlossen und Luna beließ es auch dabei, so hatte sie die Küche erst einmal für sich um richtig wach zu werden, bevor sie diesem Umschlag auf den Grund ging.
Es war halb zwei am Nachmittag und Luna war froh gerade Semesterferien zu haben und somit keinen Druck irgendetwas lernen zu müssen. Das sie den Vormittag verschlafen hatte war somit in Ordnung und bei ihrem Biorhythmus nichts Ungewöhnliches. Zwei Tassen Kaffee und eine große Schüssel Schokoladenmüsli später fühlte sie sich fast menschlich, bis auf das unangenehme Gefühl in ihrem Unterleib. Sie trauerte ihrer Jungfräulichkeit nicht nach, es war nur etwas technisches. Aber langsam schlich sich das schlechte Gewissen in ihren Verstand. Sie hatte Phil betrogen.
Als ihr das bewusst wurde hielt sie kurz inne beim Spülen ihrer Müslischüssel und berührte Gedankenverloren das Band um ihren Hals. Nein. Hatte sie nicht. Phil und sie gingen miteinander aus. Ja. Sie sahen sich fast täglich, ja. Aber war es tatsächlich eine Beziehung? Zugegeben, Luna bezeichnete ihn oft so, weil sie keine Ahnung hatte wie sie ihn sonst bezeichnen sollte aber sie hatte das nie mit Phil besprochen. Und die paar Küsse, die sie miteinander geteilt hatten, machten ihn sicherlich nicht zu einem festen Freund.Verdammt. Das schlechte Gewissen blieb, auch wenn sie zugeben musste das sie nicht das Gefühl hatte, ihn betrogen haben. Das sie ehrlich gesagt nicht mal das Gefühl hatte ihn das erzählen zu müssen. Es ging ihn nichts an. Es war ihre private Sache mit wem sie schlief oder auch mit wie vielen. Luna hatte ihn nie um Erlaubnis gefragt wenn sie ausgegangen war, er wusste oft nicht einmal was davon. Sie führten völlig getrennte Leben und als sie weiter darüber nachdachte, fiel ihr plötzlich auf wie albern es war, ihn als ihren Freund zu bezeichnen.
Mist. Dennoch hatte sie das Gefühl nicht ganz fair zu spielen und das schlechte Gewissen blieb, wenn auch aus den falschen Gründen. Entschlossen griff sie nach ihrem Handy und begann erst damit eine Nachricht zu tippen, bis ihr einfiel, dass dies definitiv nicht die richtig Art war, jemanden eine solche Botschaft zu überbringen. Also wählte sie seine Nummer und hoffte innerlich, dass er nicht rangehen würde. Aber man konnte Phil viel vorwerfen, nur nicht das er nicht zuverlässig wäre. Natürlich ging er ran.„He, Luna", begann er glücklich und für eine Sekunde hatte Luna keine Ahnung was sie ihm sagen sollte oder wie sie es ihm sagen sollte. Sie sah an sich herunter, starrte auf ihre nackten Zehen und stellte fest, dass sie immer noch dieses Männerhemd trug. Sie war wirklich ein beschissener Mensch, Phil hatte etwas Besseres verdient.
„He, Phil. Ich wollte mit dir etwas bereden", begann sie und hörte genau wie ein Stift fallen gelassen wurde und sein Schreibtischstuhl knarre als er sich zurücklehnte. Er war am Lernen gewesen, obwohl Semesterferien waren. Typisch.
„Ja? Was gibt es den?"
„Ich war gestern mit Veronika in einem Club", murmelte sie und Phil seufzte etwas theatralisch.
„Ich dachte du magst sie nicht mal wirklich und dennoch gehst du mit ihr weg? Sie hat nicht gerade einen guten Einfluss auf dich", tadelte er sie sofort. Auch das war typisch. Aber sie umging seine Vorwürfe, sie wusste was er davon hielt.
„Ich hätte dich ja gefragt, ob du mitgehen würdet aber..."
„Ich habe vor einen absolut herausragenden Abschluss zu machen, Feiern zu gehen überlasse ich den Loosern in meinem Jahrgang und ich dachte eigentlich, das du genauso denken würdest", machte er weiter ohne sie ausreden zu lassen. Obwohl sie solche Sätze nicht zum ersten Mal von ihm hörte, tat es plötzlich mehr weh als sie sich vorstellen konnte. Sie hatte immer große Ziele gehabt und hatte deswegen geglaubt in Phil einen guten Partner gefunden zu haben, er hielt sie davon ab Dummheiten zu machen. Dennoch wollte sie sich verteidigen, so wie immer. Wann hatte sie eigentlich damit angefangen sich von einem Mann klein reden zu lassen?„Es sind Semesterferien und ich wollte lediglich mal meine Jugend genießen, aber deine Befürchtungen waren nicht unbegründet Phillip, denn wir waren anscheinend in einem Sex Club und wie es der Zufall so will, habe ich mit zwei Männern geschlafen und melde mich eigentlich nur um dir davon zu erzählen!", fuhr sie ihn durch das Telefon hindurch an und wurde damit zum ersten Mal laut ihm gegenüber. So ging es natürlich auch, dachte sie bei sich und legte eine Hand an die Zahlen an dem Band um ihren Hals, als würden sie ihr Kraft geben. Auf der anderen Seite der Leitung war es für einen Moment ruhig und Luna rechnet wirklich mit allem, nur nicht mit der Reaktion, die dann tatsächlich kam.
„Gehst du wieder hin?", fragte er trocken und Luna druckste herum.
„Ähm. Was?"
„Ob du noch einmal hingehst?", fragte er etwas eindringlicher und so langsam als spräche er mit einer dummen Gans.
„Ich weiß nicht. Nein, ich glaube nicht, ich habe ... Moment. Phil ich erzähle dir gerade, dass ich dich betrogen habe und du..." schallendes Gelächter erklang aus der anderen Seite und plötzlich erstarrte sie vollkommen. Ihr Blut gefror in den Adern während sie dabei zuhörte wie Phil sich ausschüttete vor Lachen.
„Betrügen? Luna, Süße. Wir sind nicht zusammen! Wir sind Freunde. Die paar Küsse sollten nicht heißen, dass ich dich liebe oder so. Meine Eltern würden das niemals dulden, sie sind beide anerkannte Fachleute auf ihrem Gebiet und du bist, naja, du hast keine Familie. Sorry, aber ich kann mit dir nicht zusammen sein. Du kannst vögeln mit wem du willst, auch wenn ich es nicht gutheißen kann, dass du deine wertvolle Zeit in einem Sex-Club verbringst. Du bist so talentiert, du könntest einmal eine wirklich gute Journalistin sein und das könnte dir nachträglich auf die Füße fallen, bitte versaue dir das nicht."
Jetzt war sie es die komplett am Boden zerstört. Oh Gott, das war so peinlich! Sie war auch nie verliebt in ihn gewesen, aber sie waren so oft ausgegangen und hatten sich ab und an geküsst und einmal hatte sie sogar glaubt, dass sie gleich miteinander im Bett laden würden. Dabei war das für ihn gerade einmal eine Freundschaft. Sie fühlte sich gedemütigt, obwohl sie erleichtert sein sollte. Beschloss dann aber, wie immer, sich an das zu klammern was sie hatte und sich damit zufriedenzugeben.„Ja. Du hast recht", meinte sie und ihr Verstand lobte ihre Entscheidung. Ohne darüber nachzudenken, fand sie den Verschluss dieses Bandes und sah etwas schwermütig dabei zu, wie es von ihrem Hals rutschte. Was auch immer das zu bedeuten hatte, wie schlimm auch immer Phils Worte sie verletzten: Sie hatte eine großartige Zukunft vor sich und als seriöse Journalistin konnte sie es sich nicht erlauben, mit einem Sex-Club in Verbindung gebracht zu werden. Sie verabschiedete sich von Phil, ihrem nicht-Freund, ließ sich das Versprechen abnehmen in zwei Tagen mit ihm Frühstücken zu gehen und hoffte, dass er ihren peinlichen Anruf einfach übergehen würde, wie auch sie versuchte ihre Naivität zu verdrängen. Dann stolperte sie etwas neben sich in ihr Zimmer, zog sich an und fasste sich ein Herz, bevor sie den Umschlag öffnete.
>>Mit dem Halsband kannst du jederzeit ins Noir kommen, Babygirl. Wir werden da sein. C&Z<< stand dort in schwungvollen Lettern. Naja, zumindest für die beiden schien sie gut genug zu sein. Allerdings auch nur zum vögeln.
Kurz entschlossen ließ sie den Brief in ihren Mülleimer gleiten und faltete das Hemd zusammen und verstaute es zusammen mit dem Halsband in der hintersten Ecke ihres Kleiderschrankes. Eigentlich sollte sie beides wegwerfen, aber so sehr sie es auch wollte: Sie konnte diesen Abend nicht bereuen, denn er war sicherlich das aufregendste, was ihr jemals im Leben passieren würde.

Beta: Geany

Take it Deep, Babygirl - Seven SinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt